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"Wir haben nichts zu verheimlichen"

21.02.2003
Im Gespräch mit der CW erklärt der neue Deutschlandchef Jürgen Gallmann, wie Microsoft sich gegen die Open-Source-Konkurrenz wehren und neue Märkte erobern will.

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Als Jürgen Gallmann vor gut drei Monaten an die Spitze der deutschen Microsoft-Tochter wechselte, erntete er nicht nur Beifall. Denn als Softwarechef der IBM hatte er auch für Linux geworben. Im Gespräch mit den CW-Redakteuren Heinrich Vaske und Wolfgang Herrmann erklärt er, wie Microsoft sich gegen die Open-Source-Konkurrenz wehren und neue Märkte erobern will.

CW: Als Leiter von IBMs Softwaresparte in Deutschland waren Sie ein engagierter Linux-Befürworter. Was hat Sie bewogen, zum Erzrivalen Microsoft zu wechseln?

GALLMANN: Ich war im Linux-Umfeld nicht das Sprachrohr der IBM. Nach meiner Tätigkeit in der Pariser Europazentrale bin ich erst im Januar 2002 wieder zu IBM Deutschland zurückgekehrt. In der Software Group war Linux ein Thema unter vielen. Eine Keynote auf der Linux World habe ich abgesagt, als sich der Wechsel abzeichnete. In den Medien wurde diese Sache etwas überzeichnet.

CW: Haben Sie keine Probleme damit, nun eine völlig andere Ideologie vertreten zu müssen?

GALLMANN: Meine Entscheidung zu wechseln hat nichts mit irgendwelchen Ideologien zu tun, nach dem Motto: Was ist besser? Linux oder Windows? An dem Angebot Microsofts hat mich vor allem die Aufgabe gereizt, das Unternehmen gesellschaftspolitisch stärker einzubringen und sich intensiver in der Diskussion um die Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland zu beteiligen. Ein weiterer Grund ist meine Leidenschaft für Software, die bei meinem neuem Arbeitgeber an erster Stelle steht. IBM verfolgt ein anderes Geschäftsmodell. Software ist dort ein Thema neben anderen.

CW: Ihr Vorgänger Kurt Sibold war auch auf politischer Ebene aktiv. Er hat dabei versucht, die wachsende Akzeptanz der öffentlichen Hand bezüglich Open Source einzudämmen. Man hat den Eindruck, dass diese Art von Lobbyismus etwas zurückgefahren wurde und Microsoft nun eher Sachargumente vorbringt. Wie sehen Sie Ihre Rolle in diesem Konflikt?

GALLMANN: Die Welt lässt sich auch in Zukunft nicht schwarz oder weiß zeichnen. Das heißt, es wird nicht nur Windows oder nur Linux geben. Während der Zeit, in der Microsoft groß geworden ist, gab es auch andere Betriebssystemplattformen. Es wird immer von Monopolismus gesprochen. IBM, ist auch Monopolist. Die /390-Plattform, von der viele Unternehmen abhängig sind, wird ausschließlich von IBM bedient. Insofern gibt es möglicherweise Monopolismus in Teilmärkten. Tatsache aber ist, dass wir auch in Zukunft unterschiedliche Plattformen sehen werden.

CW: Aber Microsoft ist Monopolist, oder sehen Sie das anders?

GALLMANN: Microsoft ist Monopolist, aber höchstens in einem Teilsegment des IT-Marktes. Es wird immer so dargestellt, dass das Unternehmen diesen Markt alleine beherrscht. Das ist nicht der Fall. Es gibt wie gesagt die IBM, die Ihre Marktmacht in Teilbereichen ebenso nützen kann.

CW: Zurück zu Ihrer Strategie gegenüber Open Source. Nachdem die Debatte darüber anfangs sehr emotional geführt wurde, hörte man von der Konzernspitze viel zum Thema Betriebskosten. Später wurde über den Funktionsumfang der Software diskutiert und über die Integration in heterogene IT-Strukturen. Welche Argumente wollen Sie in den Vordergrund stellen?

