Beraterspiele in Cannes

Bloß nicht programmieren

27.10.2000
Von 
Alexandra Mesmer war bis Juli 2021 Redakteurin der Computerwoche, danach wechselte sie zu dem IT-Dienstleister MaibornWolff, wo sie derzeit als Head of Communications arbeitet.
Bewerber Jens Eckert
Bewerber Jens Eckert

hatten sich darum für das Team "Web Technology" gemeldet, das in den nächsten zwei Tagen auf Basis von XML Versatzstücke für ein elektronisches Bestellverfahren programmieren sollte. Dass man ohne Technikverständnis als Berater nicht auskommt, mussten aber auch die anderen Teams während der Fallstudie über eine Business-to-Business-Plattform erkennen. "Unserer Gruppe fehlte der IT-Spezialist. Wir wissen gar nicht, ob unsere Lösungen überhaupt technisch umsetzbar sind", schränkte das Team "E-Procurement" gleich zu Anfang seiner Präsentation ein. Es hatte sich mit den neuen Prozessen und Softwareanwendungen, die ein elektronisches Beschaffungswesen nach sich zieht, beschäftigt.

Andersen-Mann Frank Mang, selbst diplomierter Informatiker, weiß um das Problem, dass gerade Informatiker nach ihrem Berufseinstieg nicht nur programmieren wollen: "Diese Angst, dass sie nur vor der Kiste sitzen müssen, ist unbegründet. Einsteiger mit fundiertem technischen Know-how kommen viel schneller von der Implementierung weg als Betriebswirtschaftler, die sich erst in das Thema einarbeiten müssen." Zudem sei es bei Andersen erwünscht, dass man sich ständig weiter entwickelt und nach einigen Jahren als Berater auch Management-Funktionen übernimmt. Darum erwartet die Unternehmensberatung auch von Bewerbern mit profundem technischen Know-how ausgeprägte Soft Skills.

Diese wurden beim Workshop während des sechsstündigen Arbeitens an einem elektronischen Beschaffungssystem getestet. Oft galt es, acht unterschiedliche Meinungen auf einen Nenner zu bringen. Schon beim einheitlichen Vorgehen schieden sich die Geister: Während sich die einen auf den Papierstapel voller Anleitungen und Hintergrundinfos stürzten, hatten die anderen schon einen festen Zeitplan im Kopf und wollten erste Besprechungstermine mit dem Kunden vereinbaren. Nach vier Stunden waren die Flipcharts mit Organigrammen übersät, die Gesichter der Studenten blasser geworden, das Kuchenbuffet geplündert, aber der Jargon der Berater schon in Fleisch und Blut übergegangen. "Wie matchen wir Request und Sourcing?", fragte einer aus dem Procurement-Team und erntete dafür keineswegs verständnisloses Stirnrunzeln.

Jens Eckert ist zufrieden. Der Rundum-Service im Vier-Sterne-Hotel, das Huhn im Kräutermantel im Landgasthof oder die abendliche Tour mit dem Partyboot auf dem Mittelmeer sind aber nicht der Grund dafür. Er hat in den vergangenen drei Tagen eine Vielzahl von Andersen-Mitarbeitern befragt, die ihm auch ehrliche Antworten gaben. "Dass Berater viel unterwegs sind und in der Regel mehr als 35 Stunden arbeiten, sind keine Vorurteile, sondern Fakten", gab etwa Mang. "In einer gewissen Lebensphase kann das spannend, in einer anderen auch problematisch sein.

Frank Mang, Anderson Consulting
Frank Mang, Anderson Consulting

Darum muss man sich alle drei Jahre immer wieder neu fragen, ob man diesen Preis zahlen will." Für Eckert kommen solche Worte überraschend: "Spricht man andere Beratungen auf das Thema Arbeitszeit und Reisen an, heißt es immer, das ist bei uns gar nicht so."

Die offene Atmosphäre in Cannes überzeugte den Wirtschaftsinformatiker aber auch in anderer Hinsicht: "Man konnte sich selbst lockerer geben als im Vorstellungsgespräch. Im Gegensatz zu Assessment-Centern, in denen durch den großen Druck keine Teamarbeit zu Stande kommt, haben wir gut zusammengearbeitet und einander ergänzt."