0900 - Schluss mit der 0190-Abzocke?

05.10.2005
Von 
Jürgen Hill ist Chefreporter Future Technologies bei der COMPUTERWOCHE. Thematisch befasst sich der studierte Diplom-Journalist und Informatiker derzeit mit aktuellen IT-Trendthemen wie KI, Quantencomputing, Digital Twins, IoT, Digitalisierung etc. Zudem verfügt er über einen langjährigen Background im Bereich Communications mit all seinen Facetten (TK, Mobile, LAN, WAN). 

Was auf dem Papier auf den ersten Blick nach einem rein technischen Problem aussieht, hat in der Praxis sowohl juristische als auch buchhalterische Konsequenzen. Buchhalterisch, weil die Netzbetreiber nun die 0900-Forderungen nicht mehr zu fast 100 Prozent als eigenen Umsatz ausweisen können wie in der 0190-Vergangenheit, sondern nur noch ihre eigentliche Transportleistung.

Schwarze Schafe haben das Nachsehen

Mit der Einführung der 0900-Nummer beginnen für unseriöse Serviceanbieter im Festnetz harte Zeiten: Sie erhalten nicht mehr automatisch von den Carriern vorab für den Anruf ihrer Nummer Geld überwiesen, sondern müssen die Rechtmäßigkeit ihrer Forderung beweisen. Bis Anfang des Jahres wurden allen Anbietern pauschal acht Prozent (4,5 Prozent für Rechnungserstellung, 3,5 Prozent für Ausfallrisiko) von den 0190-Gebühren abgezogen. Stellte ein Netzbetreiber später fest, dass ein 0190-Serviceanbieter eine höhere Ausfallquote hatte, weil etwa 50 Prozent der Kunden die Forderung reklamierten und nicht bezahlten, so blieb er auf seinen Kosten sitzen. Denn er hatte ja bereits vorab den Betrag an den Anbieter überwiesen. Und dieser lachte sich, so er zu den schwarzen Schafen gehörte, ins Fäustchen, da er sich bereits in eines der bekannten Steuerparadiese abgesetzt hatte. Eine Masche, die so erfolgreich gewesen sein soll, dass teilweise Wohnungen angemietet wurden, nur um für ein bis zwei Monate einen 0190-Anschluss zu betreiben.

Und diese liegt im Cent-Bereich. Ein Insider verdeutlicht die bisherige Praxis an einem Beispiel aus dem Güterverkehr: Hätte ein Spediteur Waren im Wert von 500000 Euro für 1000 Euro von A nach B im Rahmen der 0190-Regelung transportiert, dann hätte er einen Umsatz von 501000 Euro ausweisen können. Bei den 0900-Nummern kann der Spediteur, sprich Carrier, nur noch die reine Transportleistung, also 1000 Euro, als Umsatz angeben. TK-Experten gehen deshalb davon aus, dass es 2006 nach der Einführung der 0900-Nummern an der Börse bei einigen TK-Werten ein böses Erwachen geben wird, wenn die Telefongesellschaften plötzlich einen deutlich niedrigeren Umsatz ausweisen. Böse Zungen spekulieren bereits darüber, dass zwei bis drei Netzbetreiber wohl zwei Drittel ihres Umsatzes einbüßen werden und ihr Börsenwert entsprechend abrutscht. Andere Kritiker argwöhnen gar, dass die Umsatzzahlen der deutschen Carrier mit Hilfe der 0190-Nummern oftmals aufgeppt wurden.