Microsoft investiert in das Tuning seines Netz-Betriebssystems

Windows NT Server 4.0 läßt Directory-Services vermissen

17.05.1996

Nachdem Microsoft, geht man von der Stimmung unter DV-Managern und Netzadmini- stratoren aus, mit der Version 3.51 den Durchbruch geschafft hat und Novell damit zunehmend Kopfzerbrechen bereitet, setzt die Gates-Company nun noch einen drauf und schaltet in den vierten NT-Gang. Das unter dem Codenamen "Cairo" vielfach angekündigte, angeblich mit objektorientierten Features versehene System wurde zwar erneut verschoben, diesmal auf 1998. Ein paar der für Cairo avisierten Features halten in NT 4.0, das im Sommer dieses Jahres in die Regale kommen soll, aber bereits Einzug.

Dazu gehört das "Distributed Component Object Model" (DCOM), früher unter der Bezeichnung "Network OLE" bekannt. DCOM erlaubt nicht nur den Zugriff auf Desktop-Ressourcen, sondern auch auf im lokalen Netzwerk oder dem Internet verfügbare Komponenten. Entwickler, so die Microsoft-Werbung, erklimmen mit dieser Technologie eine neue Stufe bei der Erstellung verteilter Applikationen auf Windows-Basis.

Die "NT Directory Services", die eine logische, von der physikalischen Struktur des Netzwerks unabhängige Betrachtungsweise erlauben, sucht der Anwender jedoch vergebens. So fehlt zum Beispiel die Möglichkeit, User-Objekten Attribute wie Telefonnummer oder E-Mail-Adresse zuzuweisen. Ein Manko, das die Marketiers der Gates-Company galant überspielen wollen: Trotz fehlender Directory-Funktionalität nennt Microsoft sein heutiges Domain-basiertes Konzept werbewirksam "Directory Services". Kritikern dieses Etikettenschwindels hält man entgegen, daß erste Ansätze mächtigerer Verzeichnisdienste ja bereits im "Exchange"-Server zu finden sind. Ansonsten werden die Anwender auf Cairo vertröstet.

Die offensichtlichste Neuerung von NT 4.0 gegenüber dem Vorgänger ist das Outfit. Orientiert an Windows 95, bieten die Betriebssysteme aus dem Haus Gates jetzt auf Desktop und Server ein einheitliches Look and feel (siehe Abbildung 1). Als Resultat sind im Release 4.0 vor allem der Programm- dem Desktop-Manager, der Datei-Manager dem Explorer sowie der MS-Mail- dem Exchange-Client gewichen. Die rechte Maustaste bleibt damit nicht länger zur Bedeutungslosigkeit verurteilt.

Alles in allem ist die Bedienung im Hinblick auf Windows 95 und gemischte Umgebungen einfacher und vor allem konsistenter geworden.

In der Systemsteuerung finden sich gegenüber NT 3.51 neue Einträge, die der Anwender aber bereits von Windows 95 gewohnt ist. NT 4.0 beherrscht auch das Telephony API (TAPI) und den Umgang mit dem "Unimodem"-Treiber, so daß die Konfiguration eines Modems nicht mehr in den einzelnen Applikationen, sondern zentral in der Betriebssystem-Umgebung erfolgt.

Zusätzlich vereinfachen zahlreiche Wizards die Konfiguration weiterer Komponenten. Dies ist um so wichtiger, als NT 4.0 nicht über die Plug-and-play-Unterstützung des kleinen Bruders Windows 95 verfügt. Offensichtlich hatte die Gates-Mannschaft Probleme, diese Features rechtzeitig zu implementieren. Auch in diesem Punkt muß sich der Anwender also bis zum Erscheinen von Cairo in Geduld üben. Deshalb gibt es auch keinen Geräte-Manager - statt dessen muß das Diagnose-Tool "NT Diagnostics" dazu herhalten, Informationen über die genutzten Hardwareressourcen zu ermitteln. Zumindest über selbst aufstellbare Hardwareprofile ist es möglich, zwischen verschiedenen Umgebungen zu wählen.

