Digitalisierung

Bezahlter Angriff auf die Wertschöpfungskette

03.08.2015
Von 
Karin Quack arbeitet als freie Autorin und Editorial Consultant vor allem zu IT-strategischen und Innovations-Themen. Zuvor war sie viele Jahre lang in leitender redaktioneller Position bei der COMPUTERWOCHE tätig.
Gisbert Rühl, CEO des Traditionsunternehmens Klöckner & Co. aus Duisburg, treibt die digitale Transformation auf zwei Schienen voran: Zum einen investiert er in die Digitalisierung der existierenden Lieferkette, zum anderen fördert er Startups, die das eigene Geschäft durch disruptive Modelle angreifen sollen.
  • Klöckner hat eine eigene Digitalisierungseinheit gegründet.
  • Nur Standardprozesse wurden ausgelagert, das Anwendungswissen ist im Haus verblieben.
  • Ziel von CEO Rühl ist die vollständig digital vernetzte Kunden- und Lieferantenbindung sowie die die Abwicklung sämtlicher Prozesse über eine digitale Industrieplattform.
Gisbert Rühl ist CEO beim größten produzentenunabhängigen Stahl- und Metallhändler Klöckner & Co. in Duisburg.
Gisbert Rühl ist CEO beim größten produzentenunabhängigen Stahl- und Metallhändler Klöckner & Co. in Duisburg.
Foto: Klöckner & Co.

CW: Sie haben vor sechs Jahren fast die gesamte IT ausgelagert. Wie wirkt sich das auf die Fähigkeit des Unternehmens zur Digitalisierung aus?

GISBERT RÜHL: Jedenfalls nicht negativ. Ausgegliedert haben wir nur Standardprozesse. Das gesamte Anwendungs-Know-how ist im Haus geblieben. Es wird von 15 IT-Spezialisten gesteuert, die eine reine Business-Sicht auf die Informationstechnik haben.

CW: Inwieweit verantworten die auch das Thema Digitalisierung?

RÜHL: Wir treiben die Digitalisierung durch eine separate Einheit voran. Zu diesem Zweck haben wir unser Kompetenzcenter für Digitalisierung, kloeckner.i in Berlin gegründet, das zum Jahresende 20 Leute beschäftigen soll.

CW: Haben Sie einen Chief Digital Officer?

RÜHL: Diese Aufgabe nehme ich im Augenblick selbst wahr. Die Digitalisierung kann nur mit persönlichem Einsatz des CEO erfolgreich vorangetrieben werden. Wenn wir zum Beispiel unsere Preise transparenter machen - was mit dem Vertrieb von Stahl über das Internet zwingend einhergeht - dann muss das von der Unternehmensspitze abgesegnet sein.

CW: Digitalisierung heißt also auch Transparenz. Und was noch?

RÜHL: Digitalisierung heißt für uns in erster Linie Vernetzung - im Unternehmen selbst und mit anderen. Damit verbunden sind aber auch Veränderungen des bestehenden Geschäftsmodells.

CW: Und wo bleibt da die IT?

RÜHL: Das ist auch IT im Sinne von Tools, Webshops, Plattformen etc. Aber hier müssen wir anders vorgehen als in der klassischen IT. Während wir dort auf Standardisierung setzen, setzen wir hier auf Individualisierung. Wir entwickeln viel selbst, und wir beginnen immer beim Kunden - mit der Frage: Was braucht er, um leichter und effizienter mit uns zusammenarbeiten zu können.

Neue Wege im Produktdesign

CW: Was leistet kloeckner.i, das die Mutterorganisation nicht tun kann?

RÜHL: Dort arbeitet das Team mit Methoden wie Lean Startup oder Design Thinking. Es entwirft ein Minimal Viable Product und geht dann mit einem Klickdummy zurück zum Kunden, um das Produkt noch stärker an dessen Ansprüche anzupassen. Das ist schneller und effizienter als die herkömmliche Softwareentwicklung.

CW: Das klingt so, als wollten Sie in Berlin eine Parallelwelt errichten - ohne Auswirkungen auf das Gesamtunternehmen.

RÜHL: Nein, im Gegenteil. Sämtliche Entwicklungen von kloeckner.i werden auch in Kooperation mit Mitarbeitern anderer Unternehmensbereiche vorangetrieben. Zudem wollen wir die Vorgehensweise von kloeckner.i - wo sinnvoll - auch auf die übrige Organisation übertragen. Wir sind beispielsweise schon dabei, einige Projekte der deutschen SAP-Entwicklung nach diesem Modell zu vereinfachen.

CW: Wie machen Sie das?

RÜHL: Indem die Entwickler das Modell vom Kunden auf den Anwender übertragen: Sie schauen sich erst einmal an, wie der Anwender tatsächlich arbeitet - und auf dieser Basis entstehen dann Ideen für die Umsetzung. Traditionell bieten wir unseren Kunden und Anwendern doch gern an, was wir aus unserer Sicht für eine gute Idee halten. Ein Beispiel dafür ist das Tracking-System, das wir beinahe entwickelt hätten. Durch intensive Kundenbefragung haben wir herausgefunden, dass die Kunden gar nicht ständig wissen wollen, wo sich ihre Lieferung gerade befindet. Sie wollen nur informiert werden, wenn sie sich verspätet - oder gegebenenfalls zu früh eintrifft.

CW: Soweit die Kunden. Welche Ziele verfolgen Sie aus Klöckner-Sicht mit der Digitalisierung?

RÜHL: Uns geht es vor allem darum, unsere Lieferkette effizienter zu gestalten und damit auch Kosten einzusparen. Eines der Themen ist Predictive Sales. Je genauer wir den Absatz vorhersagen können, desto weniger Vorräte müssen wir vorhalten. Weiteres Potenzial zur Reduzierung der Vorräte ergibt sich durch den digitalen Zugriff auf die Lagerbestände unserer Lieferanten. Außerdem können wir mit Hilfe der gesammelten Informationen auf der Vertriebsseite unsere Preisgestaltung optimieren.

CW: Und wo liegen die größten Herausforderungen?

RÜHL: Als Handelsunternehmen, das vornehmlich mit fremd produzierten Produkten zu tun hat, kooperieren wir mit unterschiedlichen Partnern - Lieferanten wie Kunden. Dahmit sind wir prädestiniert, eine Industrieplattform zu schaffen. Wir möchten zunächst die Händler mitnehmen, die unser bestehendes Produktportfolio erweitern können oder in Regionen tätig sind, die wir nicht abdecken. Für die Vielzahl von kleinen und mittelgroßen Wettbewerbern ist die eigene Entwicklung von Tools und Webshops zu aufwendig, und für dne Aufbau einer eigenen Plattform fehlt eine ausreichend große Kundenbasis. Bei solchen Kooperationen würden wir über die Transaktionsprovisionen mitverdienen und uns gleichzeitig der potenziellen Konkurrenz von außerhalb unserer Branche erwehren.