Die artigen Töchter - Unternehmenskultur in den Niederlassungen US-amerikanischer Firmen

05.09.2002
Von in Ingrid

Charismatische Führungskräfte in den USA

„Während viele Führungskräfte in den USA starke, charismatische Menschen sind, die ähnlich auftreten wie Popstars, geht es in Deutschland nüchterner zu. Hier legen die Manager mehr Wert auf Ausgleich. Die Leistung von Teams zählt viel, sie gleichen stärker einer Fußballmannschaft. Herr von Pierer beispielsweise verbringt wenig Zeit vor einer Fernsehkamera“, erzählt Nestler. Nach den Ereignissen in der jüngeren deutschen Geschichte dürften charismatische Führungskräfte auch nicht besonders gefragt sein, prognostiziert Nestler. Allerdings zeichnet amerikanische Chefs durchaus eine gewisse Sensibilität gegenüber ihren Mitarbeitern aus. „Leute wie Bill Gates vermeiden, dass sie als „the big guy“ wahrgenommen werden“, erzählt der Kommunikationsexperte.

Allerdings beklagen sich viele Tochter-Unternehmen über fehlendes Fingerspitzengefühl und gerade viele deutsche Mitarbeiter sagen den US-Amerikanern nach, sie wollten ihre eigene Weltsicht und Markteinschätzung durchsetzen. „Ich habe immer wieder erlebt, dass US-amerikanischen Managern und Kollegen die kulturelle Sensiblität gegenüber Europäern fehlte. Dallas bedeutete für sie die Welt, darüber hinaus zählt vielleicht noch Florida. Allen anderen gegenüber legen viele eine ziemliche Ignoranz an den Tag“, so die Erfahrungen von Exner.

Mittlerweile versuchen viele nordamerikanische Unternehmen, in den Tochterfirmen einen Kompromiss zwischen dem Führungsstil der Zentrale und dem der weltweiten Niederlassungen zu finden. Nur noch wenige setzen Geschäftsführer aus den Vereinigten Staaten in den Tochterunternehmen ein. „In den USA herrscht oft Unverständnis für den europäischen Markt. Viele sehen nicht, dass es außerhalb des US-Systems andere Begebenheiten gibt“, erzählt Gallist, der insgesamt 21 Jahre seines Berufslebens für amerikanische Unternehmen arbeitete. „In den USA erwarten und akzeptieren die Mitarbeiter schnelle Veränderungen, in Deutschland muss es dagegen erklärbar und nachvollziehbar sein“, weiß Nestler.

Allerdings schütteln einige Europäer ganz irritiert die Köpfe, wenn sie beispielsweise die US-amerikanischen Vorstellungen bei den Themen „Political Correctness“ und „Sexual Harassment“ hören. Für ein südbayrisches Tochterunternehmen endete die Toleranz an der Kantinentür. In Nordamerika ist es nämlich undenkbar, den Mitarbeitern Alkohol zu verkaufen und der nordamerikanische Mutterkonzern wollte den Bierausschank im bayerischen Firmencasino verbieten. Das Ansinnen löste eine mittelschwere Firmenkrise aus. Nach zähen Verhandlungen konnten die Bayern für sich eine Ausnahmenregelung aushandeln. Manche Unternehmen verteilen an ihre Mitarbeiter ein Handbuch mit einem Verhaltenskodex, um Fehltritte seitens der Mitarbeiter und der Führungskräfte möglichst zu vermeiden.

Aber selbst bei kleineren Unstimmigkeiten kann der transatlantische Haussegen schnell in eine kritische Schieflage geraden. Zu den besonders kniffligen Aufgaben gehörte es für den ehemaligen Microsoft-Geschäftsführer Gallist, dem Mutterunternehmen in Redmond Entwicklungen in der Landesgesellschaft zu vermitteln, die dem US-Trend entgegen liefen. „Durch die Wiedervereinigung hatten wir in Deutschland beispielsweise eine Art Sonderkonjunktur. Als das Geschäft in den USA nicht so gut lief und dort Mitarbeiter entlassen werden sollten, während wir hier unsere Leute halten und kein Personal abbauen wollten, war dieser Trend nicht so einfach vermittelbar“, berichtet Gallist rückblickend.