Informationswege sind vorab zu definieren

Zuteilung von Kompetenzen obliegt den Fuehrungskraeften

19.03.1993

Der starke Konkurrenz- und Kostendruck, der durch das Zusammenwachsen Europas momentan noch verschaerft wird, zwingt zu einer staendigen Verbesserung und Beschleunigung der Entscheidungsstrukturen und -prozesse. Es waere fatal zu glauben, mit der Einfuehrung eines Management Information System (MIS) beziehungsweise Executive Information Systems, das auf Knopfdruck bunte Grafiken erzeugt, waere alles Notwendige getan.

In Wahrheit sind die Probleme wesentlich komplexer. Moeglichst ohne Wartezeit moechte die Fuehrungskraft aktuelle Ergebnisse sehen, Trends analysieren und Kosten verfolgen. Doch leider sind in der Regel die neuesten Zahlen im aktuellen MIS oder EIS nicht verfuegbar. Im Produktionsplanungs- und Steuerungssystem (PPS), fuer dessen Aktualitaet der Produktionsleiter sorgt, sind die Daten dagegen vorhanden, ebenso im letzmten Verkaufsbericht, den nur der Vertriebsleiter einsehen kann, und in der neuesten Liste des Firmen-Controllers, die gut isoliert in dessen PC-Umgebung verborgen liegt.

Diese Schwierigkeiten treten ueberall auf. Es gibt indes Bestrebungen, das DV-Dunkel durch Standards zu lichten und Inselloesungen zu verbinden. Leider sind Standards aber nicht vollkommen. Sie vereinheitlichen aufgrund des Abstimmungsbedarfs zwischen unterschiedlichen Interessengruppen auch nicht alles, was nach dem neuesten Stand der Technik moeglich waere.

Genaue Aufstellung des IST-Zustandes

So unterstuetzt mitunter ausgerechnet das System, das vor zwei Jahren angeschafft wurde und sich im praktischen Einsatz bewaehrt hat, die Standards fuer den gewuenschten Informationsaustausch nicht. Ausserdem: Standards sind zwar die Voraussetzung fuer einen moeglichst freien Austausch von Information, legen aber keineswegs fest, wer wann wo welche Kenntnisse benoetigt.

Was also ist zu tun? Sinnvoll ist es, im eigenen Unternehmen eine praezise Aufstellung des Ist-Zustandes zu machen. Die vorhandenen Einzelsysteme sind aufzulisten, ausserdem muessen Strategien und Konzepte erarbeitet werden, welche Informationswege in welchem zeitlichen Zusammenhang zwischen den vorhandenen Systemen gewuenscht und wie diese aufzubauen sind.

Dabei ist es wichtig, genau herauszuarbeiten,

- wer bestimmte Entscheidungen trifft,

- wann diese getroffen werden muessen,

- welche Eingangsinformationen zur Entscheidungsfindung notwendig sind und wo diese abzuliefern sind.

Diese Festlegungen sind notwendig, damit die Information sowohl bereitgestellt als auch genutzt werden kann. Betrachtet man die unternehmenseigenen Systeme, so ist in der Regel eine Mischung aus zentraler, verteilter und isolierter Datenhaltung vorhanden. Nicht jede Information muss ueberall greifbar sein, und nicht jede muss sofort zur Verfuegung stehen. Manche Informationen haben auf Abruf bereit zu stehen, ohne dass der genaue Zeitpunkt ihrer Benutzung feststeht.

Der Versuch, die Informationspfade bildlich darzustellen, foerdert oftmals ein recht interessantes Ergebnis zutage. Meistens gibt es ganz dedizierte, teilweise voneinander unabhaengige Informationspfade. Es ist sehr wahrscheinlich, dass jemand, der eine bestimmte Information fuer eine oder mehrere definierte Stellen monatlich bereitstellen muss, gleichzeitig Daten von einer voellig anderen Stelle woechentlich, taeglich oder sofort benoetigt. In anderen Faellen moechte jemand die neueste Information zu einem Thema an einer zentralen Stelle fuer noch nicht definierte Zwecke speichern.

Wie sich ein Datenchaos verhindern laesst

Eines muss hier mit aller Deutlichkeit gesagt werden: Es ist Chefsache, Struktur in das vorhandene Informationslabyrinth zu bringen, Erwuenschtes von Unerwuenschtem zu trennen und zu definieren, wer welche Information gibt oder erhaelt. Nur so laesst sich ein undurchsichtiges, eventuell gefaehrliches Datenchaos ausschliessen. Es reicht nicht aus, schoene bunte Grafiken zu erzeugen - die darauf aufbauenden Entscheidungen koennen fatale Folgen haben!

