Prozesse und Strukturen aufbrechen

Die größten Innovationsfallen

17.10.2012
Von Jens-Uwe Meyer

Die größten Innovationsfallen II

Die Trägheitsfalle

Prozessoptimierung, Kostenoptimierung, Lean Management: Das waren die Schlagwörter der 90er- und frühen 2000er-Jahre. Arbeitsabläufe wurden systematisch gescannt, jede überflüssige Handbewegung untersagt und jede Tätigkeit in genau definierte Prozessabläufe gezwängt. Das hat bis heute einen positiven Effekt: Unternehmen können das operative Geschäft viel schneller, besser und billiger als andere beherrschen. Die Kehrseite ist: Es bleibt kaum Zeit, über neue Wege nachzudenken. Anders gesagt: Man ist so sehr damit beschäftigt, den operativen Ergebnissen nachzujagen, dass man sich kaum fragt, ob dies noch sinnvoll ist.

Gerade Unternehmen, die durch starre Strukturen und feste Prozessabläufe sehr erfolgreich wurden, sind häufig kaum in der Lage, sich außerhalb dieser Prozesse zu bewegen. Mitarbeiter, die mehr als zehn Jahre vor allem in ihren Prozessen zu funktionieren hatten, werden nicht über Nacht zu kreativen Querdenkern und Revolutionären. Selbst wenn dieses Potenzial einmal in ihnen schlummerte, es wurde schlicht und ergreifend nicht gefördert. Solche Betriebe sind heute so flexibel wie Betonmauern. Und weil sie so unbeweglich geworden sind, schaffen sie es kaum, aus der Trägheitsfalle wieder herauszukommen.

Die Erfolgsfalle

Erfolg macht sexy. Erfolg fühlt sich gut an. Erfolg macht zufrieden. Genau das ist das Problem. In zahlreichen Firmen werden schnelle Erfolge belohnt. Ein kurzfristiges Plus der Verkaufszahlen, ein großer Deal, kurzfristige Erfolge bei der Neukundengewinnung. Gerade in Unternehmen, die vom Quartalsdenken geprägt sind, ist der schnelle Erfolg wichtiger als langfristiges Denken. Im Kern ist das nicht verkehrt, denn: die Summe vieler schneller Erfolge macht eine erfolgreiche Company aus - nur nicht unbedingt eine innovative. Solange schnelle Erfolge mit dem Bestehenden zu erzielen sind, hat das Neue kaum eine Chance, sich durchzusetzen.

Die für Innovation so wichtige Investitionsphase am Anfang erscheint nicht reizvoll, wenn man mit dem Bestehenden noch gut verdienen kann. Bei der Frage, ob sie Geld lieber in fünf neue Verkäufer oder ein fünfköpfiges Innovationsteam investieren, entscheiden sich Unternehmen, die kurzfristige Erfolge suchen, für die neuen Verkäufer. Langfristig jedoch wird der Erfolg von heute zum Problem von morgen. Denn die Steigerung des Bewährten funktioniert nicht ewig. Wie viele Pizzas mehr kann man verkaufen? Ein durchschnittlicher Mensch schafft nicht mehr als eine am Tag. Auch wenn noch so viel dafür geworben wird: Wie oft wollen sich Zuschauer noch das "Dschungelcamp" und "Deutschland sucht den Superstar" anschauen? Und kann man es wirklich schaffen, Leuten einzureden, sie bräuchten einen Zweit-, Dritt- oder Viertstaubsauger?

Die Kannibalismusfalle

Foto: Stauke - Fotolia.com

Unternehmen haben ständig Angst sich selbst zu kannibalisieren. Wenn die Konkurrenz angreift, ist das schlimm. Schlimmer ist es jedoch, wenn ein Unternehmen sich selbst Marktanteile wegnimmt. Aus diesem Grund weigerten sich die Elektronikhändler Saturn und Media Markt jahrelang, Online-Shops zu eröffnen. Die Kunden könnten schließlich via Internet und nicht mehr in den Läden einkaufen. Auch der Entertainment-Gigant Sony leidet unter dem Kannibalismusproblem. Um das eigene CD-Geschäft zu schützen, hat er die Entwicklung eines Download-Portals für Musik nur halbherzig vorangetrieben. Und der Fotohersteller Leica? Er vermied es Anfang der 90er Jahre tunlichst, in die digitale Fotografie einzusteigen - aus Angst, das eigene Geschäft mit analogen Apparaten zu gefährden.

In allen drei Fällen profitierten andere. Amazon nahm dem Media Markt viele Kunden weg, Apple entwickelte iTunes und das Geschäft mit der digitalen Fotografie fand weitgehend ohne Leica statt. Zu viel Rücksichtnahme auf das bestehende Geschäftsmodell und interne Befindlichkeiten sowie die Hoffnung "Es wird schon niemand anders auf die Idee kommen" verhindern einen gesunden Kannibalismus. Ein Unternehmen, das sich auf die richtige Art selbst kannibalisiert, handelt proaktiv und kann Märkte der Zukunft gestalten. Andere geraten in die Defensive und werden irgendwann zu Gejagten. Die Kannibalismusfalle sorgt dafür, dass Firmen sich nicht bewegen, obwohl sie wissen, dass sie dies eigentlich tun müssten. Und wenn sie sich dann irgendwann doch zum Kannibalismus entschließen, haben Wettbewerber vom Geschäft so viel "weggefressen", dass praktisch nichts mehr übrig bleibt.

Fazit

Hochinnovative Unternehmen verstehen es, die fünf Innovationsfallen zu vermeiden. Sie setzen nicht nur auf eine Verbesserung des Bestehenden, sondern lassen auch radikale Innovationsansätze zu. Sie versuchen nicht, in übersättigte Märkte Produkte hineinzubringen, die noch überflüssiger sind als die, die es bereits gibt. Stattdessen entwickeln sie Produkte, für die es noch keine Märkte gibt, Dienstleistungen, die einzigartig sind, und Geschäftsmodelle, die klassische Branchengrenzen sprengen. Unternehmen hingegen, die sich aus Innovationsfallen nicht befreien können, drehen sich im Kreis oder verschwinden vom Markt. (pg)