Toastbrot, H-Milch, Obst - diese und viele andere Lebensmittel konnten Hamburger Bürger in einer Edel-Modeboutique kaufen. Der Data Scientist Florian Dohmann und die Werbeexperten Maximilian Hoch und Manuel Urbanke hatten sie für eine Woche in ein Lebensmittelgeschäft verwandelt. Bezahlen konnten die Kunden nicht mit Barem, sondern nur mit Facebook-Likes, Facebook-Posts, Fotos auf Facebook oder Facebook-Nachrichten. Die Ergebnisse sind - interessant.
Für ihr Experiment hatten sich die drei die Eppendorfer Landstraße 60 in Hamburg ausgesucht, eine gutbürgerliche Gegend mit viel Kaufkraft. Das Objekt der Wahl, die Modeboutique von Anita Hass, wird heute von ihrem Sohn Christian Villwock geführt. Ihm präsentierten die drei das Projekt. Da "alle aus der Wirtschaft kommen", fiel es ihnen nicht schwer, Villwock zu überzeugen: "Christian fand unsere Idee gleich großartig", sagt Dohmann.
Wo sonst teure Mode auf Käufer wartet - bei Anita Hass kosten Handtaschen "ab 400 Euro aufwärts bis zu 2300 Euro" -, stapelten Dohmann and friends vom 17. bis 22. Februar 2014 Grundnahrungsmittel in die Regale. Nichts Ausgefallenes, nur Dinge, um den täglichen Bedarf zu decken - Milch, Früchte und Brot beispielsweise.
Preise im Datenmarkt
Ein Herr, der an der Luxusflaniermeile wohnt, hätte fast auch eingekauft. Aber Fisch, wie er ihn sich wünschte, konnte das Trio nicht anbieten. "Wir wollten eine ganz geringe Produktauswahl, davon aber ganz viel. So konnten wir aufschichten und einen visuellen Effekt schaffen", unterstreicht Dohmann den künstlerischen Aspekt des Projekts. Dohmann, Hoch und Urbanke ging es nicht um kommerzielle Ziele, sondern darum, die Problematik von im Netz verfügbaren persönlichen Daten als handelbares Wirtschaftsgut durch eine Kunstaktion zu verdeutlichen.
"Maximilian und ich kennen uns aus der Schule. Seit dieser Zeit machen wir auch Kunst. Mit dem Datenmarkt-Experiment wollen wir die Problematik persönlicher und im Internet frei verfügbarer Daten fassbar machen", erklärt Dohmann.
Die Macher
Florian Dohmann gehört bei der Berliner The unbelievable Machine Company zu den Spezialisten, die heute händeringend gesucht werden: den Data Scientists. Seine Freunde Maximilian Hoch und Manuel Urbanke arbeiten als Kreativteam (Copywriter und Art Director) bei der 1991 gegründeten Hamburger Werbeagentur Jung von Matt. Die schreibt auf ihrer Homepage, Marketing-Kommunikation müsse "ein Geschenk sein wie das trojanische Pferd". Das passt gut zum Projekt Datenmarkt: So wie die Trojaner bei dem Geschenk der Griechen hätten zweifeln sollen, fordern auch Dohmann, Hoch und Urbanke zum Nachdenken auf.
Haute Couture kontra Knödel
Haute Couture kontra Knödel also. Da scheiden sich an der Eppendorfer Landstraße schon mal die Gesellschaftsschichten. Genau der richtige Ort aber, um Menschen an das Thema Datenschutz heranzuführen. Vor allem auch, um eine Diskussion über den Wert der in sozialen Netzen milliardenfach gebunkerten persönlichen Informationen anzuzetteln. Für das Projekt habe man eine Gegend gesucht, in der viel flaniert wird. Wichtig war zudem, eine Schaufenstersituation zu gestalten.
Die hatten Dohmann, Urbanke und Hoch dann. Sie saßen eine Woche lang an der Kasse quasi in der Auslage des Schaufensters. "Ich habe mich oft über die Reaktionen der Leute draußen amüsiert", sagt der Informatiker. Zu Beginn der Aktion zeigten ihnen viele den Vogel. "Sie spinnen doch" lautete noch eine der netteren Bemerkungen aus dem irritierten Publikum. Es gab Passanten, die wollten gleich den Hamburger Datenschutzbeauftragten auf den Plan rufen. Denen mussten Dohmann und seine Freunde erklären, dass hier eine Kunstaktion Bewusstsein dafür schaffen wollte, welche Gefahren (durch) Daten drohen, die im Netz frei verfügbar sind.
Die Stimmung wandelte sich aber zusehends, spätestens dann, als RTL einen Fernsehbeitrag über das Datenmarkt-Projekt bringen wollte und dazu mit einem TV-Team in die umfunktionierte Edelboutique einfiel. Jetzt kamen immer mehr interessierte Menschen in den Laden. Und ins Gespräch. Dabei gab es genügend Gelegenheiten, Vorurteile zu pflegen: Je jünger, desto doofer. Je reicher, desto analoger. Je intellektueller, desto datenschutzversessener. Je Facebook-affiner, desto konsumorientierter. Was so natürlich alles nicht stimmte.