msg-Chef im Interview

"Low-Code ist doch eher ein Hype"

10.02.2021
Von 
Heinrich Vaske ist Editorial Director a.D. von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO.
Im deutschen IT-Dienstleistungsmarkt ist die msg-Gruppe mit ihren 8500 Mitarbeitern eine feste Größe. Wir wollten von Geschäftsführer Stephan Frohnhoff wissen, wie er sein Unternehmen durch die Krisenzeit führt.
Die msg Systems AG aus Ismaning bei München konnte der Pandemie bislang trotzen. Im COMPUTERWOCHE-Interview verrät Vorstandsvorsitzender Stephan Frohnhoff, wie er den IT-Dienstleister durch die Krise führt.
Die msg Systems AG aus Ismaning bei München konnte der Pandemie bislang trotzen. Im COMPUTERWOCHE-Interview verrät Vorstandsvorsitzender Stephan Frohnhoff, wie er den IT-Dienstleister durch die Krise führt.
Foto: msg systems

Wie wirkt sich die Corona-Pandemie auf Ihre Geschäfte aus?

Stephan Frohnhoff: Wir sind bislang ganz gut durchgekommen. msg ist nach Branchen aufgestellt, die Versicherungswirtschaft trägt immer noch ungefähr 50 Prozent zu unserem Umsatz bei. Dieses Geschäft läuft trotz Corona recht gut, in Märkten wie Automotive oder Travel & Logistics verzeichnen wir Rückgänge. Das konnten wir aber mit starkem Wachstum in anderen Bereichen kompensieren: Vor allem der Public Sector hat im vergangenen Jahr einen enormen Schub erlebt.

Kommen Ihre Mitarbeiter mit der neuen Arbeitssituation zurecht?

Frohnhoff: Ja. Remote Work war bei uns auch schon vorher an der Tagesordnung. Jeder Mitarbeiter hat einen Laptop, VPN-Anschluss und so weiter. Da hat sich nicht viel geändert. Was aber neu ist: Die virtuelle Zusammenarbeit ist nun auch mit Kunden möglich, die das vorher abgelehnt haben. Heute arbeiten unsere Business-Consulting-Einheiten nicht mehr vollumfänglich beim Kunden vor Ort.

Es klappt alles in allem sehr gut, aber natürlich gibt es auch Herausforderungen, wenn Mitarbeiter über Monate nicht mehr ins Büro kommen. Vieles lässt sich per Video abbilden, aber wenn es um kreatives Zusammenarbeiten geht, manchmal auch um das gemeinsame Entwickeln neuer digitaler Geschäftsmodelle, dann will man die Gesprächspartner irgendwann auch einmal persönlich sehen. Dafür stehen unsere Büros bereit, wir haben alle Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Mehr als zehn Prozent unserer Beschäftigen sind dort gegenwärtig ohnehin nicht vor Ort.

Stephan Frohnhoff und msg:

Seit dem 1. Januar 2020 ist Stephan Fronhoff, promovierter Informatiker und Diplom-Physiker, Vorstandsvorsitzender der msg Systems AG. Der IT-Dienstleister aus Ismaning bei München belegt Platz sechs im Lünendonk-Ranking der größten IT-Beratungs- und Systemintegrationsunternehmen. Der historische Geschäftsfokus von msg liegt auf der Versicherungsbranche. Inzwischen sind die Bayern aber viel breiter aufgestellt und betreuen zahlreiche Großunternehmen und Behörden mit Leistungen rund um Individual Softwareentwicklung und SAP-Einführungen.

"Cloud wird nicht mehr in Frage gestellt"

Reden wir über Ihren geschäftlichen Fokus. msg hat sich immer durch hohe Fachlichkeit ausgezeichnet und war vor allem im eher langweiligen Versicherungsumfeld unterwegs...

Frohnhoff: Moment mal - der Versicherungssektor ist keineswegs langweilig! Da finden gerade ganz wichtige Veränderungen statt, vor allem die sogenannten Platform-driven Ecosystems beschäftigen uns. Die Versicherer treiben ihre plattformbasierten Geschäftsmodelle mit Macht voran. Jetzt kommen vor allem Health-Themen wie E-Rezept und Elektronische Gesundheitskarte auf den Tisch. Das wird in Deutschland zu dramatischen Veränderungen führen.

