Technische Migration sollten Netware-Experten vornehmen

Windows 2000 dringt in die Netware-Bastion ein

03.11.2000
FRAMINGHAM (IDG) - Unter den Windows-NT-Anhängern hat Microsofts Windows 2000 bereits viele Abnehmer gefunden. Nun erschließt sich das Betriebssystem mit den ersten Novell-Kunden eine weitere potenzielle Klientel.

Die Zahl der Wechselwilligen unter den Netware-Anwendern ist zur Zeit gering. "Es wird auch keinen massiven Ansturm von Novell-Kunden auf Windows 2000 geben. Doch was zur Zeit lediglich ein Rinnsal ist, wird sich zu einem stetigen Migrationsfluss von Netware-Anwendern zur Microsoft-Alternative entwickeln", prognostiziert Laura DiDio, Marktbeobachterin bei der Giga Information Group.

Die NDS sind stabiler und ausgereifterDieser Trend ist verwunderlich, da Netware-Anwender eigentlich voll des Lobes für das Netz-Betriebssystem und die Verzeichnisdienste "Novell Directory Services" (NDS) sind. Übereinstimmend berichten die meisten, dass die Produkte stabil und zuverlässig laufen. "Es gibt keinen technischen Grund für einen Wechsel", erläutert DiDio. "Microsofts "Active Directory Services" (ADS) können den NDS in vielen Belangen nicht das Wasser reichen." Außerdem, so DiDio, erübrige Novells Management-Tool "Zenworks" den Einsatz von Drittprodukten - und letztlich gebe es einfach mehr erfahrene Administratoren für die NDS und Netware.

Dass sich Novell dennoch um die eigene Kundschaft sorgen muss, liegt an Microsofts Dominanz im IT-Markt und den eigenen wiederkehrenden Problemen. "Irgendwann können Sie nicht mehr gegen 90 Prozent Marktanteil argumentieren", erklärte Michael Brown, IT-Verantwortlicher eines amerikanischen Logistikunternehmens. Brown vollzog vor einem Jahr den Wechsel von Netware zu Windows NT und kann ein Lied von den Schwächen und den Stärken der neuen Lösung singen: Netware, so der Manager, sei unglaublich stabil gelaufen, der NT-Server müsse hingegen einmal pro Woche neu gestartet werden. "Dennoch bereue ich nichts, denn der Funktionszuwachs ist enorm."

Microsoft versteht es aber auch, große Unternehmen mit geschickt platzierten Angeboten zu locken. So zogen die Softwerker das Finanzinstitut Wells Fargo, das bislang sowohl die NDS als auch eine NT-Domain-Struktur betrieb, komplett auf ihre Seite und räumen dem Anwender im Gegenzug Mitspracherecht bei der weiteren Ausgestaltung von Windows 2000 ein. Wells Fargo ist allerdings auch ein Schwergewicht unter den Anwendern. 13 000 Mitarbeiter in der IT-Abteilung versorgen rund 120 000 Bankangestellte.

Wells Fargo und andere große Unternehmen streben unter anderem eine einheitliche IT-Infrastruktur an - erste Wahl ist da Microsoft, denn der Softwarekonzern kann vom Backend bis zum Frontend eine durchgehende Windows-Linie präsentieren. Ein weiteres oft genanntes Argument gegen Novells Software bezieht sich auf die Nutzung von bestimmten Applikationen. Weil "Exchange 2000" und neue im Windows-2000-Umfeld entwickelten Anwendungen eng mit den ADS verknüpft sind, lösen viele Unternehmen die NDS ab, um nicht zwei unterschiedliche Verzeichnisdienste zu betreiben. "Exchange 2000 ist der Katalysator", erläutert Gartner-Group-Analyst Silver. "Einige Leute benutzen Microsofts Groupware-Lösung, um den Wechsel zu Windows 2000 zu rechtfertigen."

Technische Probleme sind zweitrangigDabei werden sie nicht so sehr auf technische Schwierigkeiten stoßen, die Herausforderungen sind eher mentaler Art. Netware Certified Engineers haben in der Regel viel Geld und Engagement in Ausbildung und Fachwissen investiert, der Sprung in die zuvor verschmähte Microsoft-Welt dürfte ihnen nicht leicht fallen. "Wechselwillige Unternehmen müssen es schaffen, die Markenbindung an Novell und die schlechten Urteile über Microsoft abzuschwächen - dann wird auch die Netware-Fraktion Interesse zeigen", rät IBM-Experte Poole.

Die NDS-gestählten Ingenieure dürften in der Regel keine Probleme mit der technischen Umsetzung der ADS haben, denn die Grundlagen der Microsoft-Verzeichnisdienste ähneln denen von Netware 4 und Netware 5. "Mitarbeiter, die die NDS verstehen, werden die Migration zu Windows 2000 federführend vollziehen können", erwartet Poole. Größere Probleme mit Windows 2000 und den integrierten ADS dürften hingegen die NT-Administratoren haben, denn von NT zu 2000 ist es ein weitaus größerer technischer Schritt als von Netware 5 zu Windows 2000.

Unterschiedliche BaumstrukturBei der Migration stellen die unterschiedliche Verzeichnisstruktur und die Vererbung von Zugriffsrechten eine besondere Herausforderung dar. Die NDS sind als dezentraler Verzeichnisdienst ausgelegt, wohingegen jeder ADS-Server eine komplette Version des Verzeichnisbaumes beherbergt. Auch beim Umgang mit den Administratorrechten weichen die Lösungen voneinander ab. Beide Dienste pflegen zwar die Vererbungslehre, die Zugriffsvereinbarungen innerhalb des Verzeichnisbaumes nach unten weitergibt, doch bei der Ausgestaltung schlagen die NDS und die ADS unterschiedliche Wege ein. "Sämtliche Informationen eins zu eins in die ADS zu kopieren bringt nur Ärger", warnt Microsoft-Berater Matt Finger. "Man muss sich darüber im Klaren sein, dass Daten aus einem Verzeichnisdienst herausgeholt und in die neuen Directory-Services in einer anderen Form abgelegt werden müssen." Eine Zwischenlösung kann es sein, die ADS und NDS eine Weile parallel zu betreiben. Novell bietet mit seinem Metaverzeichnis "Dir XML" Synchronisationshilfe.

ÜBERLEGUNGEN ZUR MIGRATION:- Netware und die NDS sind reifer und zuverlässiger als Windows 2000 und die ADS.

- Migrationswillige Anwender mit IPX-basierten Netware-Versionen sollten Windows 2000 in Betracht ziehen.

- Neue Applikationen wie Exchange 2000 erfordern die ADS von Windows 2000.

- Technische Anforderungen bei der Migration sind zweitrangig. Schwieriger wird es sein, überzeugte Netware-Experten auf die Microsoft-Umgebung einzuschwören.

- Technisch versierte NDS-Experten werden mit der Einführung der ADS besser zurechtkommen als NT-Fachleute.

- Die NDS und ADS verwenden unterschiedliche Lösungen bei der Verzeichnisbaumstruktur.

- Novells Metaverzeichnis Dir XML kann für eine Übergangszeit als Bindeglied zwischen ADS und NDS zum Einsatz kommen.

- Werkzeuge von Drittanbietern helfen bei der Migration.