Wenn Mitarbeiter geringwertige Sachen klauen

Bagatelldelikte als Entlassungsgrund?

17.01.2011
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Renate Oettinger war Diplom-Kauffrau Dr. rer. pol. und arbeitete als freiberufliche Autorin, Lektorin und Textchefin in München. Ihre Fachbereiche waren Wirtschaft, Recht und IT. Zu ihren Kunden zählten neben den IDG-Redaktionen CIO, Computerwoche, TecChannel und ChannelPartner auch Siemens, Daimler und HypoVereinsbank sowie die Verlage Campus, Springer und Wolters Kluwer. Am 29. Januar 2021 ist Renate Oettinger verstorben.

Eindeutige Linie aufgegeben

Nun hat das Bundesarbeitsgericht in dem Fall "Emmely" seine bisher verfolgte eindeutige Linie, dass der Geringwertigkeit der gestohlenen bzw. der unterschlagenen Sache oder der geringen Höhe eines Vermögensschadens letztendlich keine entscheidende Bedeutung zukommt, aufgegeben.

Dem zu beurteilenden Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: die Klägerin, eine 50-jährige Mutter von drei Kindern, war seit April 1977 bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerinnen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt. Am 12.01.2008 übergab der Filialleiter der Klägerin zwei Leergutbons im Wert von 0,48 Euro und von 0,82 Euro, die ein Kunde zuvor verloren hatte, zur Aufbewahrung im Kassenbüro, sofern sich der Kunde doch noch melden sollte. Die Kassiererin folgte dieser Anweisung nicht und löste diese beiden Bons zehn Tage später bei einem privaten Einkauf für sich ein.

Als die Beklagte hiervon erfuhr, kündigte sie ungeachtet des Widerspruchs durch den Betriebsrat das Arbeitsverhältnis fristlos, wogegen die Kassiererin eine Kündigungsschutzklage erhob. In dem Prozess bestritt die Kassiererin, die Pfandbons an sich genommen zu haben, und machte zur Erklärung, wie diese Bons letztlich in ihr Portemonnaie gelangt seien, mehrere in sich widersprüchliche Aussagen. Sie versuchte dabei auch, andere Mitarbeiter zu belasten. Allerdings erwiesen sich ihre Erklärungen letztlich als unzutreffend.

Das Arbeitsgericht Berlin wies ihre Klage ab. Auch die hiergegen eingelegte Berufung vor dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hatte keinen Erfolg. Denn auch das LAG hielt die gegen die Kassiererin erhobenen Vorwürfe für erwiesen und bezog auch die widersprüchlichen Aussagen zum Tathergang in seine für die Kassiererin negative Entscheidung mit ein. Eine Revision zum BAG ließ das LAG nicht zu.

Die von der Kassiererin erhobene Nichtzulassungsbeschwerde war wegen der grundsätzlichen Bedeutung dieser Angelegenheit (nämlich der Frage, ob sich das spätere prozessuale Verhalten eines gekündigten Arbeitnehmers bei der Entscheidungsfindung nachteilhaft auswirken kann) erfolgreich. Im Rahmen des eingeleiteten Revisionsverfahrens hatte das BAG auch die Möglichkeit, zur Frage der Rechtmäßigkeit von Bagatellkündigungen erneut Stellung zu nehmen.