IT-Infrastruktur

11 dunkle Multicloud-Geheimnisse

28.05.2021
Von 
Peter Wayner schreibt unter anderem für unsere US-Schwesterpublikation InfoWorld.com und ist Autor verschiedener Bücher - unter anderem zu den Themen Open Source Software, autonomes Fahren und digitale Transaktionen.
Multicloud-Architekturen machen in vielen Situationen Sinn. Allerdings lauern dabei auch versteckte Kosten und Probleme.
Multicloud-Architekturen bergen viele Vor-, aber auch einige nicht zu vernachlässigende Nachteile.
Multicloud-Architekturen bergen viele Vor-, aber auch einige nicht zu vernachlässigende Nachteile.
Foto: Sabphoto - shutterstock.com

Cloud Computing gleicht einem digitalen Füllhorn von Möglichkeiten. Und wenn die Optionen des einen Cloud Providers gut aussehen, warum dann nicht gleich die von zwei, drei oder einer Vielzahl von Anbietern nutzen?

Es gibt viele gute Gründe für Multicloud-Architekturen: Mehr Cloud-Instanzen heißt auch mehr APIs, mehr Lokationen für Rechenzentren und eine noch längere Liste von verfügbaren KI-Algorithmen (die eventuell funktionieren). Sobald neue Verbesserungen eingepflegt werden, steht ein Team von Spezialisten bereit, das sicher agil genug ist, um aus jedem Quäntchen Cloud das Optimum an Performance zu pressen. Darüber hinaus geht es bei Multicloud-Architekturen auch oft darum, Vendor Lock-in vorzubeugen. Denn wenn das Vertragsende naht, steigen oft die Preise - es sei denn, man liebäugelt mit einem Angebot der Konkurrenz. Eine Multicloud-Strategie erleichtert in solchen Fällen den schnellen Anbieterwechsel erheblich.

Die genannten Vorteile gibt es jedoch nicht umsonst. Agilität und Flexibilität haben auch eine Schattenseite, die sich manchmal erst nach Wochen, Monaten oder gar Jahren zeigt. Wir haben einige dieser dunklen Multicloud-Geheimnisse für Sie zusammengetragen.

1. Proprietäre Angebotslücken

Viele Bestandteile moderner Cloud-Angebote sind reine Commodity. Jeder verkauft Instanzen mit variablen RAM-Größen und Ihrer bevorzugten Linux-Distribution. Zwischen den alltäglichen Optionen verstecken sich jedoch desöfteren wirklich nützliche, größtenteils proprietäre Tools - beispielweise Oracles Datenbank, Googles Firebase oder Microsofts .NET-Stack, um nur einige zu nennen.

Ein Multicloud-Ansatz kann es erschweren, das Beste aus allen verfügbaren Tools zu holen, weil es in der Regel schwer ist, einige davon in anderen Clouds zu duplizieren. Dann haben Sie vielleicht die Option, schnell von einem Anbieter zum anderen zu wechseln - dafür entgehen Ihnen dann aber unter Umständen einige wirklich sinnvolle Features oder Tools, die imstande wären, Ihr Business nach vorne zu bringen.

2. Die Qual der Wahl

Entscheidungen zu treffen, kostet Zeit. Ein Übermaß an Wahlmöglichkeiten sorgt dafür, dass Spreadsheets und Checklisten angefertigt werden, die wiederum von Entscheidungskomitees in länglichen Meetings evaluiert werden müssen. Und am Ende führt der ganze Aufwand dazu, dass Ihr Unternehmen Kosten im Cent-Bereich spart. Wenn überhaupt.

3. Veränderungswirrwarr

Viele Cloud-Bestandteile sind relativ austauschbar. Trotzdem gibt es immer kleine Unterschiede, die Ihr Cloud-Team stets im Blick behalten sollte. Vielleicht wurde eine Cloud-Instanz bereits auf PHP8 umgestellt, eine andere nicht. Oder eine weitere Instanz wird auf ein anderes Preismodell umgestellt, weil der ausgehende Traffic zu hoch war. Mehr Anbieter und Partner bedeuten immer auch mehr Abstimmungsaufwand, den das gesamte Team zu tragen hat. Wer also in Genuss der Multicloud-Vorteile kommen will, muss auch den Überblick über die zugehörigen Produktankündigungen, Änderungen, Pressemitteilungen und E-Mails wahren können.

4. Standard?

In der Theorie wird das Internet von elaborierten Standards zusammengehalten, die sicherstellen, dass alles interoperabel ist. Diese Aussage ist zwar grundsätzlich richtig, aber eben nicht zu einhundert Prozent. Es bestehen immer winzige Unterschiede in Ihrer Ubuntu- oder Python-Version und Ihr Programmcode wird sich daran "verschlucken", wenn diese offenbar werden. Ihren Code auf mehrere Cloud-Instanzen zu verteilen, erhöht die Chance, dass diese kleinen Unterschiede zu Tage treten - vorzugsweise am Wochenende oder während Ihres Urlaubs.

