Schmaler Grat zwischen Nutzen und Nerven

Der ultimative Smartphone-Knigge

27.01.2014
Von Meike Lorenzen

Wie das Smartphone unseren Alltag beeinflusst

6.30 Uhr: Der Wecker klingelt. Es ist für die meisten der erste Griff des Tages zum Smartphone. Noch leicht verschlafen einen Blick auf die Wetter-App werfen. 12 Grad, Regen. Heute also eine lange Hose anziehen und den Regenmantel nicht vergessen.

In so einer Situation ist das Smartphone überaus praktisch. Zumindest für den Nutzer. In einer Partnerschaft kann das schon zum ersten Nervfaktor des Tages werden. "Früher hätte man sich zum Start in den Tag vielleicht zuerst seinem Partner zugewandt. Nun bekommt das Smartphone die ganze Aufmerksamkeit", sagt Agnes Jarosch, Leiterin des Deutschen Knigge-Rates. Gleichzeitig erhellt der Schein des Bildschirms das ganze Zimmer. "Für jemanden, der noch schlafen möchte, ist das sehr störend", sagt sie.

Jarosch empfiehlt daher, das Smartphone gar nicht mehr mit in das Schlafzimmer zu nehmen. "Natürlich gibt es Berufsgruppen, für die ist es wichtig immer Up-to-Date zu sein", sagt sie. "Doch im Großen und Ganzen muss man sich fragen, wie sinnhaft die Benutzung des Smartphones spät am Abend oder früh am Morgen ist."

8.00 Uhr: In der Straßenbahn schaut fast niemand mehr auf. Der Blick ist auf das Smartphone gesenkt. Langeweile hat so gut wie niemand auf der Fahrt.

"Wartezeiten lassen sich wunderbar mit dem Smartphone überbrücken", sagt Agnes Jarosch. Aus Knigge-Sicht spreche auch nichts dagegen, solange niemand direkt ignoriert wird. Anders sieht es mit lauten Telefonaten im öffentlichen Raum aus.

Wie fürchterlich diese nerven können, weiß wohl jeder, der schon einmal neben einem Dauertelefonierer in der Bahn gesessen hat. Inzwischen haben Forscher der amerikanischen Cornell Universität herausgefunden, woran das liegt: Während das Gehirn Monologe oder Gespräche zwischen zwei Personen problemlos ausblenden kann, funktioniert das bei "Halbgesprächen" nicht.

10.00 Uhr: Das Team kommt zum Meeting zusammen. Der Chef gibt einen Überblick über die Aktivitäten der kommenden Tage. Als er in die Runde schaut, bemerkt er, wie die Kollegen auf das Smartphone schielen. Im Wechsel nicken sie ihm zustimmend zu und vertiefen sich dann wieder in ihre E-Mails.

Für Chefs sind solche Situationen schwierig. Einerseits ist es gut, wenn die Kollegen ihr Arbeitsfeld kontinuierlich im Griff haben und Anfragen schnell beantworten. Andererseits wird ihm und seinem Vortrag nicht die Aufmerksamkeit geschenkt, die er gerne hätte. "Wir haben nur eine Aufmerksamkeit", sagt Joachim Höflich. Wer sich mit dem Smartphone beschäftigt, kann nicht gleichzeitig zuhören. "Multitasking ist ein Mythos", so Höflich.

Um seine Aussage zu untermauern, führt er ein Experiment der Psychologen Simons und Chabris aus dem Jahr 1999 an:

Davon abgesehen ist das Verhalten der Kollegen gegenüber dem Chef einfach unhöflich, findet Agnes Jarosch. Der Deutsche Knigge-Rat hat für den Umgang mit dem Smartphone eine einfache allgemeingültige Regel: Grundsätzlich sind Nicht-Anwesende zugunsten der Anwesenden zu vernachlässigen. Entsprechend hat das Smartphone im Meeting nichts verloren.

13.00 Uhr: In der Mittagspause treffen sich Mutter und Tochter in einem Bistro zum Mittagessen. Beide legen das Smartphone auf den Tisch - die Mutter hat den E-Mail-Posteingang im Blick, die 13-Jährige den WhatsApp-Chat mit den Freundinnen.

"Eltern haben eine Vorbildfunktion für Kinder und Jugendliche", sagt Iren Schulz. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Bremen hat für ihre Dissertation erforscht, wie sich die Sozialisation von Jugendlichen unter dem Einfluss des Smartphones verändert. Wenn vorgelebt wird, dass das Smartphone am Tisch einen Platz hat, wird das Kind es ebenso machen. Entsprechend wichtig sind hier klare Regeln, wie Johnny und Tanja Haeusler in ihrem Ratgeber "Netzgemüse" schreiben. Sie geben klare Anweisungen, wie: Am Tisch bleibt das Smartphone aus. Oder: Im Schlafzimmer hat das Gerät nichts verloren. Stattdessen gibt es eine Docking-Station im Flur, wo alle Mobiltelefone und Tablets der Familie über Nacht aufladen.

"In der Pubertät haben Kinder schon immer viel kommuniziert", erklärt Schulz. "Durch die neue Technik hat sich das noch verstärkt." Das Telefon gebe den Jugendlichen das Gefühl, eingebunden zu sein und dazuzugehören. Dafür sei die Angst, ausgeschlossen zu werden oder etwas zu verpassen, entsprechend höher. Entsprechend müssten Kinder heute vor allem lernen, das Alleine sein auszuhalten.

Eltern, die sich deswegen Sorgen machen, kann Schulz beruhigen: "In der Regel kommunizieren Kinder zwischen 13 und 14 Jahren übermäßig viel. Das wird mit den Jahren wieder weniger.