Zukünftig können Patienten bei Ihrem Arzt das Rezept elektronisch auf ihr Smartphonee gespielt bekommen und damit in die Apotheke gehen. Dann können Medikamente mit einem Klick bestellt werden. Kommt man nach Hause, liegt das Medikament schon im Briefkasten. Dann wird sich die Frage stellen: Wozu brauche ich noch eine stationäre Apotheke? Wir haben heute 20.000 Apotheken in Deutschland und 500 Millionen Rezepte, die in jedem Jahr ausgestellt werden. Das wird die Apothekenlandschaft tiefgreifend verändern..

Glauben Sie das wirklich? Wie lange reden wir schon darüber? Wir wissen doch, wie stark die Lobbys sind und wie langsam die Mühlen in der Gesetzgebung und in den Behörden mahlen…

Frohnhoff: Mich erinnert das an die Diskussion im Cloud-Bereich, da haben wir vor zehn Jahren auch gesagt: Tolle Sache, aber in Deutschland nicht vorstellbar. Das ist zu unsicher und wirft zu viele Datenschutzfragen auf. Heute reden wir ganz anders darüber. Cloud wird nicht mehr in Frage gestellt. Sogar die Banken gehen mit Google, Amazon und Microsoft in die Cloud. Die Frage ist nicht mehr ob, sondern wann.

Stephan Frohnhoff, Vorstandsvorsitzender der msg Systems AG.
Stephan Frohnhoff, Vorstandsvorsitzender der msg Systems AG.
Foto: msg systems

Wenn msg neben den Versicherungen zunehmend auch andere Branchen anpeilt, ist dann das Risiko nicht groß, sich zu verzetteln?

Frohnhoff: Nein, die Grundlage ist unsere Technologiekompetenz, vor allem unser Know-how zu Plattformen und Ökosystemen können wir branchenübergreifend nutzen. Und dann haben wir nach und nach Teams aufgebaut, die die Sprache der Branchen sprechen und deren fachliche Themen verstehen.

Sie haben mehrmals den Begriff Plattform erwähnt, ein Begriff, der in der Branche derzeit heiß gehandelt wird. Können Sie genau beschreiben, was Unternehmen tun, wenn sie eine Plattform bauen?

Frohnhoff: Man kann das Thema vom Geschäftsmodell her angehen oder aus der IT-Sicht. Letzteres bedeutet, dass ich Architekturen aufbaue, mit denen ich Services zentral und damit effizient anbieten kann. Für eine Plattform braucht es eine gute Architektur und einen sinnvollen Integrationsansatz, die Softwarefunktionalität ist oft schon irgendwo vorhanden. Softwareentwicklung besteht ja heute zu gefühlt 90 Prozent aus der Integration bereits existenter, zugekaufter oder Open-Source verfügbarer Komponenten.

Wir haben zum Beispiel im Versicherungsbereich mit edith.care für die Signal Iduna eine Plattform für Pflege und Pflegeunterstützung gebaut, auf der Basisder SDA. Architektur und Design sind entscheidend. Signal Iduna verfolgt das Ziel, Dienste und Mehrwerte vieler eigenständiger Partner auf dieser Plattform anzubieten. Als IT-Lösungshaus bringen wir die Architektur ein und machen die Geschäftsmodelle implementierbar.

"Integration von Zukäufen nicht als Aufsaugen verstehen"

Das Branchen-Know-how in der Breite aufzubauen, können Sie alleine kaum schaffen. Wie wichtig sind für msg Übernahmen?

Frohnhoff: Sehr wichtig, diese Strategie verfolgen wir seit 40 Jahren. Wenn Sie sich die Vielfalt an Unternehmenseinheiten in der msg ansehen, dann liegt das auch daran, dass wir immer wieder zugekauft haben. Das ist vielleicht auch einer der Vorteile eines inhabergeführten Unternehmens. Das verdiente Geld bleibt im Unternehmen und wird reinvestiert.

Ein Beispiel: Vor ein paar Jahren haben wir die BSM gekauft, heute eine hochspezialisierte Banking-Tochter mit Schwerpunkt im Regulatorik-Bereich. Die haben eine hochspezialisierte Software für das Meldewesen und ein breites Kundenportfolio mitgebracht. An dem Firmennamen BSM haben wir festgehalten. Die haben ihre eigene Identität behalten, auch wenn wir feststellen, dass es im Produktbereich Synergien mit anderen Töchtern gibt, zum Beispiel der msgGillardon.

