Nicht immer ist Kontrolle ein Muss

Geldanlage: Wann handelt der Kunde grob fahrlässig?

30.05.2011
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Renate Oettinger war Diplom-Kauffrau Dr. rer. pol. und arbeitete als freiberufliche Autorin, Lektorin und Textchefin in München. Ihre Fachbereiche waren Wirtschaft, Recht und IT. Zu ihren Kunden zählten neben den IDG-Redaktionen CIO, Computerwoche, TecChannel und ChannelPartner auch Siemens, Daimler und HypoVereinsbank sowie die Verlage Campus, Springer und Wolters Kluwer. Am 29. Januar 2021 ist Renate Oettinger verstorben.

Aushändigung des Prospekts reicht aus

Der BGH entschied, dass ein Anlageinteressent regelmäßig auf die Richtigkeit und Ordnungsmäßigkeit der ihm erteilten Anlageberatung vertrauen und ihm eine unterbliebene "Kontrolle" dieser Beratung durch Lektüre des Prospekts deshalb nicht ohne weiteres als grobe Fahrlässigkeit vorgehalten werden dürfe. Zwar komme dem Anlageprospekt in aller Regel eine große Bedeutung für die Information des Anlageinteressenten über die ihm empfohlene Kapitalanlage zu.

Sofern der Prospekt geeignet sei, die nötigen Informationen wahrheitsgemäß und verständlich zu vermitteln, und er dem Anleger rechtzeitig vor Vertragsschluss überlassen worden sei, könne die Aushändigung eines Prospekts im Einzelfall ausreichen, um den Beratungs- und Auskunftspflichten Genüge zu tun. Es liege daher zweifellos im besonderen Interesse des Anlegers, diesen Prospekt eingehend durchzulesen.

Andererseits misse der Anleger, der bei seiner Anlageentscheidung die besonderen Erfahrungen und Kenntnisse eines Anlageberaters oder Anlagevermittlers in Anspruch nehme, den Ratschlägen, Auskünften und Mitteilungen des Anlageberaters oder -vermittlers, die dieser ihm in einem persönlichen Gespräch unterbreitet, ein besonderes Gewicht bei. Die Prospektangaben, die notwendig allgemein gehalten seien und deren Detailfülle, angereichert mit volks-, betriebswirtschaftlichen und steuerrechtlichen Fachausdrücken, viele Anleger von einer näheren Lektüre abhalte, treten demgegenüber regelmäßig in den Hintergrund.

Vertraue daher der Anleger auf den Rat und die Angaben "seines" Beraters oder Vermittlers und sehe er deshalb davon ab, den ihm übergebenen Anlageprospekt durchzusehen und auszuwerten, so sei darin im Allgemeinen kein in subjektiver und objektiver Hinsicht "grobes Verschulden gegen sich selbst" zu sehen. Unterlasse der Anleger eine "Kontrolle" des Beraters oder Vermittlers durch Lektüre des Anlageprospekts, so weise dies auf das bestehende Vertrauensverhältnis zurück und sei daher für sich allein genommen nicht schlechthin "unverständlich" oder "unentschuldbar".

Eine andere Betrachtungsweise stünde zum einen in einem Wertungswiderspruch zur Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Frage des anspruchsmindernden Mitverschuldens. Zum anderen würde sie den Anleger unangemessen benachteiligen und seinen Schadensersatzanspruch oftmals leer laufen lassen. Denn die Risiken und Nachteile einer Kapitalanlage wirkten sich vielfach erst einige Jahre nach dem Erwerb finanziell spürbar aus (Reduzierung oder gar Wegfall von Ausschüttungen etc.).