Beraterspiele in Cannes

Bloß nicht programmieren

27.10.2000
Von 
Alexandra Mesmer war bis Juli 2021 Redakteurin der Computerwoche, danach wechselte sie zu dem IT-Dienstleister MaibornWolff, wo sie derzeit als Head of Communications arbeitet.
Sulzbach oder Cannes? Die Wahl fällt Studenten nicht schwer. Andersen Consulting erhält für ihren Rekruting-Workshop an der Cote d’Azur sechs Mal mehr Bewerbungen, als Plätze zur Verfügung stehen.

Probleme hatte Jens Eckert schon zu Beginn des Studiums einkalkuliert. Mitte der Neunziger war klar, dass ihm sein Studium später nicht die besten Chancen eröffnen würde. Mittlerweile kann sich der Wirtschaftsinformatiker vor Angeboten kaum mehr retten, Probleme hat er aber nach wie vor: "Können Unternehmen halten, was sie mir im Vorstellungsgespräch versprechen? Werde ich auch dort eingesetzt, wo es vereinbart war?" Der Mann aus Münster will ehrliche Antworten auf seine Fragen und hofft, sie in Cannes zu finden.

Dass Andersen Consulting gerade an der Cote d’Azur seinen Beraternachwuchs aussucht, kommt auch Eckert entgegen: "Wäre die Veranstaltung in Sulzbach, hätte ich es mir schon überlegt, ob ich teilnehme." Was im ersten Moment arrogant klingt, wird auf den zweiten Blick nachvollziehbar. Angehende Informatiker werden von den Firmen zunehmend umworben. Je näher das Examen rückt, umso mehr Einladungen zu Rekrutierungsveranstaltungen flattern ins Haus.

Als Andersen Deutschland vor drei Jahren zum ersten Mal nach Cannes einlud, gehörte die Unternehmensberatung mit Hauptsitz in Sulzbach noch zu den Pionieren. Inzwischen fallen große Unternehmen schon aus der Reihe, wenn sie keinen Event mit einem mehr oder minder exklusiven Anstrich anbieten: Die Palette reicht von der Werksbesichtigung im Silicon Valley (Agilent) bis zur Absolventenbörse in Shanghai (Bertelsmann). Allein der Personaldienstleister Access, der auch die Andersen-Veranstaltung organisiert, richtet in diesem Jahr 45 weitere Events aus. Access-Chef Claus-Peter Sommer versteht sich aber keineswegs als bessere Reiseagentur: "Wir hatten schon Anfragen von Unternehmen nach Wüstenrallyes oder Abenteuertrips durch Finnland. Das lehnen wir aus Prinzip ab."

Fürs Flanieren an der Strandpromenade blieb den 90 Studenten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz auch erst einmal gar keine Zeit. Vom Charterflugzeug in den Bus, vom Bus ins Hotel, den Koffer in der Lobby parken, ein paar Scampi als kleine Stärkung zwischendurch und wieder in den Bus, um das Forschungszentrum von Andersen in Sophia Antipolis, dem französischen Silicon Valley, zu besichtigen. Die dort vorgestellten Visionen von der total vernetzten Zukunft, in der dank WAP (Wireless Application Protocol) auch das Auto nichts mehr nützt, um der Präsenz der Schwiegermutter und ihren Einkaufsaufträgen zu entfliehen, riefen bei den Studenten kaum Begeisterung hervor. Die technisch Versierten unter ihnen empfanden die totale Vernetzung schon als Realität. Den anderen hingegen war der Fokus zu technisch, zumal eine Vision auch immer eine philosophische Betrachtung der Zukunft beinhalten sollte.

Mit dem Bild einer Unternehmensberatung verbinden viele Studenten immer noch in erster Linie die große Strategie - ein Image, das sich die Consultants in der Öffentlichkeit auch allzugern geben. Dass die Implementierung einer technischen Lösung in der Realität einen Großteil der Projektarbeit einnimmt, nahm so mancher mit Verwunderung auf. Nur wenige