Digital Customer Experience (DCX)

Mehr Mut zum (digitalen) Dialog mit den Kunden

06.05.2019
Von 
Jürgen Mauerer ist Journalist und betreibt ein Redaktionsbüro in München.
Zufriedene Kunden bringen mehr Umsatz. Viele Firmen – auch in Deutschland – haben die Bedeutung der digitalen Kundenbindung erkannt, stehen aber bei der Umsetzung der Digital Customer Experience noch am Anfang. Oft verhindern Datensilos und starre Strukturen im Unternehmen eine konsistente Interaktion und ein positives Kundenerlebnis auf allen Kanälen.

Die Digitalisierung bringt einen großen Gewinner hervor: den Kunden. Über das Internet kann König Kunde in kürzester Zeit Angebote vergleichen und Produkte bestellen. Das beste Preis-Leistungs-Verhältnis ist oft nur einen Mausklick entfernt. Firmen mit langsamen und unübersichtlichen Websites oder komplizierten Bestellprozessen verlieren. Der Kunde wandert ab - oft zu Amazon.

Der weltgrößte Online-Händler gilt als Meister der Digital Customer Experience (DCX). Das Unternehmen konzentriert sich auf seine Kunden und will deren digitales Einkaufserlebnis verbessern. Es versteht, was die Kunden brauchen, und gibt ihnen genau das, was sie wollen - oft auf Basis einer intelligenten Nutzung von Daten.

Wo aber stehen die deutschen Unternehmen bei der Digital Customer Experience? Haben sie die Bedürfnisse ihrer Kunden im Blick? Mit welchen Herausforderungen haben sie beim Aufbau einer (digitalen) Kundenbeziehung zu kämpfen? Darüber tauschten sich auf Einladung der COMPUTERWOCHE kürzlich Vertreter aus neun Unternehmen in einer Round-Table-Diskussion aus.

Kunden noch nicht im Zentrum

Der Tenor ist eindeutig: Die deutschen Firmen haben zwar die Bedeutung der Kundenbeziehung und Kundenbindung in der Digitalisierung erkannt, doch bei der Umsetzung besteht in den meisten Unternehmen noch Nachholbedarf. "Auf dem Weg zu einer sehr guten Digital Customer Experience befinden wir uns erst auf den ersten fünf von 100 Metern", bringt es Boris Bohn, Geschäftsführer bei der Digital-Beratung Arithnea, auf den Punkt. "Die Firmen haben erkannt, dass es verschiedene Touchpoints für die Ansprache des Kunden gibt. Aber in der konkreten und übergreifenden Ausgestaltung stehen wir noch am Anfang."

Ein Grund für die DCX-Verspätung könnte auch eine falsche Sichtweise auf die Kunden sein. "In Deutschland steht bei vielen Unternehmen der Kunde oft nicht mit seinen Bedürfnissen im Mittelpunkt, sondern nur als Käufer und Nutzer eines Produkts, das sie herstellen. Das gilt auch bei digitalen Produkten", erklärt Christian Schacht, Vice President Digital Customer Experience bei Capgemini in Deutschland.

Informationen zu den Partner-Paketen der Studie "Digital Customer Experience" finden Sie hier

Seiner Meinung nach wissen viele Firmen nicht, was die Kunden wirklich erwarten. Als Beispiel nennt er die Automobilindustrie mit ihren modernen, vernetzten Anwendungen. "Bei deutschen Herstellern brauchen sie oft eine Stunde für die Einrichtung von entsprechenden Apps, bei Tesla sind es fünf Minuten. Benutzerfreundlichkeit sieht anders aus", so Christian Schacht.

Auch auf vielen Webseiten passen die Prozesse nicht. "Das Frontend vieler Websites ist ansprechend, der Kunde wird gut geleitet und an die Hand genommen, doch wenn er kaufen will, ist der Bezahlprozess zu kompliziert, oder seine bevorzugte Bezahlart wird nicht unterstützt. Der Besucher bricht ab und wechselt zu einem anderen Anbieter", sagt Dominik Lorenz, Key Account Manager bei Creditreform Boniversum.

