Das Home Office muss zur Workforce passen

Generation Y braucht andere Führung und Arbeitsmodelle

26.12.2015
Von 
Olaf Kempin ist Mitgründer und Co-Geschäftsführer des Darmstädter Personaldienstleisters univativ. Er beschäftigt sich mit Fragen rund um die Personalwirtschaft und den Arbeitsmarkt.
Mit der Digitalisierung und Generation Y bekommt die Arbeit ein anderes Gesicht. Nicht nur das klassische Büro hat als Arbeitsplatz ausgedient, sondern auch die Arbeitszeit als Leistungsmaßstab. Was zählt, sind Ergebnisse. Diese Entwicklung hin zum flexiblen Arbeiten stellt HR-Manager und Führungskräfte vor neue Aufgaben. Sie müssen die richtige Balance zwischen Home Office und physischer Präsenz finden.
  • Die Digitalisierung erfordert einen neuen Führungsstil.
  • Nicht jedes Unternehmen kann jeden Prozess komplett digitalisieren.
  • New-Work-Strukturen müssen aus der Unternehmensführung kommen.

In fünf Jahren werden 50 Prozent der Erwerbstätigen der Generation Y angehören, im Jahr 2030 rund 75 Prozent. Diese Generation der zwischen 1977 und 1998 Geborenen hat konkrete und für die Personalabteilungen noch ungewohnte Ansprüche an ihr Arbeitsumfeld. Sie wünschen sich Flexibilität, Home Office und Selbstverwirklichung. In Zeiten des zunehmenden Wettbewerbs um Fachkräfte müssen Unternehmen diesen Wünschen immer stärker Rechnung tragen, um qualifizierte Mitarbeiter zu gewinnen und langfristig zu binden.

Das Büro als physischer Arbeitsort verliert gegenüber dem Home Office weiter an Bedeutung.
Das Büro als physischer Arbeitsort verliert gegenüber dem Home Office weiter an Bedeutung.
Foto: Marcos Mesa Sam Wordley -shutterstock.com

Digitalisierung mit Augenmaß

Die Flexibilität, die diese neuen Mitarbeiter verlangen, erfordert innerhalb der Unternehmen innovativere und schnellere Prozesse. Arbeitgeber können dabei nicht jeden Trend uneingeschränkt mitmachen, denn nicht alles, was technisch möglich ist, ergibt letzten Endes auch Sinn. Der Grund: Jede Firma bringt andere Voraussetzungen mit, wie beispielsweise die individuelle Unternehmenskultur, technische Infrastruktur oder auch Betriebsgröße, die für die Umsetzung von Innovationen von Bedeutung sind. Zukünftige strategische Überlegungen sollten daher die neuen Entwicklungen berücksichtigen und im Vorfeld analysieren, welche eine Implementierung wert sind. Nicht jedes Unternehmen kann jeden Prozess komplett digitalisieren. Es ist deshalb wichtig, herauszufinden, in welchen Bereichen die Einführung oder der Ausbau digitaler Technologien tatsächlich zweckmäßig ist.

Wer jedoch untätig bleibt und die Digitalisierung der Arbeitswelt als unwichtig oder nicht dauerhaft ansieht, wird sich langfristig nicht auf dem Markt behaupten können. Ein gutes Beispiel hierfür ist das Versandhaus Quelle. Einst war es eines der erfolgreichsten Handelsunternehmen in Deutschland, aber das Management verschlief den Wandel zum Online-Handel und setzte weiter auf gedruckte Kataloge wie vor 20 Jahren. Mitbewerber wie Otto hatten so keine Schwierigkeiten, den Konkurrenten zu verdrängen. Quelle lieferte einfach nicht den Service, an den sich die Kunden bei anderen Anbietern gewöhnt hatten. So weitete Quelle beispielsweise sein Angebot erst sehr spät auf das Internet aus und verprellte die jüngere Zielgruppe, weil es an seinem verstaubten Versandhausimage festhielt. Wer also heute auf dem Markt etabliert ist, muss es morgen noch lange nicht sein, wenn die Strategie nicht zukunftsgerichtet und innovationsfeindlich ist.

Mitarbeiterbindung durch Flexibilität

Das gilt auch und insbesondere für die Gewinnung und Bindung geeigneter Mitarbeiter. Gerade wenn es um die flexible Gestaltung von Arbeitszeiten und -orten geht, haben sich die Ansprüche der Arbeitnehmer sehr verändert. Potenzielle Mitarbeiter sprechen diese Punkte bereits in Bewerbungsgesprächen an. Sie sind zu entscheidenden Gründen für oder gegen einen Job geworden. Um auf diese Erwartungshaltung angemessen reagieren zu können, brauchen Unternehmen kluge Lösungsansätze, denn im Kampf um Talente können sie ihren Mitarbeitern diese Optionen nicht mehr grundsätzlich ausschlagen.

