Taugt das kommende Microsoft-Betriebssystem als Server?

Windows 2000: Active Directory ist ein Buch mit sieben Siegeln

15.10.1999
MÜNCHEN - Nach etlichen Verzögerungen will Microsoft demnächst seine neue Windows-Version auf den Markt bringen und als zentrales Nervensystem in Unternehmen etablieren. Peter Matthies* befürchtet gerade in großen Betrieben ein Chaos.

"Es gibt wohl kaum ein Unternehmen, das Windows 2000 als Server-Plattform nicht genau unter die Lupe nimmt", erklärt Richard Schwartz, Vice-President of Network Services bei Cambridge Technology Partners. Die meisten Firmen seien allerdings skeptisch, ob sie mit Windows 2000 nicht zu sehr abhängig von Microsoft werden.

Gleichzeitig hat Microsoft seine Marketing-Maschine wieder anlaufen lassen und verkündet, daß monatlich über 100000 Lizenzen von Windows NT verkauft werden und weit über 80 Prozent aller Fortune-1000-Unternehmen die Plattform im Einsatz haben. Die Bilanz hat jedoch einen Haken: Heute stehen Windows-NT-Server nicht an der Stelle im Unternehmen, wo Bill Gates sie gerne sehen würde. Sie dienen überwiegend als Applikations- oder Internet-Server - nicht aber zur zentralen Netzwerkverwaltung. "Windows NT fehlt heute noch immer Skalierbarkeit, Sicherheit und Flexibilität", bemängelt Robert Enderle, Director für Desktop Technology bei der Giga Information Group. "Mit dem Domänenkonzept von Windows NT können 500 Benutzer effektiv verwaltet werden. Werden es mehr, dann herrscht Chaos."

Windows 2000 soll diese Mißstände beseitigen. Durch das Active Directory sollen sich Tausende Benutzer bequem von einer zentralen Konsole aus verwalten lassen. Anwender melden sich mit ihrer E-Mail-Adresse oder einer Security-Card an einem beliebigen Computer an und können auf alle ihnen zugewiesenen Ressourcen - Drucker, Applikationen oder Laufwerke - zugreifen, unabhängig davon, ob diese sich vor Ort oder in einem anderen Land befinden. Für viele IT-Manager ist das die Erfüllung eines Traumes. Aber sind Unternehmen schon bereit, das Active Directory einzusetzen? "Manager versuchen heute erst einmal zu verstehen, was es bedeutet, Directory-Services in einer Firma richtig zu nutzen", meint Schwartz. "Sie wissen genau, wie riskant es ist, die gesamte Firmenstruktur in einem neuen Verzeichnis abzubilden und zu verwalten." Die meisten Unternehmen sitzen heute noch am runden Tisch und überlegen, wie Zugriffsrechte, Sicherheit und Netzwerk-Management in der neuen Struktur abgebildet werden können. "Vom Wechsel zu Windows 2000 auf einen Schlag kann keine Rede sein," winkt Schwartz ab.

Tatsächlich scheint sich Microsoft nur wenige Gedanken über den Umstieg auf das neue Server-Betriebssystem gemacht zu haben. Die Software-Company liefert zwar ein Upgrade-Tool für den Übergang von Windows 98 oder NT auf Windows 2000, blieb jedoch bis vor kurzem eine überzeugende Auskunft schuldig, wenn es um die Planung der Active-Directory-Struktur beziehungsweise um die Migration der einzelnen Netzwerk-Server ging. Bislang ließen sich Windows-NT-Server nur einzeln auf Windows 2000 migrieren und waren bis dahin von der zentralen Verwaltung ausgeschlossen. "Mir ist es ein Rätsel, warum sich Microsoft nicht mehr Gedanken über die Planung des Active Directory gemacht hat", wundert sich Max Peter, Geschäftsführer der Münchner Econet Consulting, "das Risiko ist viel zu groß, wenn eine neue Verzeichnisstruktur vor der Live-Schaltung nicht getestet werden kann."

"Entscheidend ist doch, daß Konzerne bereits unter NT ihre Verzeichnisstruktur aufbauen und verbessern können, bevor sie mit Windows 2000 live gehen", argumentiert Peter. Microsoft hat inzwischen offenbar seine Versäumnisse erkannt und ist eine Kooperation mit Mission Critical Software eingegangen. Der Partner soll für die Planung neuer Migrations-Tools sorgen. Wie groß die Nachfrage nach solchen Werkzeugen ist, belegen die Aussagen von Oliver Thierry, Vice-President Marketing bei Mission Critical Software: "Wir können uns vor Anfragen gar nicht mehr retten."

Bill Gates wird es vermutlich relativ einfach haben, Windows 2000 als Server-Plattform zu etablieren; doch als Applikations- oder E-Commerce-Server dürfte es gegen Unix- und Linux-Betriebssysteme schwer zu kämpfen haben. Mit den Chancen und Risiken des Active Directory öffnet Microsoft jedoch in Konzernen die Büchse der Pandora.

Nach einer Studie der Marktforscher von Forrester Research haben große Unternehmen häufig 180 verschiedene Verzeichnisse im Einsatz, die heute noch separat, in Zukunft aber zentral verwaltet werden sollen. Firmen werden nicht das Risiko eingehen und sofort auf Windows 2000 setzen.