Schmaler Grat zwischen Nutzen und Nerven

Der ultimative Smartphone-Knigge

27.01.2014
Von Meike Lorenzen
Für nahezu jede Situation unseres Lebens stehen Apps zur Verfügung, die weiterhelfen. Einen Menschen um Hilfe zu bitten, ist in vielen Situationen nicht mehr nötig. Wie wir das Smartphone nutzen, ohne asozial zu werden.

Hell werfen Wunderkerzen ihre Funken auf die Geburtstagstorte. Eine Gruppe junger Menschen singt lauthals Happy Birthday, die Blicke auf die Displays ihrer Smartphones gerichtet. Mit der Kamera halten sie diesen besonderen Moment im Film fest. Auch das Geburtstagskind. Die Tortenträgerin hingegen schaut irritiert in die Runde.

Der ultimative Smartphone-Knigge
Der ultimative Smartphone-Knigge
Foto: Warakorn, Fotolia.com

Die Frau mit dem Kuchen ist Charlene deGuzmann, und die beschriebene Szene stammt aus ihrem Kurzfilm "I Forgot My Phone". Darin ist sie über zwei Minuten lang ohne Smartphone zu sehen - beim Kaffee trinken mit Freundinnen, beim Konzertbesuch, beim Bowling. Die Menschen um sie herum hingegen starren auf ihr Telefon. Von Interaktion keine Spur. Mit ihrem kleinen Film hat die eher unbekannte amerikanische Schauspielerin und Tänzerin einen Nerv getroffen. Inzwischen wurde der Film fast 25 Millionen Mal auf YouTube angeklickt.

Das Video zeigt Smartphone-Besitzer, die nicht mehr in der Lage sind, ihr Gerät aus der Hand zu legen. Ständig fotografieren sie, surfen im Internet oder telefonieren lauthals mit Freunden. Dieses Verhalten hat inzwischen sogar schon einen Oberbegriff: "Phubbing". Das Wort setzt sich aus "Phone" und "Snubbing" zusammen. Wobei letzterer Begriff nicht weniger bedeutet, als "vor den Kopf stoßen". Macht das ständige Checken von E-Mails, das Lesen von Nachrichten, das Schreiben von Texten, das Surfen im Internet oder das Telefonieren uns unhöflich? Der Student Alex Heigh aus Melbourne glaubt das. Er hat die Initiative "Stop Phubbing" ins Leben gerufen.

Was Knigge empfiehlt

Der Deutsche Knigge-Rate hat für den Umgang mit dem Smartphone eine einfache allgemeingültige Regel: Grundsätzlich sind Nicht-Anwesende zugunsten der Anwesenden zu vernachlässigen. Entsprechend hat das Smartphone im Meetings nichts verloren.
Wer sich in einem Dialog befindet, sollte nicht einfach so einen eingehenden Anruf beantworten. Höflich ist laut Knigge, wer genau erklärt, warum es so wichtig ist, das Gespräch anzunehmen oder eine Nachricht zu lesen. Außerdem sei es angebracht, um Erlaubnis zu bitten, ob man rangehen darf.
Daher gibt der Deutsche Knigge-Rat für das Verhalten im Restaurant klare Regeln vor. Wie im Kino oder Theater hat das Telefon hier nichts zu suchen. Sowohl das Licht als auch das Klingeln, Piepen oder Brummen würden andere Menschen in diesen Situationen stören. Ausnahmen gestattet Knigge, wenn ein Gastgeber noch auf Gäste wartet. Hier wäre es unhöflich das Telefon auszustellen, so dass der Gastgeber nicht mehr erreichbar ist.
Laut Knigge-Rat darf das Smartphone hier sowie in jeder anderen "Wartezeit" genutzt werden. Allerdings sollte es lautlos geschaltet werden. Auch von langen Telefonaten in der Gegenwart anderer ist aufgrund der Lärmbelästigung abzusehen.
Höflich ist nur, wer den anderen in diesen Diskurs mit einbezieht. Sonst verschwindet das Gemeinschaftsgefühl. Der Knigge-Rat empfiehlt Second Screen auf einem Tablet statt dem Smartphone, damit der andere bequemer mithineinschauen kann - sofern er das möchte. Falls nicht, sollte das Smartphone einfach ausgeschaltet bleiben, oder der Abend eben nicht als eine gemeinschaftliche Aktion definiert werden.

Die Forschungslandschaft zu diesem noch recht jungen Phänomen ist relativ dünn besiedelt. Dennoch haben erste Arbeiten gezeigt, dass es vor allem zwei Auswirkungen hat: Zum einen setzen sich die Smartphone-Nutzer selbst immer stärker unter Druck. Und das, ohne es zu bemerken. Zum anderen fühlen sich Menschen im Umfeld von exzessiven Smartphone-Nutzern zurückgewiesen, ignoriert und uninteressant. "Immer öfter werden im Alltag Gespräche, Berührungen und Augenkontakt von der Spielerei mit dem Smartphone abgelöst", sagt auch der Düsseldorfer Psychologe Manfred Schack. "Dabei brauchen wir eine echte Face-to-Face-Kommunikation. Isolation ist für den Menschen keine Option."

Gleichzeitig ist das Smartphone Bestandteil unseres modernen Lebens. Über 40 Prozent der Deutschen besitzen inzwischen so einen Minicomputer. Unter den Jugendlichen sind es inzwischen deutlich über 50 Prozent. Genauso wenig wie Ex-Kanzler Helmut Schmidt Ende der 70er Jahre fernsehfreie Tage einführen konnte, werden die Menschen heute das Smartphone aus unserem Alltag verdrängen können oder wollen.

Was wir also brauchen, sind klare Regeln im Umgang mit dem Smartphone. "Als das Mobiltelefon aufkam, wurde überall laut telefoniert. Mit der Zeit haben wir gelernt, uns etwas abseits hinzustellen und Rücksicht zu nehmen", sagt Wissenschaftler Joachim Höflich, Professor für Kommunikationswissenschaft an der Universität Erfurt. Seit Jahren forscht er zur Interaktion von Mensch und Mobiltelefon. Beim Smartphone müssten erst noch neue Regeln etabliert werden. Wie diese aussehen könnten, erklärt sich am besten anhand konkreter Alltagssituationen: