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Mit Facebook-Daten bezahlen

26.03.2014
Von 
Jan-Bernd Meyer betreute als leitender Redakteur Sonderpublikationen und -projekte der COMPUTERWOCHE. Auch für die im Auftrag der Deutschen Messe AG publizierten "CeBIT News" war Meyer zuständig. Inhaltlich betreute er darüber hinaus Hardware- und Green-IT- bzw. Nachhaltigkeitsthemen sowie alles was mit politischen Hintergründen in der ITK-Szene zu tun hat.

Je jünger, desto doofer?

Nein, repräsentative Erkenntnisse über das Kaufverhalten von Kunden könne Datenmarkt nicht mitteilen, räumt Dohmann ein. Aber einiges habe die "Datenmarkt"-Aktion schon deutlich gezeigt. Je jünger die Käufer sind, desto "weniger Probleme haben sie, ihre Daten preiszugeben". Dagegen ist das gut betuchte Publikum der Eppendorfer Landstraße häufig nicht "kreditwürdig" im Sinne des Experiments. Viele unterhalten keinen Facebook-Account und verfügen deshalb nicht über die Währung Daten. Das führte zu komischen Situationen wie der mit einem älteren Herrn: "Nebenan kann ich mir die sündteure Tasche kaufen, aber bei Ihnen nichts?"

Ganz anders das junge Publikum. So stürmte ein halbes Dutzend Jugendlicher im Alter zwischen 14 bis 16 Jahren herein. Einer fragte: "Ich hab bestimmt noch zehn Facebook-Accounts mit verschiedenen Identitäten. Kann ich mit denen auch bei euch einkaufen?" Ein Teenager hat andere Pläne: "Boah, wär das geil, wenn das überall so ginge wie hier. Da wärt ihr ja Millionäre." Was er mit seinem Kommentar nicht bedachte, war die Tatsache, dass wohl auch er selbst bei solch einer Währung ziemlich liquide wäre. Eininge wünschten sich das Datenmakt-Modell voller Begeisterung etwa auch für die Media-Märkte.

Unbekümmertheit = Vertrauen?

Dohmann und seine Freunde interpretieren die Unbekümmertheit, mit der viele Kunden ihre privaten Daten zum Warentausch hergaben, als Vertrauen. "Die sehen mich, finden mich vielleicht sympathisch, und deshalb vertrauen sie mir." Vertrauen sei essenziell. Fehle es, laufe in der Wirtschaft gar nichts. Das gelte auch im Digitalen. Wenn das Vertrauen weg ist, "bricht alles zusammen", sagt Dohmann. Das wäre gefährlich.

Vielen dämmerte irgendwann, was da eine Woche lang in der Hamburger Trend-Boutique wirklich vor sich ging. Beim Betrachten des Kassenbons, auf dem seine Facebook-Daten en détail zu lesen waren, fragte ein Kunde: "So etwas könnt ihr wirklich auslesen?" Dohmann betont, dass Datenmarkt alle Kunden spätestens beim Bezahlen darauf aufmerksam machte, wie das Projekt funktionierte, und dass alle Daten wieder gelöscht wurden.

Trotzdem wurde einigen mulmig. "Aber ihr könnt jetzt nicht wirklich alle meine privaten Nachrichten lesen?" fragte mancher beunruhigt. Doch, hätten sie gekonnt. Die Kunden hatten dem Trio den Zugriff auf alle Nachrichten und Postings gewährt. Dohmann und Kollegen speicherten aber immer nur einige davon in ihrer Datenbank zwischen, um sie anschließend zu drucken. So fanden sie im besten Fall genügend private Facebook-Inhalte, dass die Kunden ihre Knödel - Kostenpunkt: fünf Nachrichten pro Packung - bezahlen konnten (siehe Kasten Seite 25: "Die Technik hinter der Kunst").

