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Es überrascht, mit welcher Geschwindigkeit viele Organisationen seit Beginn der Coronakrise neue KI- und Advanced-Analytics-Lösungen umsetzen. Was vor der Krise Monate oder sogar Jahre dauerte, geschieht jetzt unter Umständen bereits in Wochen - und das, obwohl die Krise noch lange nicht ausgestanden ist und immer noch enormen Einfluss auf das Geschäft hat.
Aus dieser ungewöhnlichen Situation entspringen Erfahrungswerte, die zuvor in dieser Form nicht zu gewinnen waren. Entscheider sollten sich dessen bewusst sein, um das Potenzial der Systeme auszuschöpfen und im internationalen Wettbewerb bestehen zu können. Eine detaillierte Analyse der Entwicklung zeigt sechs Lehren auf, die Führungskräfte, Experten und andere Entscheider beachten sollten.
1. Strategie braucht Harmonie
Lediglich 30 Prozent aller Organisationen stellen sicher, dass ihre Analytics-Strategie komplett im Einklang mit der grundlegenden Unternehmensstrategie ist. Die schnelle Reaktion von Unternehmen auf die Herausforderungen der Coronakrise zeigt aber, dass dieser Schritt die Basis für jeden durch KI- und Advanced-Analytics-Lösungen vorangetriebenen Impact ist. Dazu gehört auch, entsprechende Fachkräfte einzustellen oder auszubilden, Kooperationen voranzutreiben und standardisierte Protokolle und Methoden zu entwickeln.
2. Starre Silos?
Vor der Krise haben sich vor allem Organisationen, die sich in Sachen KI und Advanced Analytics bereits engagiert hatten, durch agile und bereichsübergreifende Teams ausgezeichnet. Die Krise zeigt jedoch, dass auch die Silos anderer Unternehmen nicht so starr sind, wie sie oft erscheinen. So haben viele Unternehmen unabhängig von der Reife ihrer Analytics-Systeme bereichsübergreifende Krisen-Teams geschaffen, um alle relevanten Stakeholder für die Entwicklung von Lösungen schnell zusammenzubringen.
- Dr. Christoph Hönscheid, NTT Security
„Erfolgreich ist, wer eine Gesamtstrategie zum Schutz vertraulicher Daten hat. Natürlich ist die EU-Datenschutzgrundverordnung eine unvermeidbare Herausforderung, der sich Unternehmen stellen müssen. Sie kann ein wichtiger Impuls sein, um beim Datenschutz wirklich zu handeln. Klug ist es aber, über Compliance und Regulatorik hinaus zu schauen. Ein Gesamtkonzept sollte erstens gesetzliche Vorgaben, zweitens Verpflichtungen gegenüber Partnern und drittens die ureigenen Interessen des Unternehmens, sein digitales Eigentum zu schützen, im Blick haben. Nur so entsteht eine tragfähige Grundlage, um entsprechende Technologien einzusetzen. Dazu gehören DLP, eine dateibasierte Verschlüsselung wie Digital Rights Management oder auch Tokenisierung. Eine Datenklassifizierung, die über diese Schutzmechanismen letztendlich die Entscheidung trägt, muss ein tragender Pfeiler in diesem Gesamtkonzept sein.“ - Christian Nern, KPMG
„Grundsätzlich existieren technische Lösungen oder BI-Lösungen um herauszufinden, wo der größte Schutzbedarf in Unternehmen besteht. Am wichtigsten ist aber, dass die Mitarbeiter aus den Fachbereichen nicht nur geschult werden, sondern auch wissen, was genau sie mit den Daten machen dürfen. Dies erreicht man viel besser über den Austausch über richtige oder falsche Verhaltensweisen beziehungsweise durch Beispielszenarien oder fachspezifische Templates. Auf diese Weise kommt man sukzessive in eine Qualitäts- beziehungsweise Sicherheitskultur, die jedes Unternehmen für Security by Design benötigt, um KI zielgerichtet anzuwenden.“ - Marisa Parrilla, Horn & Company
„Der kulturelle Aspekt muss über die Data Governance hinaus gehen und auch ethische Aspekte berücksichtigen. Denn nicht alles, was man laut DSGVO darf, sollte ein Unternehmen auch tun. Data Protection hat viel mit Vertrauen zu tun und man muß keine Angst haben, diese Transparenz auch nach außen zu schaffen. Vielmehr müssen Unternehmen beide Aspekte in eine Datenstrategie und somit einer Gesamtstrategie integrieren, um so langfristig Wettbewerbsvorteile aus den Daten zu erzielen.“ - Dr. Jean-Michel Lourier, Lufthansa Industry Solutions
„Bei Datenschutz muss man zwei Dinge unterscheiden: Security und Privacy. Während man beim ersten gut aufgestellt ist, herrscht bei letzteren bei vielen noch sehr große Unsicherheit. Durch die Schwammigkeit der DSGVO weiß man oft nicht genau wie weit man gehen muss, um wirklich compliant zu sein – und das ist das Problem. Das führt dazu, dass man immer versucht, auf der sicheren Seite zu sein, wodurch man sich viele Chancen für Data Analytics entgehen lässt.“ - Stefan Zsegora, Telefónica Germany NEXT
„Wenn zehn Data Scientists gleichzeitig beim Datenschützer nachfragen, ob das was sie tun ok ist, dauert es vermutlich zwei Jahre, bis das geklärt ist. Von daher braucht es zum einen eine Umgebung, in der der Data Scientist eine Use-Case-unabhängige Rechtssicherheit hat. Dafür haben wir zum Beispiel eine spezielle Anonymisierungsplattform entwickelt, die genau diese Sicherheit gibt. Zum anderen braucht es Zertifizierungsstellen, die für jeden transparent bescheinigen, dass das, was mit den Daten gemacht wird, rechtlich in Ordnung ist. Denn gerade im Kundengeschäft hat man keine Chance, wenn da auch nur ein Hauch von Schabernack in der Luft liegt.“ - Dominik Koch, Teradata
„Data Analytics und Data Protection schließen sich nicht aus, sondern gehen immer Hand in Hand. Data Scientists müssen sich daher unbedingt mit den allgemeinen und branchenspezifischen Richtlinien für Datenschutz und Datensicherheit auskennen. Um zu wissen, mit welchen Daten sie arbeiten dürfen und mit welchen nicht, müssen sie entsprechend geschult sein. Dafür müssen sie eng mit IT-Security-Spezialisten zusammenarbeiten und in komplexen Fällen auf deren Knowhow zurückgreifen können.“
3. Agile Überraschungen
Die Coronakrise hat auch zahlreiche Unternehmen ohne große Erfahrung mit agilen Methoden gezwungen, die Konzepte anzuwenden, um schnell dringend notwendige Ergebnisse zu liefern. Strategisch ausgerichtete Entwicklungs-Sprints ermöglichen es beispielsweise, KI- und Advanced-Analytics-Lösungen durch Tests und technisches Finetuning den Bedürfnissen anzupassen. Durch diese sehr engen Feedback-Schleifen werden Ergebnisse generiert, die wiederum in den Erfahrungsschatz der gesamten Organisation einfließen können - und das auch bei Unternehmen, die sich selbst bis dahin nicht als Vorbilder für eine agile Methodik gesehen hätten.