GALLMANN: Zunächst muss man sehen, dass Microsoft aus der ganzen Linux-Entwicklung einige Erkenntnisse gewonnen hat. Wir haben beispielsweise mit Shared Source ein Programm zur Offenlegung von Sourcecode gestartet. Daneben gibt es das Government Security Program. Einige Länder in Deutschland sind diesem Programm bereits beigetreten. Diese Initiative wurde sicherlich durch das Thema Open Source getrieben. Dagegen ist nichts einzuwenden. Wir haben nichts zu verheimlichen.

CW: Sie haben also eigentlich nichts auszusetzen am Open-Source-Modell?

GALLMANN: Das habe ich nicht gesagt. Mir ist beispielsweise völlig unklar, wie ein solches Modell kommerziell erfolgreich sein kann. Wie sichert man Investitionen in kreative Leistung? Die Grenzen zwischen Open Source und Free Software verschwimmen. Bei Free Software vertreten Microsoft und andere Softwareanbieter den Standpunkt, dass dieses Modell auf Dauer nicht tragfähig ist.

CW: Die steigenden Nutzerzahlen und Marktanteile von Open-Source-Software sprechen eine andere Sprache.

GALLMANN: Ich kenne die Quelle nicht, von der Sie bei Ihrer Aussage ausgehen. Wenn Sie diese Aussage auf Linux beziehen, dann mag es Firmen geben, die sich dadurch bei den Lizenzkosten einen Kostenvorteil versprechen. Ich glaube aber, dass viele IT-Verantwortliche langfristig planen und dabei mehr auf die Betriebskosten einer Installation achten.

CW: Es gibt noch andere Gründe, die IT-Verantwortliche für den Linux-Einsatz angeben, beispielsweise Sicherheit und Stabilität.

GALLMANN: Zunächst muss man sagen, dass die gemeldeten Security-Verletzungen bei Linux mehr als dreimal so hoch sind wie bei Windows. Bezogen auf offengelegten Sourcecode ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich Hacker damit viel besser vertraut machen können, wie sich ein Virus einpflanzen lässt, weitaus höher. Weil sich mögliche Angreifer sehr einfach in die Zusammenhänge einer Programmstruktur einarbeiten können, setzen sich Open-Source-Anwender einer größeren Gefahr aus, als wenn sie geschlossene Software einsetzen. Und der Virus ist dann wahrscheinlich schwieriger zu beheben.

CW: Die Erfahrung zeigt aber, dass gerade im Open-Source-Bereich sicherheitsrelevante Softwarepatches in der Regel viel schneller verfügbar sind als für proprietäre Systeme, die nur von einem Hersteller gepflegt werden. Hinzu kommt, dass Microsoft-Systeme viel häufiger von Viren- oder Würmerattacken betroffen sind als quelloffene Programme.

GALLMANN: Das liegt an der höheren Verbreitung unserer Produkte.

CW: In den letzten Wochen gab es viele Schlagzeilen über den Slammer-Wurm und die dadurch verursachten Schäden. Ihr Unternehmen war selbst davon betroffen. Vor diesem Hintergrund erscheint es problematisch, wenn Microsoft inzwischen jeden zweiten Tag Patches veröffentlicht, die die Anwender aber gar nicht mehr aufspielen. Müsste die Qualitätsfrage nicht ganz anders gelöst werden?

GALLMANN: Mich würde interessieren, welchen Vorschlag Sie hätten, das Problem zu lösen. Zum Thema Slammer: Die Patches, die wir verschicken, sind hinsichtlich ihres Gefahrenpotenzials (Severity) eindeutig gekennzeichnet. Das gilt auch für die Slammer-Patches, die wir bereits im Juli letzten Jahres verschickt hatten. Im Dezember wiederholten wir die Aktion. Gewisse Kunden haben diese Kennzeichnung bewusst oder unbewusst nicht beachtet. So etwas lässt sich nicht komplett verhindern, denn letztendlich liegt die Entscheidung beim Kunden, ob er installiert oder nicht.

