Microsofts neues Lizenzmodell: Anwender warten auf ein Einlenken des Herstellers

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19.07.2002
MÜNCHEN (wm) - Die Zeit läuft ab für Microsoft-Kunden: Bis Ende Juli müssen sie sich für oder gegen das neue Lizenzmodell 6.0 der Redmonder entschieden haben. Viele Anwender befürchten deutlich höhere Softwarekosten, daher pokern zahlreiche Unternehmen bis zum Schluss, um die bestmöglichen Konditionen für neue Lizenzverträge herauszuschlagen.

Das neue Softwarelizenzmodell hat in den letzten Monaten hohe Wellen geschlagen, denn Microsoft hat ein Ultimatum gestellt: Am 31. Juli läuft die Übergangsfrist ab, bis dahin müssen sich alle Kunden entscheiden, entweder am neuen Lizenzmodell teilzunehmen oder nichts zu tun und damit beim nächsten Release-Wechsel den vollen Lizenzpreis anstelle preisgünstiger Update-Tarife zu bezahlen. Ein Kernpunkt der License 6.0 ist dabei die Software Assurance, eine Art Mietvertrag mit jährlicher Gebühr für die Softwarenutzung inklusive einer Update-Garantie für neue Softwareversionen.

Schluss mit billigen Updates

Um genügend Teilnehmer für das neue Preisschema zu gewinnen, lockt Microsoft die Anwender bis Ende Juli mit dem Übergangsangebot "Upgrade Advantage". Kunden können damit in einem Aufwasch fast alle Altversionen ihrer Microsoft-Anwendungen und Betriebssysteme zu günstigeren Konditionen auf den neuesten Stand bringen und ohne den Lizenzneukauf in die neue Software-Assurance-Lizenz überführen. Wer die Frist hingegen untätig verstreichen lässt und sich nicht vertraglich binden will, verliert ab 1. August die Möglichkeit, Altprodukte mit einer preisgünstigen Update-Lizenz abzulösen. Anwender mit Volumenverträgen wie Open oder Select müssen dann Neulizenzen erwerben. Zusätzlich können sie dafür die Software Assurance abschließen, die pro Jahr Kosten in Höhe von 25 Prozent des Lizenzpreises bei Desktop und 29 Prozent des Preises bei Server-Produkten verursacht.

Nicht wenige Anwender fühlen sich erpresst, denn wer nicht beitritt, verliert praktisch seinen Investitionsschutz. Hatten Kunden bisher das Recht, zu einem beliebigen späteren Zeitpunkt eine günstige Nachfolgerversion zu erwerben, fängt, wer Volllizenzen besitzt, mit der neuen Regelung jedes Mal wieder bei null an und muss bei jedem Update den vollen Preis bezahlen. Belohnt werden beim neuen Modell lediglich diejenigen Anwender, die die Software Assurance ausnutzen und jeden Produktwechsel mitmachen. Dabei ist der größte Teil der Anwender gar nicht interessiert an ständiger Erneuerung, die meisten wollen ihre Zyklen selber bestimmen.

Der Unmut in der Anwenderschaft ist aber auch deshalb groß, weil Microsoft es versäumt hat, seine Kunden rechtzeitig über die tatsächlichen Auswirkungen des neuen Modells aufzuklären. Der wichtigste Punkt ist dabei die Frage nach den Kosten. Die Redmonder haben von Anfang an beteuert, dass die große Mehrheit ihrer Kunden zukünftig mit niedrigeren Lizenzkosten rechnen können, doch so recht will das bis heute kaum jemand glauben. Bei einer Umfrage, die die CW-Schwesterzeitschrift CIO kürzlich unter 231 deutschen IT-Leitern betrieben hat, rechneten 199 mit steigenden Kosten durch die Umstellung. Lediglich 21 Befragte gingen davon aus, dass die Kosten gleich bleiben, elf erwarten eine Vergünstigung.

