IBM - die perfekte Selbstinszenierung

30.07.2003
Von 

Gerhard Holzwart begann 1990 als Redakteur der COMPUTERWOCHE und leitete dort ab 1996 das Ressort Unternehmen & Märkte.  Ab 2005 verantwortete er den Bereich Kongresse und Fachveranstaltungen der IDG Business Media GmbH und baute „IDG Events“ mit jährlich rund 80 Konferenzen zu einem der führenden Anbieter von ITK-Fachveranstaltungen in Deutschland aus. Seit 2010 ist Gerhard Holzwart geschäftsführender Gesellschafter der h&g Editors GmbH und ist in dieser Funktion als Event Producer, Direktmarketingspezialist und ITK-Fachredakteur tätig.        

Starke Zuwächse im Servicegeschäft

Schaut man sich die jüngsten IBM-Zahlen noch einmal genauer an, könnte man auf den ersten Blick ironisch feststellen: Diese Wahrheit verkauft sich offenbar gut. So gelang es zumindest IBM Global Services (IGS), im zweiten Quartal 2003 gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres um 23 Prozent auf ein Umsatzvolumen von 10,6 Milliarden Dollar zuzulegen. Wechselkursbereinigt ergab sich laut IBM im konzernweiten Geschäft mit IT-Dienstleistungen immer noch ein Wachstum von 14 Prozent. Dazu, wie dieser Vorjahresvergleich ohne die seit dem ersten Quartal 2003 in der Bilanz konsolidierten Zahlen von PWC aussähe, schwiegen sich die Armonker indes aus. Zur Erinnerung: Im zweiten Quartal 2002 hatte IGS ohne PWC einen Umsatz von 8,7 Milliarden Dollar ausgewiesen. Tatsache ist jedenfalls, dass Big Blues Servicesparte im aktuellen Berichtszeitraum wie schon im Vorquartal etwa so viel zu den Konzerneinnahmen beisteuerte wie alle übrigen Geschäftsbereiche zusammen.

Für Jean-Christian Jung vom Marktforschungsunternehmen Pierre Audoin Conseil (PAC) ist dies nicht weiter verwunderlich. Seiner Schätzung nach muss man den Umsatz, den die früheren PWC-Aktivitäten zu den Einnahmen von IBM Global Services beisteuern, auf knapp fünf Milliarden Dollar taxieren. Ein nicht unerheblicher Teil davon sei originäres Geschäft von PWC, also zugekaufter Umsatz hauptsächlich in Form von Business-Process-Consulting, der Rest entfalle auf Verträge, die IGS „im Verbund mit PWC“ abschließen konnte - also in erster Linie große Outsourcing-Deals mit einer großen, vorgeschalteten Beratungskomponente sowie das eine oder andere aufwändige SAP-Projekt.

Grundsätzlich bewertet der PAC-Experte die Übernahme von PWC gerade unter dem aktuellen Slogan der IBM, Rechnerleistung nach Bedarf anzubieten, als „langfristig sinnvolle Strategie“. Denn das Konzept, dass zunächst hinter dem E-Business-on-Demand stecke, spreche nicht die CIOs, sondern die CEOs an. Nicht umsonst seien daher momentan die früheren PWC-Partner die „wichtigsten Account-Manager“ der Armonker. Allerdings stelle das meiste, was die IBM heute als On-Demand-Computing interpretiere, lediglich ein neues Marketing-Konzept dar, das „auf einer nachhaltigen Flexibilisierung von Outsourcing-Verträgen“ basiere. Mittelfristig müsse Big Blue daher nachlegen; die technischen Möglichkeiten in puncto Server-Konsolidierung und erste branchenspezifische Ansätze von Grid-Computing genügten nicht.

Den Vorwurf, der in dem erwähnten „CIO“-Artikel durchschimmerte, wonach IBM mit „E-Business-on-Demand“ seinen unangefochtenen Status als IT-Vollsortimenter und weltweit größter IT-Dienstleister lediglich neu etikettiere, lässt Jung nicht gelten. Der Konzern wandle sich - wie von CEO Palmisano angekündigt - „glaubhaft vom Technologie- zum Business-Partner seiner Kunden“ und mache auf diese Weise „seine eigene Wertschöpfungstiefe“ besser geltend.
Dass Big Blue im Zuge der mit dem On-Demand-Computing-Konzept verbundenen noch stärkeren Serviceausrichtung auch ein Risiko eingeht, will der PAC-Experte indes nicht bestreiten. So könnte mittelfristig die erkennbare Absicht, große Kunden-Accounts nun hauptsächlich aus Sicht der Geschäftsprozesse zu betreuen, auch dazu führen, „dass man vergisst, die eigenen Produkte zu verkaufen“, spielt Jung etwas salopp auf den Umstand an, dass bei der IBM derzeit im Vertrieb nicht unbedingt die Techniker das Sagen haben. Zudem habe es auch der Branchenführer längst mit den aktuellen Problemfeldern im IT-Dienstleistungsgeschäft zu tun - etwa dem Preisverfall im klassischen Outsourcing-Geschäft sowie der Zurückhaltung vieler Kunden, was große Systemintegrations-Projekte angeht.

Glaubt man Branchenkennern wie Jung, dürfte sich das konzernweite organische Wachstum der IBM auch mittelfristig in Grenzen halten, denn auch in Zukunft hängt bei Big Blue alles vom Dienstleistungsgeschäft ab. Vielleicht sollte man an dieser Stelle noch erwähnen, dass die Probleme, die der Branchenführer womöglich sonst noch hat, auf der Basis der jüngsten Quartalszahlen weitgehend die alten sind: Ein erneut - wenn auch nur geringfügig - rückläufiger Hardwareumsatz von 6,6 Milliarden Dollar, ein PC-Geschäft, das mit 2,7 Milliarden Dollar und damit 12,5 Prozent des Gesamtumsatzes beim besten Willen nicht mehr als strategisch bezeichnet werden kann - und eine Software-Business-Unit, die um sechs Prozent auf vergleichsweise geringe 3,5 Milliarden Dollar zulegen konnte. Man kann die zweischneidige aktuelle Performance des Branchenführers aber auch an einem anderen Brennpunkt des Marktgeschehens festmachen: So gelang es der IBM in den letzten Monaten zwar, ihre Position im Middleware- und Datenbankmarkt gegenüber den dort lange Zeit führenden Anbietern Bea Systems und Oracle auszubauen; gleichzeitig erwarten aber viele Experten gerade im Integrationsgeschäft ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen .NET (Microsoft) und Websphere (IBM).

Der Vorteil der Armonker könnte unter dem Strich jedoch sein, dass ihnen bei ihrem zentrierten Serviceansatz (wieder einmal) die gesamte Branche folgen muss. Wenn die komplette Zunft der IT-Dienstleister und -Beratungshäuser leidet, leidet Big Blue mit - aber auf weitaus höherem Niveau. So betrachtet gelte, wie die US-Ausgabe des „CIO“ sinngemäß feststellt, die Formel vom On-Demand-Computing auch als perfekte Selbstinszenierung. Dass die Anwender dabei wieder neue Visionen und neues Zutrauen in die IT entwickeln müssen, wollte auch Irving Wladawsky-Berger, Chef der On-Demand-Sparte von IBM, gegenüber der CW-Schwesterpublikation nicht bestreiten. E-Business-on-Demand sei, so der Manager, eine „Langzeitvision“. Entscheidend sei, ob man dabei „bei Null oder auf einer bereits etablierten Basis“ beginne.