Wenn Mitarbeiter geringwertige Sachen klauen

Bagatelldelikte als Entlassungsgrund?

17.01.2011
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Renate Oettinger war Diplom-Kauffrau Dr. rer. pol. und arbeitete als freiberufliche Autorin, Lektorin und Textchefin in München. Ihre Fachbereiche waren Wirtschaft, Recht und IT. Zu ihren Kunden zählten neben den IDG-Redaktionen CIO, Computerwoche, TecChannel und ChannelPartner auch Siemens, Daimler und HypoVereinsbank sowie die Verlage Campus, Springer und Wolters Kluwer. Am 29. Januar 2021 ist Renate Oettinger verstorben.

Nicht automatisch vollständiger Vertrauensverlust

Damit brachen die BAG-Richter im Rahmen ihrer Abwägung mit der langjährigen Linie, wonach der Geringwertigkeit der gestohlenen bzw. unterschlagenen Sache und der beanstandungslosen langjährigen Beschäftigung für die Bewertung der Rechtmäßigkeit einer fristlosen Kündigung keine entscheidende Bedeutung zukommt. Denn sie befanden, dass bei einem geringen wirtschaftlichen Schaden nicht automatisch von einem vollständigen Vertrauensverlust gesprochen werden könne und dass die Geringfügigkeit des eingetretenen Schadens nun zumindest im Rahmen der Interessenabwägung zugunsten eines Arbeitnehmers Berücksichtigung finden müsse.

Überdies stellte das BAG auch noch fest, dass das widersprüchliche Prozessverhalten der Kassiererin keine Rückschlüsse auf ihre Unzuverlässigkeit als Arbeitnehmerin zulasse. Dies erschöpfe sich allenfalls in einer sehr ungeschickten Verteidigung, könne aber nicht in der Interessenabwägung zur Begründung der Rechtmäßigkeit der Kündigung berücksichtigt werden. Nach alledem überwogen für die BAG-Richter letztlich die zugunsten der Kassiererin sprechenden Gesichtspunkte, so dass nach ihrer Ansicht die Ahndung der Angelegenheit mittels einer Abmahnung ausreichend gewesen wäre (BAG, Urteil vom 10.06.2010, Az.: 2 AZR 541/09).

Die vorliegende Entscheidung des BAG wird es Arbeitgebern in der Zukunft nicht einfacher machen, Arbeitnehmern wegen eines Bagatelldelikts fristlos zu kündigen. Zwar sind solche Kündigungen nach wie vor nicht kategorisch ausgeschlossen. Allerdings muss vor dem Ausspruch einer fristlosen Kündigung im Rahmen der Interessenabwägung ein jahrelang unbeanstandetes Arbeitsverhältnis und ein geringer wirtschaftlicher Schaden des Arbeitgebers nun stärker zugunsten des Arbeitnehmers in Betracht gezogen werden, als es bisher der Fall war.

Solche Fallkonstellationen werden künftig bei der Erstbegehung tendenziell nur mittels einer Abmahnung zu ahnden sein. Erst im Wiederholungsfall wird dann eine fristlose Kündigung in Betracht kommen können. Die neue Rechtsprechung des BAG lädt jedenfalls nicht dazu sein, eine Bagatellkündigung zum Vorwand zu nehmen, um sich von einem ungeliebten Mitarbeiter, der auf einem anderen Wege kaum zu kündigen ist, vorschnell trennen zu wollen.

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Der Autor Dr. Christian Salzbrunn ist Rechtsanwalt in Düsseldorf. Tel.: 0211 1752089-0, E-Mail: info@ra-salzbrunn.de, Internet: www.ra-salzbrunn.de