Anwender rechnen mit höheren Kosten

Auch eine Umfrage der US-amerikanischen Unternehmen Sunbelt und ITIC unter weltweit 1500 Windows-Anwendern bestätigt die Brisanz der Kostenproblematik: Lediglich zwölf Prozent gaben an, sie hätten das Budget für das neue Lizenzprogramm, 41 Prozent gingen davon aus, dass License 6.0 ihren finanziellen Rahmen sprengen würde. Immerhin 36 Prozent wussten in dieser Umfrage vom März noch keine Details über die finanziellen Folgen. Ins Bild passt dazu das Ergebnis der Frage, ob man die Bedingungen von Licence 6.0 verstanden habe: Nur 22 Prozent antworteten mit "ja", 24 Prozent sagten "nein" und 45 Prozent glaubten, die Konditionen nur teilweise verstanden zu haben. Neun Prozent hatten damals noch nicht begonnen, sich mit dem Thema zu befassen.

Ballmer, übernehmen Sie!

Selbst Steve Ballmer gab zwischenzeitlich zu, dass man den Kunden zu wenig Zeit gegeben und bei der Kommunikation teilweise versagt habe. Aus diesem Grund haben die Redmonder in diesem Jahr noch einmal 20 Millionen Dollar für Schulungsprogramme ausgegeben, um Distributoren und Anwender aufzuklären.

Der Softwareriese gibt sich dabei unerwartet konziliant, um bis Ende Juli noch genügend großvolumige Abschlüsse zu erzielen. "Wenn Kunden ein Problem haben, versuchen wir natürlich, ihr Vertrauen zu gewinnen und eine Win-Win-Situation zu schaffen", sagte Ballmer, "und das haben wir viele Dutzende Male mit Kunden gemacht, die unser neues Lizenzmodell in Erwägung gezogen haben."

Welch hohe Priorität das Thema derzeit in Redmond hat, zeigt die Tatsache, dass Ballmer selbst in Verhandlungen involviert ist, so etwa mit einem großen deutschen Industrieunternehmen. Laut Ballmer habe sich das Unternehmen, dessen Namen nicht genannt wurde, beschwert, dass mit den neuen Lizenzbedingungen eine nicht hinnehmbare Kostensteigerung ins Haus stünde. Nach drei Wochen Verhandlungen sei man mit dem Kunden handelseinig geworden.

Hört man sich um bei Anwendern und Analysten, stellt man fest, dass große Industrieunternehmen offenkundig deutlich besser mit Microsofts neuer Lizenzpolitik zurechtkommen als die kleinen und mittelgroßen Firmen. Das gilt beispielsweise auch für die MAN-Gruppe. Der Konzern hat einen auf die Bedürfnisse von MAN zugeschnittenen Vertrag mit Microsoft besiegelt, wie Robert Bertram, Leiter Konzernkoordination Informationstechnik, berichtet. Dabei ging hier wie in vielen anderen Fällen die Initiative von der Gates-Company aus: Microsoft hat MAN von sich aus angeboten, auf das neue Lizenzmodell umzustellen. Für Bertram liefen die Verhandlungen zufrieden stellend: "Wir kennen unseren planerischen Bedarf und haben ausgerechnet, was wir mit dem neuen Modell pro Arbeitsplatz an Kosten haben. Der Vertrag mit Microsoft bringt für beide Seiten entsprechende Vorteile."

Ganz andere Probleme haben da mittelgroße Anwender wie die Sick AG, ein Hersteller von Industriesensoren. Laut Thomas Hemmerling-Böhmer, IT-Leiter des badischen Unternehmens, setzt man bei Sick auf Kontinuität und ist somit weit von Microsofts kurzen Produktintervallen entfernt. Das Unternehmen mit etwa 3000 Mitarbeitern arbeitet seit 1998 mit Office 97, im Client- und Server-Bereich wird überwiegend NT 4.0 eingesetzt. "Eine Aktualisierung mit Upgrade Advantage würde bei uns Kosten in Millionenhöhe verursachen", so Hemmerling-Böhmer, "dabei rechnen wir erst in etwa zwei Jahren mit einem tatsächlichen Bedarf an neuer Software."

