Die 10 wichtigsten Fragen

ERP-Business-Alignment - Risiko "Missing Link"

27.04.2010
Von Andreas Suter und Frank Höning

Bildergalerie: Missing-Links und Sprachwirrwar

Wesentliche und zwingende Voraussetzung für das Gelingen eines ERP-Projekts ist die Einsicht, dass es sich bei einem ERP-Projekt primär um ein Organisations- und nicht um ein IT-Projekt handelt. Doch genau dieses Verständnis fehlt in den meisten Unternehmen. Weil auf der Geschäftsleitungsebene das ERP-Verständnis meistens fehlt, wird die Einführungsaufgabe an die IT-Abteilung delegiert und diese schiebt sie an den externen Implementierungspartner weiter. Entsprechend fehlt auch die systematische Verbindung zwischen der Geschäftsstrategie und dem ERP-System (siehe Abbildung 1 in der Galerie). Zu dieser Verbindung gehört das Geschäftsmodell, welches intern die Wertschöpfungskette organisiert und die Ergebnisrechnung - also das Berichtsmodell - entscheidend bestimmt.

"Missing Link" zwischen Geschäftsstrategie und ERP-System

Die Folge dieses "Missing Link" ist, dass die implementierte Lösung an den spezifischen Geschäftsanforderungen (im Sinne des SOLL) vorbeigeht und bloß die vorherrschende Betriebskomplexität (im Sinne des IST) im System zementiert. Notwendige Organisationsoptimierungen werden erst gar nicht angegangen, sondern das Heil wird vielmehr in sogenannten "Best-Practice"-Ansätzen oder vermeintlichen Standardlösungen gesucht. Damit bleiben die Umsetzung der Strategie und ein adäquates Berichtswesen auf der Strecke. Mit der teuer eingekauften ERP-Lösung werden meistens nur noch die komplexen Abläufe abgebildet. Doch was bringt letztlich die Information, dass die dem Kunden zugesagte Lieferzeit erneut nicht eingehalten wird? Oder dass die rapportierten Kostenwerte nur mit aufwendigen Schattenrechnungen im Excel aussagekräftig sind?

Nutzen Sie auch die Hintergrundanalysen aus unserer B-to-B-Whitepaperdatenbank:

Natürlich könnte man die im Vorprojekt transparent gewordene Komplexität zum Anlass nehmen, Abläufe und Strukturen zu vereinfachen und konsistent auf die Geschäftsstrategie auszurichten; doch dazu fehlt meistens die Zeit, und man hätte die Erneuerung von Organisation und Prozessen weit vor der Einführung des neuen Systems in die Wege leiten müssen.

Babylonisches Sprachenwirrwarr

Verschärft wird die Situation in ERP-Projekten durch den "Missing Link" in der Kommunikation, nämlich durch unterschiedliche Begriffsverständnisse zwischen der realen Unternehmenswelt und der virtuellen IT-Welt. Zu oft meint man, es werde vom selben gesprochen.

In der realen Unternehmenswelt ist ein Prozess ein Vorgang, der der Wertschöpfungskette folgt und die Transformationen von Produkten und Dienstleistungen beschreibt - meistens auf der Makroebene von realen Organisationseinheiten. In der IT dagegen steht beim Prozess die datenmäßige Transaktion im Vordergrund - oft schon auf der Mikroebene der virtuellen Datenverarbeitung. Diese IT-Prozesse beschreiben vor allem die Interaktionen zwischen den Prozessen der realen Welt. So betrachtet, liegen die IT-Prozesse sozusagen quer zu jenen der realen Welt.

Auch der Begriff der Organisation hat in der Welt der Softwarehersteller eine eigene Bedeutung, beispielsweise bei SAP die Systemaufsetzung nach Instanzen, Mandanten, Profitzentren, Sparten, Werken, Lager etc. Diese Bezeichnungen müssen überhaupt nicht mit der Unternehmenswelt übereinstimmen. Logischerweise ergeben die Doku-mente, welche die Organisation und die Prozesse eines Unternehmens beschreiben, selten ein konsistentes Bild, weil sie aus unterschiedlichen Welten stammen. Bilden sie die Basis für Organisations- oder IT-Projekte, sind Missverständnisse programmiert. Abbildung 2 zeigt exemplarisch das Begriffsverständnis von drei Begriffen in der realen sowie in der IT-Welt, horizontal eingeordnet auf den jeweiligen Bezugsrahmen.

Unser Ratschlag: Zu Beginn des ERP-Projekts wird ein Glossar mit den betriebswirtschaftlichen Schlüsselbegriffen erarbeitet. Statt langen Begriffsdefinitionen sollen dabei Bilder Klarheit schaffen.

Weil der "Missing Link" nicht top-down geschlossen wird, lassen viele Unternehmen ihre Geschäftsprozesse durch ihre Bereiche und Abteilungen sozusagen "bottom-up" bestimmen und in der sogenannten Prozesslandkarte zusammentragen. Natürlich wird damit auch die Absicht verfolgt, die Akzeptanz der Prozesse zu erhöhen. Ergebnis solcher "bottom-up"-Verfahren sind allerdings Prozesslandkarten mit Prozessen, welche an den organisatorischen Bereichs- bzw. Abteilungsgrenzen jeweils starten und wieder enden. Hinzu kommt, dass mit den Prozesslandkarten zwar zahlreiche Prozesse - nach welcher Methodik und welchem Tool auch immer - identifiziert werden, die entscheidenden Verbindungen zwischen den Prozessen jedoch ungeklärt bleiben. Doch gerade an den Schnittstellen zwischen den Geschäftsprozessen entsteht organisatorische Komplexität.