Sonderzuwendungen vom Chef

"Betriebliche Übung" - Fallstricke für den Arbeitgeber

30.12.2010
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Renate Oettinger war Diplom-Kauffrau Dr. rer. pol. und arbeitete als freiberufliche Autorin, Lektorin und Textchefin in München. Ihre Fachbereiche waren Wirtschaft, Recht und IT. Zu ihren Kunden zählten neben den IDG-Redaktionen CIO, Computerwoche, TecChannel und ChannelPartner auch Siemens, Daimler und HypoVereinsbank sowie die Verlage Campus, Springer und Wolters Kluwer. Am 29. Januar 2021 ist Renate Oettinger verstorben.

Beendigung einer betrieblichen Übung durch eine gegenläufige betriebliche Übung?

In seinem Urteil vom 18.03.2009 musste das BAG zunächst über die Rechtsfrage befinden, ob eine einmal begründete betriebliche Übung ihrerseits durch eine gegenläufige, d.h. durch eine neue entgegen gerichtete betriebliche Übung, wieder geändert oder aufgehoben werden kann.

Die Richter hatten über den folgenden Fall zu entscheiden: Der Kläger war seit 1971 bei seinem Arbeitgeber beschäftigt. Ein schriftlicher Arbeitsvertrag bestand nicht. Bis zum Jahre 2001 zahlte der Arbeitgeber jedes Jahr zum Jahresende ein Weihnachtsgeld, ohne sich die Freiwilligkeit der Leistung vorzubehalten. In den Jahren 2002 bis 2005 bezahlte der Arbeitgeber das Weihnachtsgeld erstmals in drei Raten (d. h. im November, Dezember und Januar des Folgejahres). Auf den dazugehörigen Lohnabrechnungen ließ er dazu folgenden handschriftlichen Vermerk aufnehmen: "Die Zahlung des Weihnachtsgeldes ist eine freiwillige Leistung und begründet keinen Rechtsanspruch". Der Kläger widersprach diesen Hinweisen nicht. Nachdem der Arbeitgeber die Zahlung im Jahre 2006 unter dem Hinweis auf den Freiwilligkeitsvorbehalt einstellte, klagte der Arbeitnehmer vor dem Arbeitsgericht auf Zahlung und berief sich dabei auf den Grundsatz der betrieblichen Übung.

Das BAG gab der Klage auf Fortzahlung des Weihnachtsentgeltes statt und vollzog dabei eine Abkehr von seiner bisherigen Rechtsprechung zum Thema "gegenläufige betriebliche Übung". Denn bis dato war anerkannt, dass ein Anspruch aus betrieblicher Übung durch eine geänderte betriebliche Übung auch wieder beendet werden konnte. Bei Gratifikationszahlungen wie Weihnachtsgeld wurde dies angenommen, wenn der Arbeitgeber ab einem bestimmten Zeitpunkt erklärt hatte, dass die Zahlungen der (bisher vorbehaltlos geleisteten) Gratifikationen lediglich eine freiwillige Leistung darstellen, auf die zukünftig kein Rechtsanspruch bestehe und wenn die Arbeitnehmer dem über einen Zeitraum von drei Jahren nicht widersprochen haben.

Die Rechtsprechungsänderung begründeten die Richter zunächst mit dem Argument, dass es sich bei dem aus einer betrieblichen Übung begründeten Anspruch nicht um einen minderwertigen Anspruch handele, sondern um einen Anspruch, der den im Arbeitsvertrag geregelten Ansprüchen gleichwertig sei. Vertragliche Ansprüche könnten nur mittels einer vertraglichen Änderungsvereinbarung oder per Kündigung geändert bzw. beseitigt werden, nicht aber durch eine gegenläufige betriebliche Übung. Daher könne letztlich auch für Ansprüche, die ihrerseits aus einer betrieblichen Übung resultieren, kein anderer Maßstab gelten.