Microsoft bestimmt den RoI

Was Hemmerling-Böhmer am meisten wurmt, ist der Umstand, dass mit den neuen Lizenzregeln Microsoft plötzlich in der Situation ist, den RoI (Return on Investment) zu definieren. Aus Sicht der Sick AG ist derzeit kein RoI absehbar. Inakzeptabel wären für das Unternehmen aber nicht nur die Mehrkosten durch License 6.0, sondern auch die zwangsläufig anfallenden Zusatzkosten bei Administration, Rollout und Schulungen. Durch intensiven Makro-Einsatz bei den Office-Clients ist die Sick AG derzeit stark an die Microsoft-Plattform gebunden. Verschiedene Migrationsprojekte auf Server-Systeme sollen diese Abhängigkeit jedoch mittel- und langfristig abbauen. Auch Linux-Desktops und Open Office seien dann als Alternative vorstellbar.

In der Zwischenzeit mehren sich die Anzeichen, dass Microsoft bei den Preisen für neue Lizenzen und Consulting-Leistungen kurz vor dem Entscheidungstermin auf breiter Front zu Konzessionen bereit ist. Ein Grund für die überraschenden Preisnachlässe war nach Einschätzung von Julie Giera, Analystin bei der der Giga Information Group, das Ende des Fiskaljahres am 30. Juni. Der Hersteller wollte offenbar noch viele unentschlossene Anwender zu einem Abschluss bewegen. Gieras deutscher Kollege Thomas Mendel, Director Research bei Giga in Frankfurt am Main, schließt sich dieser Einschätzung an. Dieser Faktor habe auch für den europäischen Markt eine Rolle gespielt, so Mendel. Allerdings sei es für die noch abwartenden Microsoft-Kunden nun wichtig, die Lizenzoption Upgrade Advantage noch vor Ablauf der Übergangsfrist zu nutzen.

Verweigerungshaltung

Doch ein großer Teil der Anwenderschaft denkt offenbar nicht daran, aktiv zu werden. Laut CIO-Umfrage haben 58,8 Prozent der IT-Verantwortlichen ausgesagt, dass sie der neuen Lizenzierung nicht beitreten und derzeit alles beim Alten lassen. Ähnliche Erfahrungen haben Verteter einer großen deutschen Windows-Anwendervereinigung gemacht, die ungenannt bleiben wollten. Dort habe man die Erfahrung gemacht, dass sich viele Unternehmen nicht vom ultimativen Charakter des Juli-Termins haben beeindrucken lassen und auf Microsofts Goodwill-Strategie setzen. Hier gebe es bis zum letzten Tag eine Art Pokerspiel zwischen den Verantwortlichen bei Microsoft und den Anwendern.

Große Anwender mit "Enterprise-Agreement"-Verträgen, so hieß es aus dem Verband, verhandeln in dieser Situation direkt mit Microsoft. Hier liegen die Karten auf dem Tisch, die Kunden warten mit ihren Unterschriften bis Ende des Monats und erwarten noch, dass Microsoft die Lizenzbedingungen ändert. Bei Verträgen unterhalb des Enterprise Agreements wird mit Microsoft-Partnern verhandelt. Auch in dieser Kategorie laufen derzeit zähe Gespräche. Viele IT-Verantwortliche schieben nach wie vor ihre Unterschrift auf, so lange es geht, um den Druck zu erhöhen. Für zahlreiche Unternehmen ist die Alternative zum neuen Lizenzprogramm klar: Sie frieren ihre auf NT 4.0 basierenden Systeme ein und warten, bis der Anwendungsdruck zu hoch ist, um dann auf neue Microsoft-Produkte oder gar auf Alternativen wie Linux und Open-Source-Anwendungen umzusteigen.