Zur Auslieferung werden auch die Zugangssoftware zum Online-Dienst Microsoft Network (MSN) sowie der Faxtreiber für die Einbindung in den Exchange-Client nicht rechtzeitig fertig. In Sachen Faxmodem-Sharing muß der Anwender ebenfalls warten. Microsoft verspricht, dieses Netzwerk-Feature kurz nach der Auslieferung von NT 4.0 nachzureichen.

Enttäuscht die NT-Fassade auf den ersten Blick, weil zahlreiche versprochene Funktionen fehlen, so offenbaren sich viele Verbesserungen erst beim zweiten Hinsehen. Während Novell unbeirrbar das Evangelium von den Netware Directory Services (NDS) predigt, investierte Microsoft in das NT-Tuning unter der Haube. NT 4.0 unterstützt jetzt das remote Booten von Workstations unter Windows 95 und verfügt über ein Verschlüsselungs-API zur Erhöhung der Sicherheit im Netz.

Erweitert wurden auch die Remote Access Services (RAS). In Kombination mit dem integrierten Multiprotokoll-Router für IPX/SPX, TCP/IP und Appletalk soll dieser Dienst den automatischen Verbindungsaufbau etwa zu einem Internet-Service-Provider (ISP) realisieren. Anschaffung und Konfiguration eines externen Router-Produkts entfallen somit laut Microsoft. Das neu entwickelte, zum Point-to-point Protocol (PPP) kompatible und mit Sicherheitsmerkmalen ausgestattete PPTP-Protokoll erlaubt zudem den Zugang zu RAS via Internet. PPTP wurde von Microsoft in Zusammenarbeit mit US Robotics entwickelt. Mobile Anwender können sich mit Hilfe dieser Funktion beispielsweise über einen ISP in Corporate Networks einwählen, wobei das Internet als WAN-Verbindung fungiert.

Zusätzlich zum eingebauten Support der für die TCP/IP-Funktionen verantwortlichen Winsock 2.0 wurde die Connectivity zu Novells Netz-Betriebssystem überarbeitet. NT 4.0 kommt nun auch mit den NDS von Netware 4.x zurecht, einschließlich der gängigen Login-Script-Befehle. Damit steht der Anmeldung an einem Verzeichnisbaum sowie dem Durchsuchen desselben mit Hilfe des NT-Explorers nichts mehr im Wege.

An der Performance hat der Softwaregigant eigenen Angaben zufolge ebenfalls gearbeitet. Dies soll sich vor allem im Dateibereich, bei der Druck- und Videoausgabe sowie in Fast-Ethernet-Umgebungen zeigen. Ebenso warten, wie es heißt, der Symmetrical-Multiprocessing-(SMP-)Server mit mehreren Prozessoren sowie der zu Windows NT 4.0 gehörende Internet Information Server (IIS) mit einem verbesserten Leistungsprofil auf. Aussagen, die sich an der vorliegenden ersten Betaversion nicht überprüfen ließen, da der versprochene Funktionsumfang noch nicht vollständig implementiert war und das System noch Debug-Code enthielt.

In einigen Bereichen, die von Anwenderseite seit längerem kritisiert werden, bleibt Microsoft auch mit der neuen NT-Version eine Antwort schuldig. So funktioniert der aus Windows 95 bekannte Papierkorb nur auf der NT-Station selbst - allerdings nicht in DOS-Boxen. Ein "Undelete"-Feature für Dateien, die auf einzelnen Clients gelöscht wurden, fehlt leider.

Ein weiteres Manko ist das Dateisystem: NT 4.0 muß mit dem zur Fragmentierung neigenden NTFS 4.0 weiterleben - das Besserung versprechende objektorientierte Dateisystem (Codename "OFS" = Object File System) sollte ursprünglich mit Cairo kommen, ist aber nach Informationen des Branchendienstes "Computergram" zugunsten eines optimierten NTFS aufgegeben worden. Ein paar weitere Testrunden im Usability-Labor könnte der neu gestaltete Netzwerkdialog (siehe Abbildung 2) vertragen, da von einer intuitiven Konfiguration der immer komplexer werdenden Netzkomponenten noch nichts zu sehen ist.

*Eric Tierling arbeitet als freier Journalist in Leichingen und ist Autor zahlreicher Bücher zum Thema Vernetzung.