Gerade erst im Dezember haben wir wieder zwei Firmen gekauft. Die K.GROUP ist eine kleine Boutique mit Schwerpunkt auf Energie- und Wasserwirtschaft sowie dem Smart-City-Bereich. Die Schweizer Passbrains ist ein Spezialist für Testing. Passbrains unterhält eine Community von 30.000 Testern, die wir in unsere eigene Test-Community einbinden können. Wir suchen aber nicht nur fachliche und technologische Kompetenz, vor allem muss es kulturell passen.

Wie finden Sie heraus, ob das der Fall ist?

Frohnhoff: Zunächst haben wir eine zentrale Einheit, die sich mit dem Handwerk der kaufmännischen und rechtlichen Integration sowie mit der Due Diligence beschäftigt. Aber die Idee, wen wir zukaufen sollten, kommt stark aus unserem Alltagsgeschäft in den Branchen: Wenn man einen guten Ruf hat und die Hidden Champions bereits kennt, tut man sich leicht. Man bekommt mit, was die können, wie die beim Kunden angesehen sind - ob es also Sinn gibt.

Für uns ist wichtig, dass wir die Integration von Zukäufen nicht als Aufsaugen verstehen, sondern eine intensive Zusammenarbeit aufbauen. Integration geht bei uns nur so weit, dass wir optimal zusammenarbeiten können. Das Alleinstellungsmerkmal eines übernommenen Betriebs wollen wir nach Möglichkeit erhalten.

Wie läuft die Integration operativ?

Frohnhoff: Wenn heute ein Unternehmen zur msg dazustößt, dann besprechen wir zuerst, wie stark die Einbindung ausfallen sollte und ob eine IT-seitige Integration notwendig ist. Bei den meisten ist das sinnvoll, sie kaufen dann diese IT-Leistung zu einem bestimmten Preis bei uns ein. Wollen sie auch das Marketing oder die Rechtsberatung der msg nutzen, können sie beides ebenfalls als Services kaufen.

Wir sind als Organisation mit unseren Zentralfunktionen schon immer serviceorientiert aufgestellt gewesen. Das sehen wir als Stärke. Mir hat mal ein Kollege aus einem zugekauften Unternehmen gesagt: Die msg fühlt sich an wie ein Franchiser. Sie bietet Services an und gibt den Töchtern einen breiten Gestaltungsfreiraum.

Wir haben über Ihre Branchenausrichtung gesprochen, doch manche Aufgaben stellen sich im Zuge des Digitalisierung allen Unternehmen. Das gilt zum Beispiel für die Modernisierung von Legacy-Anwendungen oder die Einführung neuer Standardsoftware. Wie bilden Sie so etwas ab?

Frohnhoff: Es gibt bei uns auch horizontale, branchenübergreifende Geschäftseinheiten, zum Beispiel zu Themen wie IT Security oder Testing. Unsere Stärke können wir aber erst dann voll ausspielen, wenn es uns gelingt, horizontale und vertikale Kompetenz zu verbinden. Beim Testing etwa wird man erst dann richtig gut, wenn man bestimmte branchenspezifische Muster vorhält und anwenden kann. Es gibt noch weitere horizontale Bereiche, unser Systemhaus übernimmt etwa branchenübergreifend die Einführung von SAP-Standardmodulen wie Finance und Controlling.

Auch unser Bereich msg Research ist horizontal aufgestellt, da bewerten wir neue Technologieentwicklungen und überlegen, mit wem wir etwa bei Softwareprodukten und -Tools eine Partnerschaft anstreben wollen. Im Security-Bereich gehen wir jetzt sogar mit einer eigenen Marke horizontal an den Markt, Security Advisors, das ist ein starkes Wachstumsfeld.

"Es geht um die Killerapplikation"

Wie sieht es aus mit der Automatisierung? Sind Themen wie Business-Process- oder Robotic- Process-Automation Themen, die Sie branchenspezifisch angehen?

Frohnhoff: Ja, hier gehen wir je nach Branche anders vor. Themen wie zum Beispiel Datensynchronität kann man nicht losgelöst von vertikalen Marktanforderungen sehen. Wir unterstützen aber zentral, etwa wenn es gilt, Legacy-Systeme zu modernisieren. RPA in spezifischen Branchenumfeldern mit einem hohen Anteil von Altanwendungen flott zu kriegen, ist nicht einfach. Unser Research-Team kennt die Tools und stellt sie branchenübergreifend zur Verfügung.