Liebäugeln mit Open Source

Der Wirbel um License 6.0, das haben die letzten Monate gezeigt, hat die Debatte um derartige Alternativen auf breiter Front angeheizt. Viele Unternehmen erwägen mittlerweile einen Umstieg auf das Open-Source-System, um der Update-Spirale der Microsoft-Produkte zu entkommen. Nicht immer werden solche Wechselgedanken offen mitgeteilt, aber auch bei Microsoft-treuen Kunden spricht man hinter vorgehaltener Hand oft von Evaluierungen und Tests bei Servern oder Desktop-Systemen. Ein Versicherungskonzern, der ungenannt bleiben will, zieht derzeit Linux als Alternative in Erwägung. Bisher war Linux technikgetrieben, so lautet mittlerweile der Tenor in der Branche, doch jetzt äußern zunehmend auch Geschäftsführungen, dass das Microsoft-Lizenzmodell nicht akzeptabel ist und deshalb ein anderes Betriebssystem geprüft werden soll.

Wer zahlt wie viel?

Die tatsächlichen finanziellen Folgen aus Microsofts neuem Lizenzmodell lassen sich schwer abschätzen, weil sie sehr stark von den Gewohnheiten der Anwender bei den Release-Zyklen abhängen. Kostenvorteile ergeben sich im Rahmen der "Software Assurance" vor allem für Kunden, die auch bisher jeden Produktwechsel mitgemacht haben. Anwender, die auf mehrjährige Kontinuität setzten und die Software drei Jahre oder länger im Einsatz haben, müssen mit der Abschaffung der günstigen Produkt-Updates nun genau rechnen. Oft ist aus Anwenderkreisen zu hören, dass man keinen neuen Lizenzvertrag unterzeichnet und die Release-Wechsel nun länger hinausziehen will, um die Mehrkosten für die künftigen Volllizenzen auszugleichen. Die holländische Anwendervereinigung NGN hat bereits im vergangenen Jahr einen Lizenzrechner auf Excel-Basis veröffentlicht, der eine individuelle Berechnung der Lizenzkosten in unterschiedlichen Anwendungsszenarien ermöglicht. Download: www.w2knews.com/rd/rd.cfm?id=101101-LicenseCalculator

Abb.1: Wann wird License 6.0 akzeptiert?

Microsoft stößt auf Widerstand: 236 IT-Entscheider in Unternehmen mit mehr als 100 Mitarbeitern nahmen an der CIO-Umfrage teil. Fast die Hälfte davon will License 6.0 nie akzeptieren. Quelle: CIO

Abb.2: Wer entscheidet sich für was?

Altes Modell beibehalten: Mehr als die Hälfte der befragten IT-Manager sehen derzeit keinen Handlungsbedarf, um auf das neue Lizenzmodell umzusteigen, obwohl höhere Kosten drohen. Quelle: CIO

Abb.3: Wie entwickeln sich die Kosten?

CIOs befürchten Kostensteigerung: Microsoft hat prognostiziert, dass 80 Prozent der Anwender mit License 6.0 Lizenzkosten sparen. Doch die meisten der Befragten rechnen mit Steigerungen. Quelle: CIO

Abb.4: Wie oft wird Microsoft-Software upgedatet?

Microsofts Innovationszyklen vs. Update-Verhalten der Kunden: Mit License 6.0 werden regelmäßige Updates honoriert. Die Realität sieht anders aus. Die Hälfte der von ITIC befragten 1500 Microsoft-Kunden wechselt nur alle vier Jahre oder später ihre Releases. Quelle: ITIC/Sunbelt Software

Abb.5: Bunte Windows-Vielfalt in Unternehmen

Altlasten sind Microsoft ein Dorn im Auge: Sowohl bei Servern als auch bei Desktops sind Altsysteme wie Windows 9x oder NT 4.0 sehr verbreitet. License 6.0 soll die Anwender auf breiter Front für die Aktualisierung auf neue Versionen motivieren. Quelle: ITIC/Sunbelt Software