IT in der öffentlichen Verwaltung/Dresden: Komplette Analyse weder machbar noch sinnvoll

Workflow-Systeme langsam und in einzelnen Projekten einführen

17.05.1996

Kein Zweifel, Wirtschaft und Verwaltung müssen die Effizienz ihrer Leistungen erhöhen. Gefragt sind flexible Strukturen, flache Hierarchien und prozeßorientierte Geschäftsabläufe. Die elektronische Vorgangssteuerung liegt also im Trend. Investitionen in Workflow-Lösungen rechnen sich aber kaum, wenn man es versäumt, organisatorische Kosten zu berücksichtigen. Die Einführung von Workflow sollte in einzelnen Projekten erfolgen, bevor man ein bestimmtes System zum unternehmensweiten Bearbeitungsstandard erhebt.

Insbesondere in den neuen Bundesländern ist der Aufbau von leistungsfähigen Verwaltungsstrukturen ausgemachte Sache. Moderne IT spielt dabei eine große Rolle. In zahlreichen Verwaltungsbereichen werden schon heute sowohl die Registrierung von Posteingängen als auch die Verfolgung und Bearbeitung von Vorgängen durch Workflow abgewickelt. "Schriftstücke lassen sich leichter zuordnen, Auskünfte und Recherchen beanspruchen nur noch einen Bruchteil des früheren Aufwands. Jeder Sachbearbeiter kann den Bearbeitungsstatus eines Vorgangs einsehen und braucht keine Kopien mehr anzufertigen, um bestimmte Vorgänge aufzufinden", so ein leitender Mitarbeiter aus dem Innenministerium des Landes Brandenburg.

Optimismus auch in der Dresdener Stadtverwaltung. Klaus Dreßler, Leiter der Abteilung DV-Organisation im Amt für Informationsverarbeitung, Statistik und Wahlen: "Wir wollen nicht nur Papier einsparen, sondern vor allem eine hohe Prozeßtransparenz erzielen." Die weitere Expansion von Workflow an der Elbe ist beschlossene Sache.

Um sich bei der Auswahl der späteren Lösung nicht zu verkalkulieren, nahmen die Dresdner IT-Spezialisten bereits im Frühjahr 1993 mehrere Bürokommunikationspakete unter die Lupe. Insbesondere bei der Integration vorhandener Einzelkomponenten und Datenbankanwendungen mußten jedoch alle Angebote passen. Kein einziges Produkt hielt den hohen Anforderungen stand.

Nach Dreßlers Worten gab es keinen Zweifel daran, daß jedes technische Konzept ohne integrierte Vorgangsbearbeitung zum Scheitern verurteilt sein würde. Welche Ziele wollte man mit der automatischen Vorgangsbearbeitung erreichen? Neben der ganzheitlichen Erledigung von Vorgängen, der Steigerung der Produktivität der Sachbearbeiter und der Verkürzung der Durchlaufzeiten von Akten und Vorgängen sollte auch ein von lästiger Routine befreites Arbeiten möglich sein. Für den Bürger sollte sich dies in einer deutlich höheren Auskunftsbereitschaft niederschlagen.

Aus diesem Anforderungsprofil ließen sich klare Vorgaben für die in Frage kommenden Systeme ableiten: Erstens sollten sie Vorgänge verarbeiten können, die elektronisch und in Papierform vorliegen. Denn aus zahlreichen juristischen Gründen ist der Einsatz von Papier weiterhin erforderlich. Mit Medienbrüchen muß man also revisionssicher umgehen können. Die Einsparung von Papier rutschte deshalb in der Prioritätenskala nach hinten. Ferner sollte die Workflow-Lösung in der Lage sein, sowohl strukturierte als auch unstrukturierte Vorgänge zu verarbeiten. Schließlich müssen spezielle Vorgänge parallel bearbeitet werden, zumal an einem Vorgang häufig mehrere Sachbearbeiter aus unterschiedlichen Bereichen beteiligt sind. Weil bestimmte Vorgänge aber auch von einem Mitarbeiter allein bearbeitet werden, soll das Original bei ihm bleiben und sich mit weiteren, zur Erledigung benötigten Unterlagen anderer Ämter elektronisch verbinden.