5. Latenzverschleppung

Datenpakete zwischen Rechnern im selben Rack hin- und herzuschicken, geht für gewöhnlich schneller vonstatten, als dieselben Pakete an ein weiteres Data Center am anderen Ende der Welt zu senden. Wenn Sie also von den besonders niedrigen Storage-Preisen in der Antarktis profitieren wollen, müssen Sie unter Umständen auch mit längeren Verzögerungen rechnen.

Wobei die Latenz nicht immer von Bedeutung ist - einige Daten müssen nicht besonders schnell verschickt werden. Auch Hintergrundberechnungen brauchen nicht notwendigerweise viel Speed. Doch es macht durchaus Sinn, Ihre Kern-Microservices in Ihrer näheren Umgebung laufen zu lassen.

6. Zeitmultiplikation

In eine Cloud zu investieren, heißt, sich mit deren Details und Interfaces vertraut zu machen. In viele Clouds zu investieren, heißt, dasselbe Spiel mehrmals durchzuspielen. Ihr Team muss also nicht nur einmal, sondern vielfach Expertise aufbauen. Zwar gibt es einige Optionen, dieses Verfahren zu vereinfachen - die Storage API von Backblaze zum Beispiel, die Amazon S3 Buckets nachahmt. Solche Tools sind allerdings eher die Ausnahme als die Regel. Multicloud heißt auch multiple Schulungen.

7. Preisgefüge-Dschungel

Den günstigsten Preis pro Stunde auszuwählen, liegt bei der Wahl der Cloud-Instanz nahe. In der Regel laufen aber auch andere Kosten auf, die sich im Einzelfall läppern können. Einige Cloud-Angebote sehen beispielsweise für Daten, die das Rechenzentrum verlassen, Gebühren vor. Andere bieten besonders günstige Konditionen für eine langfristige Bindung. Alle Cloud-Preismodelle sind sehr divers ausgestaltet - um auf Anhieb das günstigste Angebot zu finden, reicht ein Blick auf keinen Fall, es sei denn Sie haben Glück.

8. Der kleinste gemeinsame Nenner

Commodity-Optionen führen zu einem Commodity-Produkt. Vielleicht ist Ihr Team auf Zack und ergänzt weitere Code-Layer, die großartige, neue Features realisieren. Aber das ist mühsam, wenn Sie in Sachen Cloud nur mit dem absoluten Minimum an den Start gehen. Es gibt diverse Fälle, in denen es gut funktioniert, auf die einfachste Lösung zu setzen. Wenn Sie mit der Cloud durchstarten und langfristig Erfolg haben wollen, sollten Sie von diesem Ansatz absehen. Ansonsten ist Ihre Multicloud-Architektur nicht mehr als der kleinste gemeinsame Nenner.

9. Discount Lock-out

Im Regelfall bieten Cloud-Anbieter mehr oder weniger fette Rabatte für Unternehmen, die als Großeinkäufer agieren und sich für mehrere Jahre binden wollen. Die entgehen denjenigen Firmen, die sich dem Vendor Lock-in mit Agilität widersetzen wollen und ihr Budget lieber über viele Cloud-Instanzen verteilen.

10. Multi-Trust-Architektur?

Mit dem Vertrauen ist es so eine Sache: Natürlich spricht nichts dagegen, das Schicksal eines Unternehmens nicht in die Hände eines einzelnen Cloud Providers legen zu wollen. Andererseits bedeutet der Multicloud-Ansatz, dass Sie Ihr Vertrauen in mehrere Anbieter setzen - was das Enttäuschungspotenzial potenziert.

11. Mut zur Rechtslücke?

Nur auf einen Cloud-Anbieter zu setzen, birgt den Vorteil, dass es für diesen schwieriger wird, die Verantwortung für etwaige Probleme von sich zu schieben. Stellen Sie sich vor, Sie schließen eine Brandversicherung ab und bei einem anderen Versicherer eine gegen Wasserschäden. Wenn ein Brand dann einen Wasserschaden verursacht, können Sie darauf wetten, dass die Versicherer die Bringschuld beim jeweils anderen sehen.

Eine Multicloud-Strategie zu fahren, bedeutet mehr, als sich durch die Standardklauseln mehrerer Verträge zu wühlen: Sie fördert die Entstehung rechtlicher Lücken zwischen diesen Verträgen. Sie sollten alles daransetzen, diese so gut wie möglich zu schließen. (fm)

Dieser Beitrag basiert auf einem Artikel unserer US-Schwesterpublikation CIO.com.