Windows-Kurse: Es geht nicht nur um das Erlernen von Maustechniken Teilnehmer soll den sichersten, nicht den kuerzesten Weg kennen

25.06.1993

Kurse fuer Windows-Anwendungen werden nicht nur weiterhin notwendiger Bestandteil der DV-Planung in den Betrieben sein muessen. Sie verlangen ausserdem, wie Roland Bischoff* meint, von den Schulungsunternehmen ein neues Konzept und zwar eine Orientierung bewaehrter DV- Didaktik an den Merkmalen der grafischen Oberflaechen der neunziger Jahre. "Erlernen Sie einige wenige Grundkonzepte, und Sie sind in der Lage, Windows und jede Anwendung fuer Windows zu benutzen." Sind Windows-Schulungen in Zukunft verzichtbare Investitionen, oder ist dieser Werbetext, der auf der Rueckseite des Windows-Pakets der Version 3.1 steht, etwas zu euphorisch geraten? Worin ist das weit verbreitete Missverstaendnis begruendet, eine Anwendung unter Windows sei leichter zu erlernen als ein vergleichbares Programm unter DOS, und welche Schwierigkeiten sind es, die speziell in Windows- Schulungen auftreten koennen? Auf den ersten Blick unterscheidet sich Windows von DOS in zwei wesentlichen Dingen: Erstens stellt die grafische Oberflaeche nicht nur weitaus mehr Informationen gleichzeitig am Bildschirm zur Verfuegung, sondern praesentiert diese auch noch uebersichtlicher. Die dem Anwender zugedachten Informationen lassen sich visualisieren und sind dadurch optisch begreifbar. Der zweite wesentliche Unterschied liegt darin, dass der weitaus groesste Teil der Bedienung eines Programms mit Hilfe der Maus geschehen kann. Die Mausbedienung wird unterstuetzt durch eine Vielzahl von Buttons und Tastenleisten sowie durch raffinierte 3D- Effekte, die dem Anwender ein nahezu haptisches Erlebnis bei der Programmsteuerung bescheren. Zusammenfassend wird die Entwicklung von Windows deutlich als der Versuch, die Interaktion zwischen PC und Anwender zu "vermenschlichen". Der visualisierte (Bildschirm-)Output zusammen mit der haptischen Bedienbarkeit implizieren eine ganz natuerliche, intuitive Kommunikation mit dem Computer. Der vorerst letzte Schritt in diese Richtung ist das Windows-Soundsystem, mit dem eine verbale Verstaendigung mit dem PC moeglich sein soll. Windows also doch einfacher als DOS? Nein. Die Erfahrungen zeigen, dass der angestrebte Anthropomorphismus sehr frueh an seine Grenzen stoesst. Folgende Situation ist in einem Einfuehrungsseminar zu einer Windows- Anwendung keine Seltenheit: Ein Teilnehmer meldet sich mit dem Problem, dass das "ganze Programm ploetzlich verschwunden ist". Der erfahrene Referent vermutet natuerlich, dass die Anwendung versehentlich zum Symbol verkleinert wurde und sich wahrscheinlich hinter dem Fenster des Programm-Managers versteckt. Der DV-Lehrer macht aber dann die Erfahrung, dass der intuitive Loesungsweg des Anfaengers zu dem Versuch fuehren wuerde, die Anwendung ein zweites Mal zu starten, denn das Anwendungssymbol ist in der geoeffneten Programmgruppe sichtbar und braucht nur angeklickt zu werden - das wurde ja schon gelernt. Hier werden zwei Probleme deutlich: Erstens wirft das Licht des schnellen Mausklicks den grossen Schatten, dass der Teilnehmer genauso schnell, jedoch ungewollt, Aktionen in Gang setzt, deren Auswirkungen nicht sofort absehbar sind und die unter Umstaenden verheerend sein koennen. Zweitens gibt es offensichtlich Situationen, in denen die Visualisierung der Informationen am Bildschirm an ihre Grenzen stoesst. Jedes geoeffnete Fenster macht nicht nur Dinge sichtbar, es verdeckt zugleich auch andere. Die Zweidimensionalitaet des Bildschirms ist nur beschraenkt geeignet, komplexe Systemzusammenhaenge wirklich uebersichtlich darzustellen. Bleiben wir beim Beispiel des verschwundenen Programms. Hier steht der Seminarleiter vor der Quadratur des Kreises. Erklaert er die Zusammenhaenge, bedeutet dies eine Unterbrechung des geplanten Seminarablaufs von mindestens einer Stunde. Zwei Dinge waeren zu erlaeutern: Wie findet man ueberhaupt Symbole oder Fenster, die sich hinter anderen Fenstern verbergen, und was bedeutet es, wenn eine Anwendung zum Symbol verkleinert wurde? Der Hinweis, dass die Anwendung, obwohl nicht sichtbar, weiterhin laeuft, wird von den meisten Anfaengern mit unglaeubigem Blick quittiert: Bedeutet