Firmen-Blogs zwischen PR und freier Rede

16.11.2005
Von Constantin Gillies

Online-Kollegenschelte

Richtlinien gibt es zwar, eigentlich sind sie hierzulande aber überflüssig, da das deutsche Arbeitsrecht den Bloggern ohnehin die Hände bindet. "Es gehört zur Treuepflicht des Arbeitnehmers, nicht über Vertrauliches in der Öffentlichkeit zu sprechen", erklärt Stefan Simon, Arbeitsrechtsexperte bei der internationalen Anwaltskanzlei Clifford Chance, Frankfurt am Main, "dabei spielt es keine Rolle, ob dies per Telefon, E-Mail oder Weblog geschieht". Wer echte Betriebsgeheimnisse ausplaudert, steht mit einem Bein auf der Straße. Dazu gehören etwa Händlerlisten, Details aus Verträgen oder Personalangelegenheiten.

Donatus Schmid, Sun: "Das Verfassen eines Weblogs lässt sich nicht delegieren."
Donatus Schmid, Sun: "Das Verfassen eines Weblogs lässt sich nicht delegieren."

Anders sieht die Sache bei Online-Kollegenschelte aus. Wer seinem Tagebuch Anvertraut, "Abteilungsleiter Müller spinnt", wird nicht sofort entlassen. Das Landesarbeitsgericht Köln (2 SA 816/03) etwa ließ im Fall einer Sekretärin, die in einer E-Mail über ihren Chef hergezogen hatte, Milde walten: Eine fristlose Kündigung sei nicht gerechtfertigt, beschieden die Richter. Lässt sich dagegen jemand in seinem Weblog zur echten Beleidigung hinreißen, kann das Schadensersatzansprüche und die Kündigung zur Folge haben.

Aber was passiert, wenn der Mitarbeiter nur sachliche Kritik, etwa an einem Produkt aus dem eigenen Haus äußert? "Wir erwarten von jedem Microsoftie, dass er dem gesunden Menschenverstand folgt", erklärt Sprecherin Steiger. Ein anderer Firmensprecher bringt es auf den Punkt, will aber nicht zitiert werden: "Wer bloggt sich schon um den eigenen Arbeitsplatz?"

Zahnlose Tiger?

Genau deshalb sind Corporate Weblogs oft zahnlose Tiger. Allzu häufig lautet nämlich die unausgesprochene Blogging-Richtlinie wie ein bekanntes Mainzer Karnevalsmotto: "Allen wohl und keinem weh." Kritiker sehen hier die Grenzen des Mediums. "Warum soll ich im Corporate Weblog schreiben, was ich auf anderen Kanälen besser kommunizieren kann?", gibt Katja Schleicher, Pressechefin bei Logitech, München, zu denken. Der bekannte Hersteller von PC-Peripherie setzt deshalb auf ein anderes Modell: Logitech lässt ein Weblog von Technikjournalisten verfassen. "Hier geht es nicht um Produkte, sondern um Trends und Tendenzen zum Thema Digital Lifestyle, so Schleicher. Tatsächlich ähnelt das Logitech-Journal eher magazinartigen Blogs wie Gizmodo oder Engagdet.

Was bleibt also übrig vom Unternehmens-Blogging? Muss jeder Mittelständler künftig bei der Nabelschau im Netz mitmachen? "Sicher nicht", sagt Proximity-Chef Nitsche, "das muss schon zur Kultur passen." Auch wer selbst kein Online-Tagebuch führe, solle aber die Szene beobachten. "Wir haben herausgefunden, dass 90 Prozent der User von Firmen erwarten, dass sie Blogs lesen und auf Einträge antworten", so Nitsche.

Blogging-Richtlinien

  • Identifizieren Sie sich mit Namen und - wenn relevant - Position bei IBM.

  • Sie müssen klar machen, dass sie im eigenen und nicht im Namen von IBM sprechen.

  • Wenn Sie sich in einem Blog außerhalb von IBM äußern, verwenden Sie einen solchen Disclaimer: "Die Postings auf dieser Seite repräsentieren nicht notwendigerweise Positionen, Strategien oder Meinungen von IBM."

  • Respektieren Sie das Copyright und Veröffentlichungsregeln des Aktienrechts.Fragen Sie um Erlaubnis, bevor Sie Berichte oder Gespräche veröffentlichen, die für den privaten oder internen Bereich bestimmt sind.

  • Nennen Sie keine Kunden, Partner oder Zulieferer von IBM ohne vorherige Zustimmung.

  • Respektieren Sie Ihr Publikum. Äußern Sie keine Obszönitäten oder persönlichen Beleidigungen und seien Sie sensibel gegenüber Themen, die umstritten oder provozierend sind - wie Politik oder Religion.Finden Sie heraus, wer noch zum Thema bloggt, und zitieren Sie ihn.

  • Brechen Sie keinen Streit vom Zaun. Korrigieren Sie eigene Fehler als erster und verändern Sie keine früheren Einträge ohne entsprechenden Hinweis.

  • Schaffen Sie Wert. Stellen Sie lesenwerte Informationen und Perspektiven zur Verfügung.

(Quelle: IBM, Übersetzung Constantin Gillies, gekürzt)

Wie wenig sich Konzerne innerlich auf die Dialogkultur einlassen, zeigt das Beispiel Boeing. "Alle Mann antreten zum Bloggen", muss es wohl beim amerikanischen Flugzeughersteller geheißen haben. Zu den Rekrutierten gehört auch Marketing-Chef Randy Baseler, der seit einiger Zeit die lesende Öffentlichkeit an seinen Gedanken teilhaben lässt. Allerdings sind die stark werblichen Beträge nicht gut angekommen. Den Stil beschreibt ein anderer Blogger mit dem Vergleich "wie Papa in der Disco". Völlig uncool eben - und obendrein langweilig. Als sein oberster Chef Harry Stonecipher wegen einer Affäre mit einer Mitarbeiterin gefeuert wurde, vermerkte Baseler mit vierzehntägiger Verspätung in seinem Blog: "Wir hatten hier ein paar interessante Wochen."