Vom Monolog zum Dialog

Die Beispiele zeigen: Bei DCX geht es um mehr, als dass potenzielle Kunden Produkte kaufen. Weitere Aspekte wie Kundenzufriedenheit, Markenbewusstsein (Brand Awareness) oder die Erfahrung mit Service und Produkt spielen eine wichtige Rolle. "Die deutschen Firmen können sich mittlerweile nicht mehr so stark wie früher durch ihre Produkte differenzieren. DCX hat an Bedeutung gewonnen. Wir müssen vom Monolog weg hin zum Dialog mit den Kunden, um deren Bedürfnisse zu erfahren und dann die passenden Lösungen zu bieten", fordert Orhan Dayioglu, Sales Transformation Leader bei Showpad, Anbieter einer Vertriebs- und Marketingplattform.

Ziel ist es, jeden einzelnen Kunden in allen Phasen des Einkaufsprozesses (Customer Journey) bei seinen aktuellen Bedürfnissen abzuholen und eine optimale Customer Experience zu bieten. Dazu gehören schneller und reibungsloser Service, am besten personalisierte Inhalte und eine konsistente Erfahrung über alle Vertriebskanäle hinweg.

Abteilungsgrenzen überwinden

"Ein ganzheitlicher Ansatz wird für die Kundenbindung im digitalen Zeitalter immer wichtiger. Firmen können ihre Kunden heute dank neuer Technologien über deutlich mehr Kanäle ansprechen. Damit die Kunden eine End-to-End-Experience erhalten, benötigen Firmen unter anderem auch eine bessere Datenbasis, die Integration von Informationen aus CRM, Marketing, ERP oder Controlling sowie Schnittstellen zwischen den Abteilungen sicherstellt. Zusätzlich müssen sie Silos in der Organisation auflösen und das richtige Mindset sowie Kompetenzen aufbauen", sagt Vanessa Dommnich, Manager bei Batten & Company, einer Unternehmensberatung mit Fokus auf Marketing & Sales.

Es geht laut Dommnich darum, dass Unternehmen die Daten und Informationen über die Kunden aus verschiedenen Unternehmenseinheiten und Datenquellen kombinieren. "Die einzelnen Abteilungen müssen ihre Daten untereinander weitergeben. Zudem sollte es ein Omni-Channel-Team geben, in dem alle Experten aus der Online- und der Offline-Welt end-to-end zusammenarbeiten. Viele Unternehmen tun sich hierbei aktuell noch schwer", so die Managerin weiter.

Auch Arithnea-Geschäftsführer Boris Bohn fordert organisatorische Veränderungen und eine Abkehr vom Denken in getrennten Abteilungen: "Die internen Strukturen bilden ein großes Hindernis für die Kundenzentrierung. Firmen müssen ihre Organisation von links auf rechts drehen, Abteilungen und ihre Daten zusammenführen und integrieren. Kollegen aus IT, Vertrieb, Marketing und Service, die bislang wenig miteinander zu tun hatten, müssen ihre Informationen austauschen."

Vertriebskanäle miteinander verknüpfen

Nur wenn all diese Abteilungen eng miteinander vernetzt sind, erhalten die Kunden eine konsistente Erfahrung über alle Vertriebskanäle hinweg. Egal, ob sie über den Online-Shop, das Callcenter, die mobile App, Social Media oder in einem Laden mit dem Unternehmen in Kontakt treten - die Angebote müssen aufeinander abgestimmt sein und eine durchgängige Erfahrung bieten.

"Die Kombination von Online- und Offline-Welt ist der Heilige Gral. Wer das hinbekommt, hat gewonnen. Firmen müssen hier agil sein, viele Dinge ausprobieren und Prozesse ändern, wenn sie nicht funktionieren", betont Ralf Wiesmann, Principal Director bei Accenture Interactive. Bei der Interaktion zwischen Unternehmen und Kunden sieht er einen Trend in Richtung Messenger. "Die Firmen können damit den Kunden auf seiner Customer Journey viel besser begleiten, lange Wartezeiten bei der Hotline entfallen durch den direkten Kontakt."

Auch Jens Thuesen, Business Development Manager bei der BSI Business Systems Integration AG, fordert eine bessere Interaktion zwischen Unternehmen und ihren Kunden. "Häufig kann der Kunde online kein Feedback hinterlassen. Diese No-Reply-Mentalität muss weg. Viele Firmen vergessen zudem die Integration der digitalen Kanäle. Ohne eine Verknüpfung von Daten weiß der Mitarbeiter im Online-Chat nichts über die Historie des Kunden und was ihn gerade bewegt", erklärt er.