Wie also ist in der Praxis vorzugehen? Am Anfang muessen die Informationsdepots festgelegt werden. Informationserzeugende Stellen werden Quellen genannt, informationsabrufende Stellen hingegen Senken. Die Richtung jedes Informationsflusses ist von der jeweiligen Quelle zur Senke festgelegt. Mit diesem Grundmuster steht bereits ein einfach handhabbares Werkzeug zur Verfuegung, mit dem sich fuer einzelne Pfade Loesungen definieren lassen.

Auf der Basis eines solchen Modells koennen Entscheidungen fuer die Realisierung einzelner oder aller Wege leichter vorbereitet beziehungsweise gefaellt werden - auch wenn die erforderlichen Standards zur DV-technischen Umsetzung fuer einen bestimmten Pfad noch nicht bereitstehen oder noch nicht integriert sind. Beruecksichtigt werden

- der Aufbau von Rechnerverbindungen und Kommunikationswegen (moegliche Standards: SNA, TCP/IP, DECnet, NAS, DCE, X.400 etc.),

- der Zugriff auf Datenbasen (eingesetzter Standard: SQL2 beziehungsweise SQL3),

- die Gestaltung transaktionsorientierter Benutzeroberflaechen (moegliche Standards: X.11, Windows, OSF/Motif, CUA, FIMS etc.) sowie

- der Dokumentenaustausch (moegliche Standards: ODA mit ODL und ODIF, SGML, RTF, CDA mit DDIF etc.).

Welche Standards sollen eingehalten werden?

Die genannte Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollstaendigkeit und unter-scheidet nicht zwischen unabhaengigen und proprietaeren Standards. Eine sinnvolle Kombination der einzusetzenden Standards kann jedes Unternehmen nur individuell auf Basis des Ist- und des Soll-Zustands finden. An Stellen, wo ein angestrebter Standard noch nicht einsetzbar ist, empfehlen sich Zwischenloesungen unter Einhaltung von Standards niedrigerer Ebenen. Nur so laesst sich das Primaerziel, der leichte Zugriff auf die gerade gesuchte Information, realisieren.

Eine weitere, sehr pragmatische Standardisierung kann auch durch die Begrenzung der zulaessigen Anwendungen erreicht werden. Die Mitarbeiter benutzen nicht laenger fuenf, sondern nur noch zwei Textverarbeitungen und Spreadsheets - und zwar die bewaehrtesten und am weitesten verbreiteten. Die Kosten fuer den Ersatz der unerwuenschten Anwendungen lassen sich schnell durch geringere Schulungsausgaben, den leichteren Datenaustausch und das Vermeiden eines kostentraechtigen Medienbruchs (Papierausgabe, manuelle Wiedereingabe) wettmachen.

Neue Produkte und Anwendungen muessen im Hinblick auf die festgelegten Unternehmensstandards und die zu realisierenden Informationspfade ausgewaehlt beziehungsweise implementiert werden. Wichtige Voraussetzungen hierfuer sind

- Investitionsschutz (das heisst Aufwaertskompatibilitaet, Erweiterbarkeit, Konfigurierbarkeit),

- Portabilitaet der Anwendersysteme,

- Homogenitaet im Sinne eines moeglichst identischen Look and feel fuer aehnliche Funktionen an unterschiedlichen Arbeitsplaetzen und Plattformen sowie

- Kommunikationsfaehigkeit (das heisst Export, Import, Transport von Information).

Wuenschenswert, wenn auch nur bedingt erforderlich, ist die Abbildung einmal definierter Informationswege in einem zentralen System.

Neben der Bereitstellung von Zugriffsrechten und fuer den Anwender transparenten Transportwegen, gegebenenfalls auch Konvertierungsschritten, kann ein solches System auch die Ermittlung von Kosten und die Abrechnungen fuer Lieferung und Inanspruchnahme von Information leisten. Information ist ein kostbares Gut und hat ihren Preis.

Ein weiteres Plus ist die Existenz einer zentralen temporaeren Ablage (kein Archiv), ohne dass in die Befugnisse zugrundeliegender dezentralisierter Anwendungssysteme und ihrer Organisatoren eingegriffen werden muss. Ueber ein solches System koennte auch jene Information aufgespuert werden, die immer bereitgestellt, aber nie abgeholt wird. Umgekehrt sind Informationen anzubieten, die oft nachgefragt werden, aber nie vorhanden sind.

Ein derartiges System schafft bereits waehrend der Konzeption die Grundlagen, um Geschaeftsprozesse auf Informationspfade abzubilden und somit den Fluss von Daten und Kenntnissen zu optimieren.

*Petra Melzer-Vassiliadis ist Geschaeftsfuehrerin der System Consult GmbH in Berlin.