Als Einsatzbereich der elektronischen Vorgangssteuerung konzentrierte man sich einmal auf die Poststelle beziehungsweise die Registratur. Hier heißen die wesentlichen Arbeitsschritte: Postein- und -ausgang, Kurzbeschreibung des Schriftguts oder Aktentyps, Verteilung, Zuordnung zu entsprechenden Akten und Aktenregistratur. Darüber hinaus sollte die Bearbeitungs- und Terminkontrolle einbezogen sein: Dazu zählen die Aktenverfolgung sowie der Überblick über den jeweiligen Bearbeitungsstand eines Vorgangs. Ferner muß das System alle Recherchen innerhalb des Aktenbestands sowie in Fachdatenbanken beherrschen und in der Lage sein, unterschiedlich strukturierte Arbeitsabläufe zu steuern.

Äußerst anspruchsvolles Leistungsspektrum

Neben der Definition organisatorischer Anforderungen präzisierten die Dresdner Experten auch gleich ein äußerst anspruchsvolles technisches Leistungsspektrum:

-Systemoffenheit auf unterschiedlichen Hardwareplattformen

-volle Integration vorhandener BK-Werkzeuge (Standard-Schnittstellen)

-Client-Server-Funktionalität

-hoher Bedienkomfort

-modularer Aufbau zur stufenweisen Integration weiterer Funktionalität

-Flexibilität im Umgang mit wenig strukturierten Vorgängen sowie

-Flexibilität bezüglich sich ändernden Verwaltungsvorschriften.

Daß die enge Zusammenarbeit mit dem Hersteller zur praxisnahen Weiterentwicklung ebenso obligatorisch war wie der Nachweis vergleichbarer Referenzen aus dem Verwaltungsbereich, machte es den Anbietern nicht gerade leicht, sich in den Vordergrund zu spielen. Im Amt für Umweltschutz fand die verantwortliche Projektgruppe allerdings bald ein geeignetes Erprobungsfeld. Dort boten sich genügend technische, inhaltliche und organisatorische Voraussetzungen, um das jeweilige System auf Herz und Nieren zu testen.

Analyse der Abläufe

Im Rahmen einer vorgeschalteten Organisationsanalyse destillierten Dreßler und seine Mannen all jene Abläufe heraus, die ein hohes Einsparpotential an Zeit sowie zahlreiche Verbesserungsmöglichkeiten mit sich brachten.

Auf Basis von CSE/Workflow des gleichnamigen Herstellers aus Salzburg, das von allen getesteten Lösungen am besten abgeschnitten hat, liegen seit September 1995 erste Erfahrungen mit der Vorgangssteuerung vor. Zuerst einmal richtete man eine große Zentralregistratur ein, die zahlreiche historisch entstandene Posteingangsverwaltungen in sich vereint. Mit mehr als 12000 Einträgen aus Dbase ist die Aktenübernahme erfolgreich abgeschlossen. Mittlerweile besteht die Registratur aus 25000 Akten, die Gelegenheit zu umfangreichen Recherchen bieten. Als weitere Maßnahme krempelte man die alte Postverwaltung völlig um. Heute analysiert das System den Laufweg der eingehenden Post, sorgt für die richtige Zuordnung zur jeweiligen Akte und recherchiert nach Postein- und -ausgängen. Eine einfache Zusatzprogrammierung läßt auch die automatische Aktenzeichenvergabe möglich erscheinen.

Alle Vorgangs- und Fachakten lassen sich durch den Ortsbezug bestimmen, der Grundlage für die Verwaltung und Recherche von Sachdaten aus anderen Anwendungen ist. In Verbindung mit extern vorhandenen Oracle-Anwendungen einschließlich der Zusatzmasken und -programme wurde der Ortsbezug im Workflow-System realisiert. Darüber hinaus sind die Organisationsstruktur und der Aktenplan der Stadtverwaltung im Programm hinterlegt. Das System schlägt automatisch die wichtigsten Grundstrukturen zur Sachbearbeitung festgelegter Vorgänge vor. Damit entfällt die bisherige Überprüfung von Zuständigkeiten und Vertreterfunktionen.

Trotz der überzeugenden Performance der gewählten Lösung sollten die Komplikationen beim Namen genannt werden. Ein wunder Punkt aller Projekte dieser Art ist die Akzeptanz der Mitarbeiter. "Viele Sachbearbeiter fürchten sich vor vollständiger Kontrolle", erklärt Dreßler. Dies scheint wohl der sensibelste Aspekt bei jeglicher Elektrifizierung gewohnter Abläufe zu sein. Vorsicht ist also geboten.