CW: Können Sie sich vorstellen, eines Tages auch Server-Produkte wie SQL Server oder Exchange für Linux anzubieten, wie das manche Analysten erwarten?

GALLMANN: Das sind Spekulationen. Wir haben eine extrem leistungsfähige Plattform, die vom PDA bis hin zum Highend-System alles abdeckt. Damit erreichen wir auch sehr gute TCO-Werte (TCO = Total Cost of Ownership) im Vergleich zu anderen Plattformen. Die IDC-Studie hat das bestätigt.

CW: Diese Studie hat Microsoft finanziert.

GALLMANN: Das ist richtig, trotzdem sind dort offizielle und nachvollziehbare Tests gemacht worden, die sich nicht manipulieren lassen. IDC würde ansonsten eine solche Studie nicht durchführen.

CW: Es gibt eine 64-Bit-Version von Windows. Wie sehen Ihre Pläne im Highend aus?

GALLMANN: Wir bieten nicht nur ein 64-Bit-Betriebssystem, sondern auch 64-Bit-Infrastrukturlösungen. Diese sind teilweise schon verfügbar, im laufenden Jahr folgen weitere. Die Prozessorleistung, die wir mit Itanium- oder auch AMD-CPUs haben, ist gigantisch. Daneben ist der Betrieb auch so kostengünstig, dass wir glauben, auf die Dauer einen unschlagbaren Vorteil hinsichtlich der Betriebskosten zu haben.

CW: Microsoft erwirtschaftet den größten Teil seines Umsatzes nach wie vor mit Desktop-Windows- und Office-Produkten. Welche Rolle werden die Business Solutions spielen, also das Geschäft rund um betriebswirtschaftliche Standardsoftware, und welche Auswirkungen sehen Sie für Ihre Partnerschaft mit SAP?

GALLMANN: Wir konzentrieren uns in diesem Bereich das Small and Medium Business. Mit SAP unterhalten wir eine enge und wichtige Partnerschaft, und die werden wir auch in Zukunft pflegen. Wir sind selbst Kunde von SAP. Natürlich möchte SAP beispielsweise mit Business One in den KMU-Markt, den auch wir anpeilen. Wir denken aber, dass der Markt groß genug ist für zwei Anbieter.

CW: Mit der Übernahme von Navision haben doch Sie der SAP den Kampf angesagt und nicht umgekehrt. Navision war immer ein Konkurrent von SAP, wenn es darum ging, Mittelstandskunden zu adressieren. Hasso Plattner hat auf verschiedenen Veranstaltungen kein Hehl aus seiner Einschätzung gemacht, dass Microsoft jetzt ein echter Konkurrent ist. Man kann also nicht so tun, als gebe es hier kein Konfliktpotenzial.

GALLMANN: Keine Beziehung ist konfliktfrei. Es geht darum, wie man solche Probleme aus der Welt schafft. Wir pflegen eine intensive Beziehung mit SAP, insbesondere auch hier in Deutschland. Wir wissen, dass wir an einigen Stellen im Wettbewerb stehen und an anderen Stellen gemeinsam unser Geschäft vorantreiben. Das machen wir schon im Interesse der Kunden, die diese Kombination ja wünschen. Nur weil wir jetzt Navision haben, wird sich an unserer prinzipiell guten Beziehung zu SAP nichts ändern.

CW: SAP hat sich in der Kooperation mit Partnern sehr offen gezeigt und sich sowohl in Richtung Java als auch .NET geöffnet. .NET ist stark in der Windows-Welt verhaftet. Können Sie sich vorstellen, Ihre Infrastruktur ebenfalls für alternative Plattformen zugänglich zu machen?

