Der ERP-Mittelstand sucht seine Nische

Kleinere Anbieter unter Druck

01.03.2004
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.

„In Sachen Information hat Brain seine Hausaufgaben erledigt“, bestätigt Christian Meisel, IT-Leiter der Rexnord-Kette und Sprecher der Fachgruppe Brain- Anwender im IBM-Anwenderverband Common, der die I-Series-, ehemals AS/400-Plattform, betreut. Auch die Versprechen im Rahmen der Produktentwicklung seien mit dem Release 2.2 eingehalten worden. Die Behauptung, dass Brain keine Kunden verloren habe, stimme jedoch nicht. Er kenne eine Reihe von Anwendern, die zwar noch die ERP-Lösung von Brain einsetzten, aber ihre Wartungsverträge gekündigt hätten.

Customizing bindet Kunden

Diesen Kunden sei die 20-prozentige Erhöhung der Wartungsgebühren für das ältere Release 1.2 zu viel gewesen, berichtet Meisel. Zwar lasse sich dieser Schritt insofern nachvollziehen, als eine kleinere Brain-Organisation nicht mehr in der Lage sei, viele Release-Stände parallel zu betreuen. „Der Umstieg auf eine aktuelle Version ist jedoch nicht trivial.“ Gerade bei langjährigen Brain-Anwendern sei die Software hochgradig an individuelle Kundenbedürfnisse angepasst.

Dieses Customizing, das letztendlich Migrationen erschwert, ist ein Pfund, mit dem die mittelständischen ERP-Anbieter wuchern können. Es sei der große Vorteil, dass fast jeder Kunde eine individuell an seine Bedürfnisse angepasste Software bekommt, erläutert Rüdiger Spies, Vice President für den Bereich Enterprise Applications bei der Meta Group. Aufgrund ihrer geringen Größe könnten die Softwareanbieter flexibel und schnell im Markt agieren, ergänzt Nils Niehörster, Geschäftsführer des Beratungshauses Raad Consult. Anwender müssten nicht erst einen Entwicklungsantrag stellen, der, wenn überhaupt, erst nach Monaten genehmigt werde. Bei den mittelständischen ERP-Anbietern könnten die Kunden viel direkter den Kurs beeinflussen „als bei einem Tanker wie SAP“.

Gefahr in der Nische

Den Rückzug in eine Marktnische mit einem eng begrenzten Branchenfokus bewerten die Experten als zweischneidig. So seien die mittelständischen ERP-Softwarehäuser durch ihre strikte Branchenorientierung zwar einerseits gut aufgestellt, urteilt Christian Glas, Analyst bei Pierre Audoin Consultants (PAC). Ohne den Fokus auf bestimmte Industrien würde das Geschäft überhaupt nicht funktionieren. Andererseits stünden viele Firmen vor dem Problem, dass bei einem immer tieferen Rückzug in die Nische letztendlich zu wenige Kunden übrig blieben, warnen Glas und Niehörster. „Das kann keiner überleben.“

Diese Einschätzung teilt Leo Ernst, Vorstand der Proalpha Software AG, nicht. Der ERP-Anbieter aus Weilerbach konzentriert sich mit den Branchen Industrie (diskrete Fertigung) und Handel sowie einer Ausrichtung auf gehobene mittelständische Betriebe mit 500 bis 1000 Mitarbeitern auf eine klar eingegrenzte, aber üppige Marktnische. Die Zahlen scheinen diese Strategie bislang zu bestätigen. So wies das Unternehmen für das abgelaufene Geschäftsjahr 2002/03 ein Umsatzwachstum von fünf Prozent auf 34,7 Millionen Euro aus. Am Ende der Bilanz stand ein Vorsteuergewinn von 2,1 Millionen Euro. „Seit acht Jahren schreibt Proalpha schwarze Zahlen“, berichtet Ernst stolz.

Trotz der soliden Zahlen könne man den Markt nicht als rosig bezeichnen, warnt Ernst. Die Pleiten des vergangenen Jahres seien jedoch hausgemacht. Die Verantwortlichen hätten keine Grenzen mehr gefunden und Fehlentscheidungen getroffen. Ähnlich sieht es Hannes Merten als Vorstandsvorsitzender der Soft M AG. Der Münchner ERP-Anbieter versucht derzeit über eine Kooperation mit T-Systems seine Partnerstrategie auszubauen. Dieses Bündnis bedeute jedoch keinen Strategiewechsel, betont Merten. Es sei wichtig für internationale Projekte und eine bessere Präsenz in Osteuropa. Der direkte Draht zum Kunden bleibe aber der wichtigste Schlüssel zum Geschäft.

Für die kommenden Jahre erwarten Ernst und Merten eine weiteren Konsolidierung des Marktes. Der Soft-M-Vorstand rechnet mit etwa zehn Anbietern, die im mittelständischen ERP-Geschäft übrig bleiben werden. Zwischen Microsoft, das in zwei bis drei Jahren den Markt mit einem neuen Produkt von unten angehen werde, und SAP, das den Mittelstand von oben anvisiere, werden nicht viele Anbieter Platz finden, prophezeit auch Ernst.

Durch die Initiativen von Microsoft und SAP wird die Luft im mittelständischen ERP-Markt dünner. Noch könne aber keine Rede davon sein, dass die beiden Großanbieter den mittelständischen ERPMarkt erdrücken, wie oft befürchtet wurde, meint Meta-Group- Analyst Spies. So habe SAP den Mittelstand längst nicht so gut im Griff wie das obere Marktsegment. „Sie bemühen sich, aber es dauert eben.“ Das Thema scheine in Walldorf nicht die höchste Priorität zu besitzen, so das Fazit des Analysten.

Konzentration hält an