Doppelbelastungen waren kaum zu vermeiden

Maßgabe Nummer eins bei der Workflow-Einführung in weiteren Ämtern ist deshalb nach Dreßlers Meinung das Einbeziehen aller betroffenen Mitarbeiter und des Personalrats, und zwar von Anfang an. Betreuung und Schulung rangieren ganz oben auf der Prioritätenliste.

Während der Systemeinführung ließen sich Doppelbelastungen des Personals kaum vermeiden, zumal die herkömmliche Vorgangsbearbeitung unverändert weiterlief. Das Programm regelt zwar die Weiterleitung des im System abgebildeten Vorgangs, für die Weitergabe der auf Papier vorliegenden Daten müssen die Mitarbeiter jedoch zur Zeit noch selbst sorgen. Dies hat zur Folge, daß der Vorteil kürzerer Transportzeiten während der Übergangsphase teilweise neutralisiert wird.

Die Installation des Systems und die Integration in die vorhandene Umgebung stellten das Team kaum vor nennenswerte Probleme, so Dreßlers Resümee. Allein die Integration vorhandener Anwendungen ging nicht glatt über die Bühne, die Mitarbeiter mußten sich zuerst an die neue Bedieneroberfläche gewöhnen. Auch daran, daß sich nun mit Daten in elektronischer Form und auf Papier gleichzeitig arbeiten läßt.

Grundsätzlich können die Verantwortlichen eine positive Bilanz vorweisen. Ihrer Einschätzung zufolge hat sich die Auskunftsbereitschaft gegenüber dem Bürger spürbar erhöht, weil der Sachbearbeiter in der Regel auf alle Informationen eines Vorgangs zugreifen kann. Ebenso seien die Beschaffungszeiten von Informationen aus externen Datenbanken verkürzt worden. Ferner ließen sich übersichtliche Statistiken erstellen, die beispielsweise zum Erkennen und Beheben von Personalengpässen führen. Letztlich sind die Verantwortlichen optimistisch, daß sich die Bearbeitungszeiten durch den Workflow-Einsatz weiter verkürzen lassen. Insbesondere der Aufwand für Suchzeiten sowie Transport- beziehungsweise Liegezeiten von speziellen Vorgängen biete ein beträchtliches Einsparpotential.

Für Dreßler hängt die Akzeptanz eines Workflow-Systems von vielen Faktoren ab. Während der Vorbereitungsphase und im laufenden Betrieb sind lebhafte interne Diskussionen an der Tagesordnung. "Von vornherein müssen alle Beteiligten mit ins Boot," betont Dreßler. Auch die schrittweise Einführung habe sich als richtig erwiesen. Die bisherige Praxis habe hingegen gezeigt, daß eine vollständige Organisationsanalyse weder machbar noch sinnvoll sei. Am besten solle man sich auf die wesentlichen Prozeßstrukturen konzentrieren, so der Workflow-Experte weiter. Bis Ende 1996 sollen rund 100 Installationen in verschiedenen Ämtern der Stadtverwaltung das Leistungsniveau der Dresdner Behörden verbessern helfen. Im Amt für Wirtschaftsförderung laufen die Installationsarbeiten derzeit auf Hochtouren.

Kurz & bündig

In 42 Verwaltungsämtern beschäftigt die Stadtverwaltung Dresden rund 13000 Mitarbeiter, die sich ihrerseits um eine halbe Million Einwohner kümmern. Im Rechenzentrum der Stadtverwaltung leisten zwei Großrechner ganze Arbeit. Einzelne Ämter und Abteilungen, die per LAN/WAN kommunizieren, sind über Mietleitungen der Telekom mit dem Rechenzentrum verbunden. Im Rahmen der Client-Server-Architektur laufen Hewlett-Packard-Server unter HP UX sowie Compaq-Server unter OS/2. Für die Anwender stehen Windows-PCs zur Verfügung, deren Anbindung im LAN mit Lanman 2.2 und Windows NT unter dem Protokoll TCP/IP (Transmission Control Protocol/Internet Protocol) erfolgt. Als strategische Applikationen kommen Amipro, Excel und Oracle zum Einsatz. Nach einem Auswahlverfahren entschied man sich für ein unbekanntes Workflow-Produkt aus Salzburg.

*Max Leonberg ist freier Journalist in Heidelberg.