Das bestätigt Frank Sinde, Manager Consulting beim IT-Dienstleister Damovo: "Die Zusammenführung der einzelnen Kanäle funktioniert nur unzureichend. Es gibt kaum fertige Schnittstellen. Da Firmen viel selbst programmieren müssen, werden die Projekte sehr teuer und dauern lange in der Umsetzung. Um wirklich gute DCX zu erhalten, müssen Firmen die Mitarbeiter mitnehmen und deren Mindset auf Kundenorientierung umpolen. Customer Experience funktioniert nur mit Employee Experience, sprich der Akzeptanz bei den Mitarbeitern."

Informationen zu den Partner-Paketen der Studie "Digital Customer Experience" finden Sie hier

Das gilt insbesondere für den Kundenservice im Vergleich zu Marketing & Sales. Man denke nur an genervte Mitarbeiter an der Hotline, die auf Fragen des Kunden unwirsch antworten und ihm durch zu wenig Know-how oder Vollmachten nicht weiterhelfen können. Sie machen den positiven Eindruck des Unternehmens kaputt, den Marketing und Vertrieb aufgebaut haben.

Agile IT ist gefragt - mit oder ohne Standards?

Technische Basis für eine gelungene Digital Customer Experience ist eine agile IT, die Kundendaten aus verschiedenen Silos miteinander verknüpft. "Firmen brauchen einen hohen Speed am Markt und müssen insbesondere im Frontend agil sein, um schnell auf Kundenbedürfnisse reagieren zu können. Hier besteht oft eine Diskrepanz zwischen den internen ERP- oder Bestandsführungssystemen mit langen Release-Zyklen und modernen Microservices. Bei der Integration müssen die Anwender eine gute Balance finden", sagt Jürgen Spieß, Director Sales und Prokurist beim IT-Dienstleister SHE.

Durch die Digitalisierung besitzen Unternehmen aus allen Branchen mehr Daten über die Bedürfnisse, Denk- und Verhaltensweisen ihrer Kunden denn je. "Die Kunst besteht darin, mithilfe von Data Analytics, KI und maschinellem Lernen diesen Datenschatz zu heben, auszuwerten und daraus einen Mehrwert zu schaffen", so Jürgen Spieß weiter. Analytics und KI bieten sich auch an, um beispielsweise Anfragen per Chat, Messaging oder E-Mail via Bot zu klassifizieren und an das passende Team weiterzuleiten, damit die Kunden gleich zu einen kompetenten Ansprechpartner gelangen.

Eine kleine Diskussion entstand unter den Teilnehmern darüber, ob Firmen bei ihrer IT für eine bessere DCX auf Standards oder auf eigenentwickelte Lösungen setzen sollen. Damovo-Mann Frank Sinde empfiehlt Firmen, Use Cases für ein besseres Kundenerlebnis mit standardisierten Cloud-Anwendungen schnell umzusetzen. "Systeme wie etwa Salesforce bieten Schnittstellen zwischen CRM und Service, bilden erprobte Prozesse 'out of the box' ab und sind relativ kostengünstig. Eine individuelle Lösung belastet das Budget viel stärker und benötigt wesentlich mehr Mitarbeiter-Ressourcen und Umsetzungszeit."

Jens Thuesen von BSI gibt Kontra: "Firmen, die sich über Customer Experience differenzieren wollen, dürfen nicht auf Standards setzen. Sie sollten mutig sein und einen Best-of-Breed-Ansatz wählen. Es ist nie eine gute Idee, nur auf einen einzigen Hersteller zu vertrauen. Stattdessen geht es darum, die jeweils beste Lösung und den passenden Partner zu wählen. Das bedeutet aber auch: Die Integration verschiedener Lösungen ist zentral."

Arithnea-Geschäftsführer Boris Bohn rät Firmen, auf flexible Microservices zu setzen und bestehende monolithische Architekturen abzulösen. Microservices bestehen aus lose gekoppelten, voneinander unabhängigen Modulen mit einer abgeschlossenen Funktionalität. Im Webshop sind das beispielsweise Komponenten wie Produktsuche, Bestellung oder Katalog. Im Verbund ergeben die Module über APIs die Gesamtfunktionalität einer Anwendung.

"Ein Softwareanbieter allein kann nicht so schnell sein wie der Markt. Microservices sind daher das Architekturmodell der Zukunft", so Boris Bohn. "Die Herausforderung besteht darin, die verschiedenen Module nahtlos zu integrieren und zu orchestrieren. Gelingt das, können Firmen mit einer agilen IT schnell auf die Bedürfnisse und Wünsche ihrer Kunden reagieren."