denn nicht gerade Windows, dass man alles sieht, was passiert, dass alle relevanten Informationen offenliegen? Wuerde der Seminarleiter auf eine Erklaerung der Situation verzichten, bliebe ein Teilnehmer mit einem unguten Gefuehl zurueck. Eine Einfuehrung in die Grundlagen von Windows ist daher unbedingt notwendig, empfiehlt Gerd Fischer, Schulungsleiter der pc-plus GmbH: "Paradoxerweise koennte eher noch auf eine Einfuehrung in DOS verzichtet werden als auf ein Grundlagenseminar fuer Windows, bevor sich der Anwender an das Erlernen eines Programmes auf der jeweiligen Plattform macht. Dies ist in der komplexeren Struktur und den vielfaeltigeren Moeglichkeiten von Windows begruendet." Es geht nicht nur darum, einige Maustechniken zu erlernen, sondern der DV-Dozent muss die gesamte Struktur vom Programm- Manager ueber Gruppensymbole bis hin zum Dokumentfenster didaktisch aufbereiten und vermitteln. In den Windows-Seminaren tritt aber noch ein weiteres Problem auf, das gerade erst durch die Visualisierung der verschiedenen Optionen eines Programms in Form von Buttons und die scheinbar haptische Bedienung entsteht: der Spieltrieb. Im Vergleich zu DOS-Schulungen ist die Ablenkung der Seminarteilnehmer bei Windows um einiges hoeher. Situationen, in denen der Trainer einen Sachverhalt wiederholt, nutzen einige Teilnehmer haeufig dazu, schnell ein Symbol anzuklicken, um auszuprobieren, was sich dahinter verbirgt. Der Seminarleiter steht hier vor dem Problem, diese Lust am Experiment daempfen zu muessen, ohne dem Teilnehmer den Spass, der ja den Lernerfolg betraechtlich steigert, zu nehmen. Von acht Seminarteilnehmern klicken erfahrungsgemaess mindestens zwei auf das bunte Grafiksymbol und wissen dann absolut nicht mehr weiter - der Referent muss helfen, das Seminar stockt. Der Kraftaufwand des Trainers, alle Seminarteilnehmer auf einen Punkt zu konzentrieren und gemeinsam weiterzufuehren - und dies sei ohne Larmoyanz gesagt -, ist bei einer Windows-Schulung hoeher als bei DOS-Seminaren. Saetze wie "Lassen Sie doch bitte mal kurz das Ausprobieren" brechen jedem Seminarleiter das Herz - denn er wuenscht sich nichts mehr als Teilnehmer, die probierfreudig sind. In diesen Zusammenhang gehoert auch die grundsaetzliche Ueberlegung eines Schulungsleiters zu Beginn eines jeden Seminars, welche Technik der Bedienung er den Teilnehmern am besten vermitteln soll. Der Referent muss also moeglichst schon in der Vorstellungsrunde versuchen, den Kenntnisstand der Teilnehmer zu beurteilen und sich dementsprechend fuer eine Technik entscheiden, die den Schuelern gerecht wird und die sich ueber das ganze Seminar hin durchhalten laesst. Ziel eines Seminars kann es nicht sein, den Anfaengern saemtliche Wege nach Rom aufzuzeigen, auch nicht unbedingt gleich den kuerzesten, sondern zunaechst einmal einen sicheren. Anwender muss immer wissen, was er tut Die Schwerfaelligkeit eines Programms erweist sich vor allem in Krisensituationen. Wie reagiert Windows auf ein eventuelles Fehlverhalten des Anwenders, wenn zum Beispiel dieser versucht, ein Dokument zu schliessen, das er noch nicht gespeichert hat? Die meisten Seminarteilnehmer sind durch die dann erscheinende Bildschirmmeldung ueberfordert - und zwar gar nicht so sehr im Verstehen des Sinns der Meldung, sondern einfach dadurch, dass sie sich keine Zeit nehmen, den Hinweis erst einmal zu lesen. Der Anwender ist so an das Anklicken bildhafter Symbole gewoehnt, dass er nur schwer zu bewegen ist, als Text dargestellte komplexere Situationen wahrzunehmen. Dies hiesse, umschalten zu muessen vom visuellen Erfassen des Programms mittels Icons zum kognitiven Verstehen eines Warnhinweises. Verhehlt werden soll nicht die Kehrseite der Medaille: Die Akzeptanz eines Windows-Programms ist in den Seminaren hoeher als die eines DOS-Programms. Um das zu verstehen, muss man nur eine Textverarbeitung in zeichenorientierter Darstellung mit einer unter Windows vergleichen. Es sollte allerdings deutlich geworden sein, dass auch Icons gelernt werden muessen und die Fenstertechnik nur dann funktioniert, wenn der Anwender weiss, was er tut. *Roland Bischoff ist Seminarleiter und zustaendig fuer Oeffentlichkeitsarbeit im Bereich Training & Services der pc-plus GmbH in Muenchen.