Die artigen Töchter - Unternehmenskultur in den Niederlassungen US-amerikanischer Firmen

05.09.2002
Von in Ingrid

Im neuen Bürogebäude von Sun in Heimstetten reserviert jeder Mitarbeiter Rechner und Schreibtisch über ein Buchungssystem und schiebt morgens seinen Rollcontainer an den jeweiligen Arbeitsplatz. „Unsere Mitarbeiter haben kein festes Büro, sondern einen Rollcontainer“, erklärt Michael Wagenknecht, HR-Direktor bei Sun. Mitarbeiter, die einen eigenen Schreibtisch gewohnt waren und feste Büronachbarn durchaus zu schätzen wussten, waren anfangs nicht sonderlich begeistert von der neuen Mobilität. „Ich hatte Aggressionen bei der Vorstellung, keinen festen Arbeitsplatz mehr zu haben“, räumt ein Sun-Mitarbeiter rückblickend ein.

"Ich war immer ganz froh, dass ich nie längere Zeit in einem Kaninchenstall arbeiten musste." Holger Exner, ehemals Texas Instruments und Viasoft International.
"Ich war immer ganz froh, dass ich nie längere Zeit in einem Kaninchenstall arbeiten musste." Holger Exner, ehemals Texas Instruments und Viasoft International.

Doch mittlerweile haben die Kollegen durchaus Möglichkeiten gefunden, das Buchungssystem so zu nutzen, dass sie Nachbarschaften definieren und weiterhin mit bestimmten Kollegen einen Teil der neuen Büroarrangements für mehrere Monate teilen. „Das neue Office wirkt durch den regelmäßigen Umzug steril. Man kann es sich nicht so bequem machen“, bedauert ein anderer Mitarbeiter. Nur die Wenigsten packen die Stofftierkollektion jede Woche aufs Neue aus dem Rollcontainer und drapieren sie um den gerade „aktuellen“ Bildschirm.

Starkes Hierarchiedenken

Gerade lockere Umgangsformen und das informelle „Du“ suggerieren egalitäres Führungsverhalten – auf den ersten Blick. Schaut man aber hinter die Kulissen, ergibt sich ein ganz anderes Bild: „Anfangs fiel es mir nicht so auf, aber Hierarchiestufen sind sehr wichtig. Es herrscht ein starkes Hierarchiedenken“, so die Erfahrung von Exner. „Wer an wen berichten darf, sind ganz wichtige Indizien des beruflichen Aufstiegs“, ergänzt der heute selbständige Marketing-Berater.

„Junge Mitarbeiter erhalten schnell viel Verantwortung“, berichtet Rudolf Gallist, Vorstandsvorsitzender des Branchenverbands VSI. Allerdings räumt der ehemalige Microsoft-Geschäftsführer ein, „dass die Firmenpolitik zum Teil nicht transparent ist und Mitarbeiter sie nur teilweise mitbekommen und verstehen“. Gute Sprach- und Kulturkenntnisse gehörten deshalb unbedingt dazu. Der Satz „I have a problem“ sei ein fast schon klassisches Beispiel dafür, wie transatlantische Missverständnisse entstehen können. Unerfahrene deutsche Kollegen zucken förmlich zusammen und sehen schon eine mögliche Katastrophe am Horizont heraufziehen, während die amerikanischen Gesprächspartner nur auf eine Unstimmigkeit hinweisen möchten.

Herbert Nestler, Kommunikationstrainer in München und Experte für deutsch-amerikanische Unternehmenskultur, betont ebenfalls, dass interkulturelle Sensibilität für die deutschen Mitarbeiter von US-Tochterunternehmen zur erfolgreichen Arbeit unbedingt dazugehört. „Für Mitarbeiter und Unternehmen gilt das Gleiche: Sie müssen die kulturellen Unterschiede kennen und ein Gespür dafür entwickeln.“ Das gelte auch für Angestellte, die in einer deutschen Niederlassung arbeiten.