4. Change-Anstöße
Die Krise hat auch immer mehr Entscheidungsbefugnisse zu den Teams vorschoben, die am Ende auch darauf angewiesen sind. Sprich: Statt Vorgaben von oben zu folgen, werden datengetriebene Entscheidungen von Teams im direkten, operativen Einsatz getroffen. Man denke beispielsweise an Retail-Teams, die über die gesamte Kundenreise entscheiden. Unterstützt von kundenzentrierten Analytics-Lösungen können sie neue Ansätze direkt testen und ihre Strategie schnell anpassen. Ein enormer Schritt, der gerade in so einer turbulenten Zeit einen spürbaren Kulturwandel im Unternehmen lostreten kann. Das Ergebnis: Mehr Flexibilität, Agilität und Umsetzungsfähigkeit - während der Krise und auch danach.
5. Kein Drama
Unternehmen haben seit Beginn der Pandemie lernen müssen, auch mit imperfekten Datensätzen und Model-Drift umgehen zu können. So ist es durchaus eine Herausforderung, dass sich die großen Veränderungen in der Wirtschaft und im Verhalten von Kunden oftmals nicht gut von den bisherigen Datenbeständen abbilden lassen. Bestehende Analysemodelle laufen deshalb Gefahr, ungenau zu werden, oder sogar fehlerhafte Ergebnisse zu liefern. Gleichzeitig haben Organisationen gelernt, dass sie unter Umständen auch mit suboptimalen Daten nützliche Ergebnisse erzielen können, wenn sie von menschlichen Experten sinnvoll interpretiert und eingeordnet werden.
- Steve Oluborode, Tableau
"Die wichtigsten Schritte sind, das Gefüge aus selbstgestrickten Datenbanken und Datenformaten zu vereinheitlichen, Redundanzen aufzulösen und in ein Format zu bringen. Hinzu kommen Skills und Ressourcen sowie eine moderne Datenkultur. Mit einer isolierten Initiative kommen Unternehmen nicht ans Ziel. Sie brauchen den Schulterschluss zwischen der IT, den Fachbereichen und der Führungsebene – alle müssen Hand in Hand zusammenarbeiten, damit die Fachbereiche schnell auf die relevanten Daten zugreifen können." - Petra Pirron, Datavard
"Viele Unternehmen brauchen einen Übersetzer zwischen Business und IT, um einen Konsens bei Anforderungen und Leistungen zu erzielen und die Brücke zwischen Backend und Visualisierung zu schlagen. Ein Ziel dabei ist, bisherige Investitionen etwa in SAP-Landschaften, Analytics-Tools, Data Lakes oder die Cloud zu schützen und mit Augenmaß zusammenzuführen – was habe ich heute, was brauche ich heute, und was brauche ich morgen? Dabei gilt: Im Daten-Management gibt es kein 'One size fits all'."
6. Standardisierte Abläufe
Klare, bereits im Vorfeld definierte Abläufe und technische Lösungswege machen es KI- und Advanced-Analytics-Experten möglich, in Notfällen schnell zu reagieren. Die aktuelle Krise hat dies auch praktisch gezeigt: Zahlreiche Organisationen haben während dieser Zeit aus Sachzwängen heraus entsprechende Standards für die Sammlung, Zusammenführung und Bereinigung von Daten gesetzt und ihr Management optimiert - und damit eine wichtige Basis für die Zukunft gelegt.
Letztlich wird deutlich, dass die Lage weiterhin komplex ist und so bleibt. Zudem hat sich gezeigt, dass Führungskräfte nicht alle Herausforderungen über Nacht lösen können. Deshalb ist es sinnvoll, im ersten Schritt die Ursachen dafür klar zu identifizieren und innerhalb der Organisation zu kommunizieren. Wenn dann KI- und Advanced-Analytics-Lösungen priorisiert als Teil einer umfassenden Digitalisierungsstrategie angegangen und die nötigen Experten herangezogen oder ausgebildet werden, können Organisationen die Krise nicht nur überleben - sondern sogar gestärkt aus ihr hervorgehen. (hi)