IBM - die perfekte Selbstinszenierung

30.07.2003
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Gerhard Holzwart begann 1990 als Redakteur der COMPUTERWOCHE und leitete dort ab 1996 das Ressort Unternehmen & Märkte.  Ab 2005 verantwortete er den Bereich Kongresse und Fachveranstaltungen der IDG Business Media GmbH und baute „IDG Events“ mit jährlich rund 80 Konferenzen zu einem der führenden Anbieter von ITK-Fachveranstaltungen in Deutschland aus. Seit 2010 ist Gerhard Holzwart geschäftsführender Gesellschafter der h&g Editors GmbH und ist in dieser Funktion als Event Producer, Direktmarketingspezialist und ITK-Fachredakteur tätig.        

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Einmal mehr hieß es für die IBM zuletzt: Business as usual. Das zweite Quartal war gut. Doch hinter dem Zahlenwerk verbergen sich nicht nur die Vorteile eines schwachen Dollars. Dem Konzern fällt es schwer, organisch zu wachsen. Trotzdem schickt sich Big Blue an, die Branche mit seinem Verständnis von On-Demand-Computing zu revolutionieren.
Foto: IBM
Foto: IBM

Reine Routine: CEO Samuel Palmisano (Foto) und Finanzchef John Joyce sprachen angesichts eines rund zehnprozentigen Umsatzzuwachses und einer im Vorjahresvergleich überdurchschnittlichen Ergebnissteigerung von einem „soliden Quartal“, warnten jedoch gleichzeitig vor den „unverändert schwierigen Marktbedingungen“. Auch sonst gefielen sich beide IBM-Manager vor gut zwei Wochen im Ritus üblicher Bilanzinterpretationen. Man habe im Asien- und Europa-Geschäft vom schwachen Dollar profitiert, gleichzeitig hätten sich Akquisitionen sowie Kosteneinsparungen positiv auf Umsatz und Ertrag ausgewirkt.

Auch die Analysten ließen die jüngsten IBM-Ergebnisse kalt. Die Wallstreet schloss sich der Interpretation eines „soliden Quartals“ an - Hauptsache, so schien es, Big Blue sorgt nicht für weitere Hiobsbotschaften, die die Stimmung an den ohnehin sehr fragilen Hightech-Märkten wieder nach unten ziehen. So wundert es kaum, dass ein Kommentar der US-amerikanischen Investmentbank Fulcrum Global Partners, der sonst für Schlagzeilen gesorgt hätte, weitgehend unbeachtet blieb. Allein die positiven Währungseffekte hätten dem Branchenführer 50 bis 60 Prozent der für die aktuelle Berichtsperiode ausgewiesenen Umsatzsteigerung beschert, hieß es dort. Der Rest des Konzernwachstums sei, so Fulcrum-Analyst Robert Cihra, auf den Kauf der Consulting-Sparte von Pricewaterhouse-Coopers (PWC) sowie von Rational Software zurückzuführen. Cihras Fazit ist daher eindeutig: „IBM kann so gut wie kein organisches Wachstum vorweisen und wird, wenn sich daran nichts ändert, in Zukunft Probleme bekommen.“
Die Frage, ob und wann Big Blue gegebenenfalls in Schwierigkeiten geraten wird, ist indes nicht ganz neu. Schon Mitte bis Ende der 90er Jahre, als sich der Rest der IT-Branche im Glanz meist zweistelliger Expansion sonnte, begnügten sich die Armonker unter dem früheren CEO Louis Gerstner mit vergleichsweise bescheidenen Zuwächsen. Insgeheim waren, so der damalige Eindruck von Beobachtern, die Konzernverantwortlichen schon zufrieden damit, die existenzielle Krise zu Beginn der 90er Jahre, als man den PC- und Downsizing-Trend verschlafen hatte, gemeistert und die Position als größter IT-Anbieter und -Dienstleister verteidigt zu haben.

IBM nimmt die Rolle des „IT-Versorgers“ ein

Jetzt, unter der Ägide von Gerstner-Nachfolger Palmisano, stellt sich das Ganze anders dar: Nicht nur die Konsolidierung des eigenen Produktportfolios (Hardware, Betriebssysteme) bei gleichzeitiger Eroberung neuer Märkte (Internet, Middleware), sondern die komplette Neupositionierung des Konzerns als „IT-Versorger“ und Business-Partner seiner Kunden steht auf der Agenda. So hatte es Palmisano bei seiner ersten Grundsatzrede im Oktober vergangenen Jahres sinngemäß gefordert, und so hat sich seither dank einem entsprechenden Marketing die neue Leitlinie der IBM vom „E-Business-on-Demand“ innerhalb der IT-Branche verbreitet.

„Ein Vertriebszentrum steht still wegen eines Unwetters. Der Vertrieb geht weiter. Sehen Sie es?“ Mit Werbung dieser Art transportieren die Armonker seit Monaten ihre Botschaft in den Markt, die, würde man sie auf den eben zitierten Spot münzen, eigentlich in die Frage gekleidet sein müsste: Merken Sie es überhaupt? Mit anderen Worten: IBM präsentiert sich innerhalb der IT-Industrie mehr denn je als das Synonym für Partnerschaft, Verlässlichkeit und Kostenersparnis.

Das Problem dieser Botschaft ist nur, dass sie, wie die US-amerikanische CW-Schwesterpublikation „CIO“ unlängst feststellte, bei CEOs und CIOs in völlig unterschiedlicher Weise ankommt. Mit fatalen Ergebnissen: Denn in dem Maße, wie die Unternehmensvorstände im On-Demand-Computing der IBM eine Möglichkeit sehen, die „IT-Kosten weitgehend aus ihren Büchern zu eliminieren“, stehe das IT-Management zunehmend vor der Herausforderung, seine alten Probleme, nämlich den Wildwuchs an Applikationen und die zu geringe Auslastung vorhandener Rechnerleistung, „mit Hilfe noch in den Kinderschuhen steckender neuer Technologien und Konzepte zu lösen“, schreibt das Blatt. Vielfach werde dabei vergessen, dass Big Blue auch mit einer der Verursacher der alten Probleme sei. Doch dem Marketing des Branchenführers tue dies keinen Abbruch, heißt es weiter. „Die IBM verkauft nun die Wahrheit. Und die Wahrheit ist, dass die IT bis dato keines ihrer Versprechen, die sie gegenüber ihren Unternehmenskunden gemacht hat, halten konnte.“