64-Bit-Architektur/Anwender fordern im Server-Segment eine schnelle Lösung

Zukunft der 64-Bit-Betriebssysteme liegt noch im Dunkeln

22.09.2000
Die Entwicklung der Prozessorhardware und Betriebssysteme schreitet unaufhaltsam in Richtung 64 Bit voran. Dennoch ist fraglich, ob sich die neuen Prozessoren in absehbarer Zeit durchsetzen können. Zwar haben alle Betriebssystemhersteller ihre Unterstützung angekündigt, doch die Anwender sind teilweise noch skeptisch. Martin Kuppinger* beleuchtet die 64-Bit-Strategien der Anbieter.

Eine zentrale Rolle für die künftige Bedeutung des 64-Bit-Computings spielt der avisierte IA-64-Prozessor "Itanium" von Intel. Dieser wird für den riesigen x86-Markt, den der Chip-Gigant aus Santa Clara in den letzten Jahren entscheidend geprägt hat, den Schritt von der 32-Bit- zur 64-Bit-Welt markieren. Die Itanium-CPU erfuhr schon lange vor ihrer Verfügbarkeit eine breite Unterstützung sowohl von Hard- als auch Softwareherstellern, wie unter http://developer.intel.com/design/ia-64/commit.htm nachzulesen ist.

Neben Unix-Anbietern wie HP mit dem Betriebssystem HP-UX und SCO mit dem Monterey-Projekt, dessen Zukunft allerdings nach der Übernahme von SCO durch Caldera eher fraglich erscheint, finden sich hier etliche Linux-Distributionen sowie die Branchengrößen Microsoft und Novell. Alle wichtigen Anbieter von Betriebssystemen für die 32-Bit-Intel-Plattformen werden also auch Lösungen für die IA-64-Architektur auf den Markt bringen. Das spezielle Interesse gilt dabei natürlich den Plänen von Microsoft und Novell. Microsoft hat die 64-Bit-Version von Windows 2000 bereits vor längerer Zeit angekündigt und auch schon mehrfach in der Öffentlichkeit demonstriert. Auch die Entwicklungsumgebungen wurden bereits so angepasst, dass Entwickler Anwendungen sowohl für die 32-Bit- als auch für die 64-Bit-Plattform entwickeln können. Unter http://www.microsoft.com/WINDOWS2000/guide/platform/strategic/64bit.asp finden sich detailliertere technische Informationen zu dem geplanten Release.

Einen genauen Zeitpunkt für die Auslieferung seines 64-Bit-fähigen Betriebssystems nennt Microsoft jedoch noch nicht. Insider spekulieren aber darüber, dass die Verfügbarkeit mit dem ersten großen Upgrade von Windows 2000 zusammenfallen könnte, das derzeit unter dem Code-Namen "Whistler" entwickelt wird und das bis Mitte 2001 auf den Markt kommen soll. Der ursprüngliche Zieltermin einer Fertigstellung noch im Jahr 2000 dürfte kaum zu halten sein, zudem es bisher noch nicht einmal eine offizielle Beta-Version des Produkts gibt.

Auch bei Novell wird das unter dem Code-Namen "Modesto" in der Entwicklung befindliche 64-Bit-Release der "Netware" wohl noch einige Zeit auf sich warten lassen. Die unlängst für Mitte 2001 angekündigte "Netware 6" dürfte jedenfalls nach allen bislang vorhandenen Informationen noch ein 32-Bit-Betriebssystem sein. Novell legt den Fokus seiner Strategie hier klar auf SMP-(Symmetrical Multiprocessing-) und Cluster-Unterstützung und will sowohl bis zu 32 Prozessoren in einem Server als auch bis zu 32 Knoten in einem Cluster unterstützen.

Etwas weiter ist hingegen die Linux-Community. Hier steht zu erwarten, dass spezielle Linux-Versionen für den IA-64 relativ kurzfristig nach der Verfügbarkeit des Prozessors auch von allen führenden Distributoren auf den Markt gebracht werden.

