Flaute aus dem Vorjahr zeigt immer noch Auswirkungen

Wettbewerb der Chipanbieter läßt Preisverfall erwarten

05.07.1996

Wenn die Chipindustrie klagt, freuen sich die Anwender. Rechner werden billiger, bereits erworbene PCs können mit preiswertem Memory aufgerüstet werden - beispielsweise, um von Windows 3.x auf den Ressourcenfresser Windows 95 umzusteigen. Zur Zeit klagen Anbieter von Speicherchips und von Prozessoren gleichermaßen heftig, denn die goldene Zukunft, die den Fertigern noch vor rund neun Monaten prophezeit worden war, scheint ein Wunschtraum zu bleiben.

Zwar kein Desaster, wohl aber empfindliche Umsatzeinbußen erwarten die Mikroprozessor-Hersteller zum Ende des zweiten Quartals. AMD wird nach eigenen Schätzungen gegenüber dem ersten Quartal (Umsatz: 544,2 Millionen Dollar) rund 15 Prozent weniger einnehmen. Wie das "Wall Street Journal" berichtet, rechnet Wettbewerber Cyrix für den gleichen Zeitraum mit einem Verlust von mehr als 15 Millionen Dollar. Lediglich Marktführer Intel scheint trotz der Krisensituation im Markt seine Umsatz- und Gewinnerwartungen erfüllen zu können.

Die Branche leidet noch immer unter den Nachwehen des enttäuschenden Weihnachtsgeschäfts. Hoffnungsfroh hatten die Hersteller ihre Läger bis unter das Dach mit PCs und anderem elektronischem Gerät gefüllt. Die enormen Bestände waren jedoch selbst im zweiten Quartal des laufenden Jahres noch nicht vollständig aufgebraucht. Die Nachfrage sank, die Preise gingen in den Keller - ein Trend, der durch effizientere Produktionsverfahren noch beschleunigt wurde.

"In den letzten sechs bis sieben Monaten sind die DRAM-Preise um rund 65 Prozent gefallen", bilanzierte Siemens-Manager Ulrich Schumacher gegenüber der "Financial Times". Normalerweise sinken die Preise proportional zu den Produktionskosten um zirka 20 bis 30 Prozent jährlich. Der bedingungslose Kampf der Anbieter um Marktanteile führte jedoch nach Informationen der Wirtschaftsgazette sogar dazu, daß der Spot-Markt-Preis für einen 16-Mbit-DRAM-Chip binnen eines Jahres von 25 auf weniger als zehn Dollar schrumpfte.

Während mit Mikroprozessoren und anderen hochwertigen Chips aufgrund hoher Profitmargen und einer stabileren Marktsituation auch in Krisenzeiten ein Geschäft zu machen ist, haben es die Anbieter von DRAMs schwerer. Die meisten dieser Speicherchips werden in Korea hergestellt. Noch im vergangenen Jahr produzierten die Schwergewichte der Branche, Samsung, Hyundai und LG Semicon, rund ein Drittel aller weltweit gehandelten Memory-Chips. Nun haben alle drei Anbieter ihren Output gedrosselt.

LG Semicon fror seine Produktion bei monatlich acht Millionen Chips ein, Hyundai produziert noch elf Millionen Halbleiter - 22 Prozent weniger als in früheren Monaten. Samsung wird die Fertigung seiner 16-Mbit-DRAM-Chips in der zweiten Jahreshälfte um 15 Prozent reduzieren. Dann sollen noch zwölf Millionen Chips pro Monat die Fabriken verlassen. Um der anhaltenden Krise zu entgehen, will Samsung außerdem diversifizieren: Nachdem die Asiaten seit Jahresbeginn die Hälfte ihres Börsenwerts eingebüßt haben, soll jetzt der Einstieg in den Mikroprozessor-Markt Schlimmeres verhindern. Dabei kooperiert Samsung mit Digital Equipment.

Auch der japanische Halbleitermarkt ist unter Druck geraten (siehe Seite 31). Der weltweit zweitgrößte Chipproduzent NEC will den DRAM-Ausstoß von monatlich elf auf neun Millionen Stück reduzieren. Noch im vergangenen Jahr hatte NEC Rekordsummen für die Einrichtung von Fertigungsstätten für 16-Mbit-DRAM-Chips ausgegeben. Hitachi hat seine Pläne, den Output deutlich zu erhöhen, wieder ad acta gelegt. Fujitsu stoppte den Ausbau der englischen Produktionsstätte. Den Fertigungsstart in einem neuen Werk im US-Staat Oregon verschob Fujitsu zunächst um ein halbes Jahr - die Kosten für das Werk betrugen immerhin eine Milliarde Dollar.

Nach der jüngsten Überproduktionsphase und dem daraus resultierenden Preisverfall schöpfen die Anbieter wieder Hoffnung. In den vergangenen drei Wochen sind die Spot-Preise für Speicherchips immerhin um 15 Prozent gestiegen. Eine Stabilisierung der Marktverhältnisse wird erwartet, da einige Hersteller zur Zeit mit Verlust produzieren. Außerdem dürfte bald mit den Dumping-Preisen Schluß sein, die die Konkurrenz vor allem den koreanischen Anbietern Hyundai und LG Semicon vorwirft. In den USA scheint eine von Micron Technology vorgebrachte Beschwerde gegen die beiden Unternehmen beim US-Department of Commerce Gehör zu finden.

Wie die Marktentwicklung in der Halbleiterindustrie weitergeht, weiß derzeit niemand. Einigkeit besteht allenfalls darin, daß die nur schleppende Akzeptanz von Windows 95 entscheidend zur Misere beigetragen hat. Die Anbieter hatten sich bessere Geschäfte vom Aufrüstungs- beziehungsweise Anschaffungsbedarf der Kunden versprochen.