Sonderzuwendungen vom Chef

"Betriebliche Übung" - Fallstricke für den Arbeitgeber

30.12.2010
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Renate Oettinger war Diplom-Kauffrau Dr. rer. pol. und arbeitete als freiberufliche Autorin, Lektorin und Textchefin in München. Ihre Fachbereiche waren Wirtschaft, Recht und IT. Zu ihren Kunden zählten neben den IDG-Redaktionen CIO, Computerwoche, TecChannel und ChannelPartner auch Siemens, Daimler und HypoVereinsbank sowie die Verlage Campus, Springer und Wolters Kluwer. Am 29. Januar 2021 ist Renate Oettinger verstorben.

Vorrang vor Betriebsvereinbarung

Das BAG berücksichtigte diese Argumentation jedoch nicht und gab der Klage - wie schon zuvor das LAG Mecklenburg-Vorpommern - statt. Die Richter des BAG stellten zunächst fest, dass für den Kläger ein Anspruch auf Zahlung von Weihnachtsgeld aus einer betrieblichen Übung entstanden sei. Dieser Anspruch sei durch die Betriebsvereinbarung vom 21.11.2006 auch nicht wieder beseitigt worden. Denn insoweit sei nämlich das Günstigkeitsprinzip des § 4 Abs. 3 TVG zu berücksichtigen. Nach diesem Prinzip hat der einmal aus einer betrieblichen Übung entstandene arbeitsvertragliche Vergütungsanspruch gegenüber der späteren Betriebsvereinbarung Vorrang, wenn er eine günstigere Regelung enthält. Der günstigere vertragsrechtliche Anspruch auf Zahlung des Weihnachtsgeldes setze sich nach Ansicht der BAG-Richter damit gegenüber der weniger günstigeren Regelung aus der Betriebsvereinbarung durch.

Des Weiteren betonten die Richter, dass es grundsätzlich auch keine Auslegungsregel mit dem Inhalt gäbe, dass Ansprüche aus betrieblicher Übung per se "betriebsvereinbarungsoffen" seien. Sie stünden nicht automatisch unter dem Vorbehalt einer Abänderung durch eine Betriebsvereinbarung. Denn auch hier sei zu berücksichtigen, dass es sich bei einem Anspruch aus einer betrieblichen Übung um einen normalen vertragsrechtlichen Anspruch und nicht um einen Anspruch "minderer Güte" handele. Wolle der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern eine Sonderzahlung nur unter dem Vorbehalt einer ablösenden Betriebsvereinbarung leisten, so müsse ein solcher Änderungsvorbehalt ausdrücklich und transparent im Sinne des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB zur Bedingung der Zahlung gemacht werden. Der Arbeitgeber müsse daher klar und verständlich zum Ausdruck bringen, dass er die Sonderzahlung im Wege einer Betriebsvereinbarung beenden können möchte.

Unterlässt er einen solchen Vorbehalt, könne ein verständiger Arbeitnehmer eben nicht davon ausgehen, dass ein durch betriebliche Übung einmal entstandener Anspruch durch eine nachfolgende Betriebsvereinbarung wieder abgeändert oder sogar aufgehoben werden kann. Gegen einen solchen stillschweigenden Vorbehalt spreche außerdem, dass einer Betriebsvereinbarung über Sonderzahlungen, insbesondere über Weihnachtsgeld, regelmäßig ohnehin der Tarifvorrang des § 77 Abs. 3 S. 1 BetrVG entgegenstehe (BAG, Urteil vom 05.08.2009, Az.: 10 AZR 483/08).