Wichtiger ist aber der Branchenzugang. Die große Versicherung wird immer einen Partner fordern, der sich nicht nur mit Automatisierung auskennt, sondern auch etwas von ihrem Legacy-System versteht. Der Lead liegt also bei den Experten des vertikalen Marktes, die dann aber unsere Technikexperten mit einbinden.

Ist es realistisch, Techies und Branchenprofis zu trennen?

Frohnhoff: Wir sorgen an dieser Stelle für Durchlässigkeit. Unsere Research-Einheit ist kein Elfenbeinturm, wir haben eine Art Roll-in-, Roll-out-Konzept etabliert. Mitarbeiter kommen mit ihrer Projekterfahrung in den Branchen für eine bestimmte Zeit in ein Tech-Team und gehen später wieder zurück in ihr Geschäft. So bleibt die Research-Abteilung immer anwendungsnah.

Gerade mittelständische Dienstleister wie msg müssen sich entscheiden, für welche Standardsoftware und Tools Know-how vorgehalten werden soll. Nach welchen Kriterien entscheiden Sie?

Frohnhoff: Man muss nicht alle Produkte und Werkzeuge kennen, aber eine Auswahl der wichtigsten. Es gibt viele Themenfelder, wo wir sagen müssen, wir beherrschen bestimmte Werkzeuge sehr gut, andere aber nicht. Wir bieten zum Beispiel neben unserem wichtigsten Partner SAP auch andere Technologien an, insbesondere wenn ein Kunde wie BMW dies wünscht. Natürlich fragt uns SAP: Muss das sein? Warum engagiert Ihr Euch für unseren Wettbewerber? Am Ende verstehen die aber, dass nicht wir, sondern unsere Kunden über die Produktauswahl entscheiden. Und wenn die eine andere Technologie wollen, dann müssen wir liefern können.

Ihr Kerngeschäft ist die Softwareentwicklung. Welche Trends sind bedeutsam? Cloud-native-Entwicklung? Frameworks? Low-Code?

Frohnhoff: Also Low-Code ist wirklich ein alter Hut, früher haben wir es Model-driven Development oder 4GL genannt. Sicher, da sind einige Dinge weiterentwickelt worden, aber es ist doch eher ein Hype. Aus unserer Sicht sind Frameworks besonders wichtig. Die Kunst besteht darin, die richtigen aus dem unglaublich breiten Angebot herauszufischen. KI ist auch ein wichtiger Treiber. Bild- und Spracherkennung, das sind Themen die längst funktionieren und angekommen sind. Wenn man aber wirklich die Geschäftsprozesse eines Unternehmens disruptiv verändern will, muss man sich tiefer reindenken. Im Gegensatz zu früher, als wir auch schon mit neuronalen Netzen und Expertensystemen experimentiert haben, können wir jetzt an unglaubliche Rechenpower gelangen. Es geht jetzt nicht mehr um das Werkzeug, es geht um den Use Case, die Killerapplikation. Und bei dieser Kreativleistung stehen alle noch am Anfang.

Welche Rolle spielen Containertechnologien für Ihr Geschäft?

Frohnhoff: Container sind ganz wichtige Technologietreiber, sie bieten einen gewaltigen Produktivitätshebel. Wenn es gilt, Entwicklung und Betrieb zusammenzubringen, also DevOps-Konzepte umzusetzen, um bessere und schnellere Betriebsabläufe umzusetzen, dann sind Container ein entscheidendes Bindeglied. Hier investieren wir viel, das Potenzial ist gewaltig. Auch wenn es beispielsweise gilt, große Legacy-Systeme mandantenfähig für viele Partner zu machen.

Was die Cloud angeht, haben wir die Lift-and-Shift-Welle gesehen, Anwendungen wurden und werden in die Cloud gehoben. Doch der eigentliche Schritt ist nun, Cloud-native-Anwendungen zu bauen. Erst dann können wir architekturell die Vorteile nutzen, die mir die Cloud bietet. Warum muss ich eine Authentifizierung und Autorisierung aus der Legacy-Anwendung verwenden? Es wird jetzt darum gehen, Cloud-native-Architekturen zu bauen und so die Vorteile zu nutzen.