GALLMANN: Wir haben mit .NET eine Plattformstrategie, von der wir glauben, sie auf Windows sehr gut positionieren zu können. Andere Welten binden wir über Web-Services an. Dass das funktioniert haben wir schon bewiesen.

CW: Warum hat Microsoft so große Probleme, mit Windows XP auch Java zu unterstützen?

GALLMANN: Zu dem laufenden Verfahren äußere ich mich nicht. Ich kann nur eines dazu sagen: Java ist eine Sprache, deren IP-Rights (Intellectual Properties) bis zum heutigen Tag zu hundert Prozent bei Sun liegen. Insofern könnte es dort individuelle Interessen geben, die man nicht außer Acht lassen darf.

CW: Kommen wir zum Schluss noch einmal zur Gesamtstrategie von Microsoft. Es entsteht der Eindruck, dass Microsoft auf zu vielen Hochzeiten tanzt, man denke etwa an Betriebssysteme, Desktop- und Business-Anwendungen, Infrastruktur, Mobility, Spielekonsolen, Webportal, Breitband-Internet etc. Besteht nicht die Gefahr, dass Sie sich verzetteln?

GALLMANN: Ich denke nicht, dass wir uns verzetteln. Wir überlegen uns sehr genau, wo wir aufgrund unserer bisherigen Positionierung hineingehen können und wo nicht. Nehmen Sie den Commercial Bereich. Wir haben eine Betriebssystemplattform, deren Varianten alles abdecken, vom Mobile Device oder Tablet-PC über Telematik bis hin zu Highend-Systemen. Unsere Strategie mit .NET verfolgt das Ziel, über alle Plattformen hinweg präsent zu sein und den entsprechenden Support sicherzustellen. Im Consumer-Markt ist es unser Bestreben, alle Informationen an unterschiedlichen Stellen und auf unterschiedlichen Geräten - ob Tablet-PC, Xbox oder Handheld - zusammenzubringen. Im Consumer-Bereich sehen wir außerdem eine starke Konvergenz zwischen traditionellem Informationsbedürfnis und Entertainment.

CW: Ihr Finanzchef Connors hat einmal gesagt, Microsoft verfolge die Strategie, in einen neuen Markt mit großem Elan einzutauchen, auch größere Rückschläge in Kauf zu nehmen, irgendwann aber durch seine Hartnäckigkeit den Markt zu vereinnahmen. Sehen Sie das auch so?

Gallmann: Wenn man an ein Vorhaben glaubt, gibt es aus meiner Sicht keine andere Methode, wie so etwas funktionieren könnte. Das trifft sicherlich nicht nur für Microsoft zu. Wenn wir in einen Markt einsteigen, sind wir auch als Microsoft erst einmal ein Nobody. So haben wir auch im Spielekonsole-Markt mit unserer Xbox angefangen.

CW: Der Unterschied zu anderen Unternehmen liegt aber doch wohl darin, dass Sie genügend Mittel haben, um beliebig lange zu experimentieren, bis der Markt ins Rollen kommt.

GALLMANN: Das ist einfach gesagt. Aber die Mittel allein reichen nicht aus. Um gewisse Dinge zu erreichen, braucht man Intellectual Capital. Mit Geld kann man sich nicht alles kaufen - an dieser Fehleinschätzung sind schon viele gescheitert.

Zur Person

Jürgen Gallmann (40) ist seit Mitte Oktober Vorsitzender der Geschäftsführung von Microsoft Deutschland. Er agiert zugleich als Vice President Microsoft EMEA. Vor seiner Berufung war er bei IBM für das Softwaregeschäft in Deutschland, Österreich und der Schweiz verantwortlich. Nach einem Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Berufsakademie Lörrach startete er mit 24 Jahren beim Schweizer Pharmakonzern Ciba-Geigy. Es folgten Stationen bei der Beratungsfirma Ernst & Young und beim Softwarehersteller VMARK. 1997 wechselte der im baden-württembergischen Wehr geborene Manager zu IBM. Gallman ist verheiratet und hat zwei Kinder.