Das Büro verliert weiter an Bedeutung

Auch die Bedeutung des physischen Arbeitsortes Büro wird sich in den kommenden Jahren verändern. Da immer weniger Arbeitszeit dort verbracht werden muss, entwickelt es sich mehr zu einer Begegnungsstätte und wird auch ein Ort für den Austausch sowie zur Pflege der Unternehmenskultur. Hierfür ist kein erlebnisparkähnlicher Google-Campus notwendig, allerdings müssen die Räumlichkeiten attraktiver und einladender sein als das stereotypische Büro mit Neonröhre und einsamer Yucca-Palme. Die Mitarbeiter sollen sich dort aufhalten wollen, wenn sie Ruhe, Kommunikation und Inspiration suchen.

Führungskräfte als Träger der Unternehmenskultur

Da sich die Mitarbeiter durch Home Office und die unterschiedlichsten Wohnorte nicht mehr täglich persönlich begegnen, ist ein weiterer Faktor von enormer Bedeutung: Führung. Durch die vielen individuellen Arbeitsbedingungen laufen Unternehmen Gefahr, ihre identifikationsstiftende Kultur zu verlieren, die gemeinsame Mitte. Es gibt keine gemeinsame Kaffeepause mehr, in der man sich trifft und unterhält, keinen Büronachbar mehr, zu dem man auf ein Schwätzchen rüberhuscht. Diese auf den ersten Blick nebensächlichen Kontaktpunkte stärken aber den Zusammenhalt und fördern unter Mitarbeitern ein Wir-Gefühl. Um ein lockeres Konglomerat an beinahe zufällig interagierenden Personen ohne wirklichen Mittelpunkt zu vermeiden, bedarf es eines völlig neuen Führungsstils.

Die rein fachliche Bedeutung von Führungskräften wird nach Ansicht der Zukunftsforschers Markus Klups abnehmen. Sie werden, so Klups, stattdessen dafür verantwortlich sein, ein "schwirrendes Miteinander" als Team zusammenzubringen und zu binden, um so die Unternehmenskultur zu gestalten. Die Krux liege darin, maximal flexibles Arbeiten bei dennoch nötiger physischer Präsenz und maximalem Austausch zu ermöglichen.

Mitarbeiter werden an Ergebnissen gemessen

Dabei werde es für Führungskräfte unerlässlich sein, Vertrauen und Transparenz zu fördern. Je flexibler das Arbeiten werde, desto ergebnisorientierter müssen die Arbeitnehmer sein. Dies gelinge, so der Zukunftsforscher, mit dem Abstecken individueller Ziele, da der Weg zum Ziel zunehmend vom Mitarbeiter gewählt werde. Die Messlatte liegt demnach in Zukunft nicht mehr auf der Zeit, die die Mitarbeiter im Büro verbringen. Vielmehr würden sie an den Ergebnissen gemessen werden, die sie erzielten. Ohne Vertrauen und Transparenz, so Klups, lasse sich dieses neue Arbeitsmodell aber nicht stabil umsetzen.

Change Management ist Chefsache

Neue Arbeitsmodelle bringen also eine sehr anspruchsvolle Managementaufgabe mit sich. Das Change Management bis hin zu New-Work-Strukturen sollten deshalb immer aus der Unternehmensführung kommen und im Einklang mit strategischen Zielen etabliert werden. Klups rät Unternehmen zu einer systematischen Herangehensweise. Statt mit Einzelmaßnahmen auf HR-Trends wie Home Office aufzuspringen, sollte der Weg zu einer zukunftsfähigen Workforce sorgfältig geplant sein. Nach der Analyse der Trends folge die Prüfung der Relevanz für das eigene Unternehmen und den Geschäftsbereich. Die Erkenntnisse müssen dann in einzelne Handlungsfelder und Maßnahmen heruntergebrochen werden, um sie schrittweise umzusetzen.

Die Vorreiterrolle der Führungskräfte ist von zentraler Bedeutung. Wenn die Chefetage Veränderungen und den Fortschritt vorlebt, sind die Mitarbeiter auch wesentlich schneller bereit zu folgen. So können Unternehmen gesund und langfristig mit der Digitalisierung Schritt halten, ohne zu viel Aufwand in Trends zu investieren, die langfristig nicht erfolgreich sind. (pg)