Gerade wenn man die Entwicklung bei Novell betrachtet, stellt sich für die Anwender die Frage, wie wichtig 64-Bit-Prozessoren tatsächlich sind. Wenn es um Skalierbarkeit geht, spielt die Leistungsfähigkeit der Prozessoren alleine nicht die entscheidende Rolle. SMP-Systeme und Cluster bergen wesentlich mehr Potenzial, um die Systemleistung zu steigern, als die reine Leistungsfähigkeit der CPUs. Daher kann es auch nicht überraschen, wenn Anwender die künftige Bedeutung von 64-Bit-Betriebssystemen und -Prozessoren gerade im Intel-Umfeld durchaus skeptisch beobachten.

So sieht Renatus Beck von der Wacker-Chemie GmbH auf dem Client derzeit keinerlei Notwendigkeit für 64-Bit-Betriebssysteme ebenso wenig wie für File-, Print- oder Mail-Server. Dagegen wird die starke Tendenz zur Rezentralisierung von Servern zurück in Rechenzentren Becks Urteil nach einen Bedarf für Server mit 64-Bit-Prozessoren und entsprechenden Betriebssystemen entstehen lassen. Als interessante Anwendungsbeispiele für dieses Umfeld nennt der IT-Manager ERP-Applikationen, unternehmensweite Datenbankanwendungen, skalierbare Web-Server-Formen und insbesondere Terminal-Server-Farmen, etwa mit Terminal-Diensten für die SAP-GUI. Diese Auffassung teilt im Kern auch Oliver Eichler, Entwicklungsleiter des Stuttgarter Informationslogistik-Spezialisten Caatoosee AG und in dieser Position intensiv in Projekte involviert, in denen eine hohe Leistungsfähigkeit zentraler Server-Anwendungen für E-Business-Lösungen erforderlich ist. Eichler sieht für den normalen Anwender keine Notwendigkeit, kurzfristig auf 64-Bit-Systeme zu wechseln. Der Hauptnutzen der neuen Architektur liege bei Server-Systemen für Web-Anwendungen und hier insbesondere im Bereich von Datenbanken und Verzeichnisdiensten.

Wesentlich schneller erwartet hingegen Michael Abel, der geschäftsführende Gesellschafter des Stuttgarter Spezialisten für AIX und High Availability Resnova GmbH, eine Marktdurchdringung mit 64-Bit-Lösungen. Während einer Übergangsphase werde die Entwicklung von Compilern, die auf der gleichen oder vergleichbaren Basis sowohl 64-Bit- als auch 32-Bit-Code erzeugen können, eine wichtige Rolle spielen.

Gute Chancen für IA-64 im HighendDie Entwicklung wird dabei im Bereich der professionellen Unix-Systeme schneller vorankommen. Hier sieht Abel einen deutlichen Vorsprung der Nicht-Intel-Welt, weil im Intel-Umfeld erst mit der IA-64-Architektur überhaupt ernsthaft mit der Umstellung begonnen wird. Das dürfte dazu führen, dass der IA-64 zunächst bei Servern eingesetzt werde, in erster Linie im Highend-Segment. Andererseits erwartet der Stuttgarter Geschäftsführer aber, dass mit sinkenden Hardwarepreisen auch bei Workstations schnell die Umstellung auf 64-Bit-Prozessoren und -Betriebssysteme eintritt.

Bei allen Anwendern besteht allerdings Einigkeit darüber, dass sich gerade bei Highend-Servern der IA-64-Prozessor und entsprechende Betriebssysteme, soweit sie erhältlich sind, durchsetzen werden. Die entscheidende Rolle dabei spielt, dass einerseits SMP-Systeme und Cluster zwar zu einer deutlich höheren Performance führen, die Prozessorleistung aber auch ein wichtiges Glied in der Leistungskette des Gesamtsystems bildet.

Hier bringen 64-Bit-Systeme gerade bei der Verarbeitung von großen Datenmengen signifikante Vorteile, die nicht allein durch andere Technologien aufzufangen sind. Es ist daher eher mit einem Nebeneinander der Entwicklungen zu rechnen. Ansätze wie das NLB (Network Load Balancing) und der "AppCenter Server" für das "Application and Component Load Balancing" in Clustern bei Windows 2000 korrespondieren mit der Entwicklung für eine optimierte SMP-Skalierbarkeit, wie sie sich etwa beim "Data Center Server" findet, und dem Schritt zur vollen Unterstützung der IA-64-Plattform.

*Martin Kuppinger ist freier Autor in Stuttgart.