Wer großen Hunger hat, legte gerne seine Privatsphäre offen. Manchen wurde erst beim Blick auf den Kassenbon klar, was sie den Datenmarkt-Künstlern als Gegenwert für die Lebensmittel gegeben hatten: "Was? Da werden auf dem Bon die wirklichen Texte und Fotos ausgedruckt? Nicht nur die Anzahl der Bilder und Postings? Echt voll krass."

Knallharte Währung

Das genau war die Wirkung, die die drei erzeugen wollten: Menschen sollen erleben, dass Daten im Netz einen wirtschaftlichen Wert bilden, dass sie eine echte Währung sind.

Neu ist das natürlich nicht. Lange vor der NSA-Affäre war klar, dass Daten massenhaft gesammelt werden. "Google", argumentiert Dohmann, "ist nicht umsonst eine der wertvollsten Marken der Welt. Die verdienen mit Datensammeln ihr Geld." Dagegen sei auch nichts einzuwenden. Man müsse sich dessen aber bewusst sein. "Und viele Menschen ahnen nichts davon", bilanziert der Data Scientist, der beim Startup The unbelievable Machine Company beschäftigt ist. Natürlich werde den Menschen klar, dass persönliche Daten schützenswert sind, wenn man sie mit einer Aktion und Diskussionen oder mit Artikeln gezielt darauf stoße. "Aber dieses Bewusstsein ist nicht in Fleisch und Blut übergegangen." Dazu brauche es mehr Bildung und mehr Aus-bildungsmaßnahmen etwa auch in Schulen.

Im Fall von Datenmarkt blieb die Preisgabe der Privatheit folgenlos, denn alle Daten wurden nach dem Bezahlvorgang vor den Augen der Kunden gelöscht. Eine Kundin, die zunächst den Datenschutzbeauftragten auf den Plan rufen wollte, dann aber neugierig doch an der Aktion teilnahm, hat die Botschaft verstanden: "In Zukunft werde ich genau darauf achten, was ich in Facebook veröffentliche."

"Uns betrifft das nicht"

Anderen war hingegen nicht bewusst, wie weit die Datenkraken im Web ihre Arme schon ausbreiten. Insbesondere ältere Menschen zuckten mit den Schultern: "Uns betrifft das nicht." Dohmann fragte: "Nutzen Sie Gutscheine oder Coupons, oder sammeln Sie Punkte im Supermarkt?" Und den Probanden wurde klar, dass sie auch hier mit persönlichen Daten bezahlen.

Wieder andere zeigten sich unbeeindruckt von den Gefahren, die ihren Daten im Web drohen. Oder ihnen wurde schlecht bei der Vorstellung, was Google oder Facebook mit ihren persönlichen Informationen anstellen könnten. Dohmann erklärte ihnen genau, wie er jetzt alle Daten des Einkaufs wieder löschen werde. Es gab aber auch die allseits bekannten Stimmen, die da tönten: "Ist mir egal, ob ihr das löscht. Ist ja nichts Schlimmes drin."

Und dann waren da noch jene, bei denen man nicht sicher sein konnte, ob sie die Demonstration verstanden hatten. Oder jene, die zynisch fragten: "Wieso löscht ihr eigentlich die Daten wieder?"

Wie im richtigen Leben

Ein Besucher des Ladens wollte wissen, ob "es das bald in meiner Stadt auch gibt". Genau das planen Dohmann, Hoch und Urbanke. Es wird eine Fortsetzung von Datenmarkt folgen. Wo, steht noch nicht fest. Zudem ist eine "verschärfte" Version geplant. Viel will Dohmann noch nicht verraten. Das kommende Projekt drehe sich konkret um Kunst und um einen "Schwarzmarkt". Dohmann lächelt dabei ziemlich hintergründig.

Auch diese Aktion dürfte spannend werden, hat man das Gefühl. Denn nun soll es tatsächlich ans Eingemachte gehen: Experimentieren ohne jeglichen Rückfallschutz, ohne das Löschen der Daten also. Datenmarkt wird dann datenschutzrechtlich zum Ernstfall - wie das richtige Leben eben.