Wettbewerbshüter setzen Microsoft zu

27.02.2006
Im Streit mit der EU-Kommission sieht sich das Unternehmen ungerecht behandelt. Nun geht es in die PR-Offensive und veröffentlicht Teile des Schriftverkehrs mit der EU.

Microsoft steht unter Druck: Eine Strafe von bis zu 2,4 Millionen Dollar täglich droht dem weltgrößten Softwarehaus, wenn es seine Wettbewerber nicht ausreichend mit technischen Dokumentationen über Windows-Schnittstellen versorgt. Streit ist nun darüber entbrannt, was Microsoft konkret tun muss, um den Wünschen der EU-Vertreter gerecht zu werden. Das Unternehmen hatte umfangreiche Dokumentationen veröffentlicht, die Wettbewerber gegen Lizenzgebühr einsehen, aber nicht kopieren dürfen. Doch nach Einschätzung der EU-Sachverständigen kann mit diesen Dokumentationen niemand etwas anfangen. Gefordert seien konkrete Instruktionen für die Konkurrenz, damit diese zeitnah alternative Produkte zu Microsoft-Anwendungen entwickeln kann.

IBM und Oracle machen Front gegen Microsoft

Zugespitzt hat sich für Microsoft die Lage durch eine weitere Beschwerde so prominenter Anbieter wie IBM, Oracle, Nokia, Sun, Real Networks und anderer. Die Microsoft-Konkurrenten, die sich als "The European Committee for Interoperable Systems" (Ecis) bezeichnen, klagen gegenüber der EU-Kommission über die Geschäftspraktiken des Rivalen.

Von den Wettbewerbshütern fordern sie, den Softwareriesen zu stoppen, sofern der weiter daran arbeite, sein Monopol zu verstärken und Zukunftsmärkte unfair unter Kontrolle zu bringen. "Wir sind am Scheideweg", heißt es in einer Erklärung der Ecis. "Wird es einem dominanten Hersteller erlaubt, die Bedingungen für Wettbewerb zu kontrollieren, oder werden sich Regeln durchsetzen, die freien Wettbewerb zum Vorteil aller garantieren?"

Es fehlt an Details

Konkret geht es um die Art und Weise, wie Microsoft Textverarbeitung, Spreadsheet und Präsentationssoftware entwickelt und vermarktet. Details haben die Konkurrenten jedoch gegenüber der Öffentlichkeit bislang nicht verlauten lassen. Beispielsweise ist unklar, ob die Industriegruppe auch gegen Microsofts Windows-Nachfolger Vista etwas unternehmen will.

Thomas Vinje, Justiziar der Ecis, sagte allerdings, die Vorwürfe seien weitreichend und beträfen bestehende wie künftige Produkte. "Wenn Microsoft die Auflagen von 2004 erfüllt hätte, müssten wir diese Klage nicht einreichen", so der Anwalt. Der Softwareriese habe sich dies selbst zuzuschreiben.

Alles nur Hetze?

Microsoft beschrieb die Gruppe unterdessen als Front für IBM und andere Wettbewerber, die mit Prozessen und dem Ruf nach mehr Regulierung Geschäftsvorteile erreichen wollten. Dieses Vorgehen sei eine Bestätigung dafür, dass Microsoft gute Produkte anbiete. Man wundere sich nicht, dass Konkurrenten versuchten, bahnbrechende Technologien wie Office 12 und Windows Vista aufzuhalten.

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www.computerwoche.de/go/

572428: Microsoft attackiert die EU-Kommission;

571355: Freigabe des Windows-Sourcecodes in Lizenz;

571465: Warum die EU mehr von Microsoft verlangt.

Weitere Adressen:

Microsofts veröffentlichter Schriftverkehr mit der EU:

http://www.microsoft.com/ presspass/legalnews.mspx.

In einer PR-Aktion machte die Gates-Company nun Dokumente öffentlich, die Microsoft am 15. Februar vertraulich an die EU-Kartellbehörden gesandt hatte. Darunter befindet sich auch ein Briefwechsel zwischen CEO Steve Ballmer und EU-Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes. Microsoft antwortet in dem 78-seitigen Schriftstück auf den Vorwurf, das Unternehmen missbrauche seine Marktmacht bei Betriebssystemen. "Transparenz ist in diesem undurchsichtigen Prozess von vitalem Interesse", kommentierte Horacio Gutierrez, Microsofts europäischer Justiziar, das Vorgehen.

Falsch, irreführend, unfair

Die Dokumente sollen auch den Vorwurf widerlegen, das Softwarehaus habe die von der EU erzwungenen Dokumentationen in einer für den Wettbewerb unbrauchbaren Art und Weise geliefert. "Microsoft hat die Dokumentation in einer angemessenen Form und in Übereinstimmung mit den Gepflogenheiten der IT-Industrie veröffentlicht", heißt es in der Einleitung zu den veröffentlichten Dokumenten. Die EU-Vorwürfe seien "falsch, irreführend und unfair". Zu ganz anderen Ergebnissen waren indes ein Gutachter der EU, ein unabhängiges technisches Prüfungskomitee sowie der Wettbewerb gekommen. Sie hatten das Material übereinstimmend als unbrauchbar bezeichnet.

Hintergrund der Eskalation im Streit zwischen Microsoft und den EU-Wettbewerbsbehörden ist eine Verurteilung des Softwaregiganten durch die EU-Kommission im März 2004, gegen die der Konzern umgehend Rechtsmittel einlegte. Wegen Wettbewerbsverstößen wurde Microsoft zur Zahlung von 497 Millionen Dollar verpflichtet, außerdem bekam das Unternehmen eine Reihe von Auflagen. Microsoft sollte Windows-Betriebssystem und Media Player getrennt anbieten, was inzwischen geschieht. Außerdem sollte der Konzern Schnittstellen für Wettbewerber binnen 120 Tagen so beschreiben, dass diese Server-Produkte entwickeln können, die ebenso gut mit Windows-Desktops harmonieren wie Microsofts eigenes Server-Angebot. Daraufhin hatte das Unternehmen gegen Lizenzgebühren die Dokumentationen freigegeben. (hv)