Wenn ERP-Systeme laufen lernen

01.03.2005
Von Ute Zimmermann
Mobile Unternehmensanwendungen stellen logisch nur eine Erweiterung dar. Technisch sind jedoch sie eine Herausforderung für die IT-Abteilung.

Spätestens seit dem Beginn des UMTS-Zeitalters wird den Unternehmen in Aussicht gestellt, dass ihre Anwendungen mobil werden. Dabei wird ganz selbstverständlich der problemfreie Zugriff auf alle Inhalte des Firmennetzes suggeriert. In der Realität aber sind Unternehmen, die mobilen Mitarbeitern den Zugang zu Firmendaten bieten und dabei noch einen Datenabgleich gestatten, rar.

Fest steht jedoch, dass sich durchgängige digitale Prozessketten nur mit mobilen Lösungen schaffen lassen. Es drängt sich also die Frage auf, wie mobil Unternehmen heute wirklich sind, und tatsächlich scheint hier der Finger an einer elementaren Stelle in der Wunde zu liegen. Denn wie oft werden digital vorliegende Informationen zunächst auf Papier gebracht, dann durch die Gegend getragen, dabei händisch mit zusätzlichen Daten versehen und anschließend wieder mit hohem manuellem Aufwand digitalisiert? Eben, zu oft.

Mobile Lösungen beschleunigen dagegen den Informationsfluss, reduzieren Fehlerquellen und gestalten die Arbeit deutlich rationeller: Als potenzielle Nutzer empfehlen sich Mitarbeiter ebenso wie Kunden und Partner; die bevorzugten Einsatzgebiete sind Kunden- und Außendienst. Aber das mobile Büro ist weit mehr als ein einfacher Fernzugriff auf Geschäftsdaten. Mobile Lösungen müssen eben wirklich mobil sein - also transportabel und immer am Mitarbeiter. Den Funktionen sind dabei keine Grenzen gesetzt. Ob Abfrage von Kunden- und Bestandsdaten im Vertrieb, Kennziffern und Termine für das Management oder Serviceeinsätze für Techniker, denkbar sind viele Anwendungen.

Nach der anfänglichen Euphorie hat sich aber eine erste Ernüchterung breit gemacht: Die wenigsten Lösungen halten, was sie versprechen. Die meisten mobilen CRM- oder ERP-Programme sind nach dem Prinzip des kleinsten gemeinsamen Nenners aufgebaut - das jeweils einfachste und in hohen Stückzahlen im Markt etablierte Gerät wird unterstützt. Besteht für einzelne mobile Anwendungen Bedarf an speziellen Funktionen wie zum Beispiel einem Barcode-Scan, müssen die Applikationen meist aufwändig auf das jeweilige Endgerät portiert werden.

Werden mobile Lösungen richtig umgesetzt, bieten sie einen hohen Business-Nutzen. Falsch umgesetzt, verschenken sie ungeahnte Potenziale. Können Servicetechniker oder Vertriebsmitarbeiter zeitnah ihre Routenplanung abrufen und umdisponiert werden, verkürzen sich nicht nur Wege, sondern fallen in ganz erheblichem Maße auch die Kosten. Werden Aufträge direkt vor Ort erfasst, Termine und Ersatzteillieferungen abgestimmt, können Mitarbeiter wesentlich effektiver arbeiten. Häufig amortisieren sich die Projekte allein durch den positiven Cashflow, der eintritt, wenn Leistungen früher in Rechnung gestellt werden können. Da lacht nicht nur das mittelständische Unternehmerherz.

Ein Beispiel hierfür ist die Sodick Deutschland GmbH. Das Tochterunternehmen des japanischen Maschinenbau steuert seine Servicetechniker über die "Mbusiness"-Plattform des Mainzer ERP-Herstellers Godesys. Durch die Nutzung der mobilen Prozesse konnte Sodick die Debitorenlaufzeit für Servicerechnungen um sage und schreibe vier Wochen kürzen: ein Umstand, durch den die gesamte Mobility-Anwendung innerhalb von nur acht Monaten rentabel wurde. Wie? Durch gelebte mobile Prozesse. Eingehende Störmeldungen, Wartungseinsätze oder Installationsaufträge werden vom Dispatcher den einzelnen Servicetechnikern zugewiesen. Das Godesys-ERP-System bereitet die Daten für das jeweilige Endgerät auf und schiebt den Einsatzbefehl auf das Smartphone des Technikers. Das Servicepersonal vor Ort hat Zugriff auf alle relevanten Daten wie Lagerbestände oder installierte Gerätekomponenten, die Rückmeldung von Material, Zeit und Kosten erfolgt noch am Einsatzort und wird an die Zentrale zur Faktura übermittelt. Der Datenabgleich mit dem zentralen System wird dabei über SMS gesteuert, den einzigen weltweit wirklich einheitlichen Standard in Mobilfunknetzen.

"Nach unserer Kenntnis sind wir derzeit die einzigen Mittelstandsanbieter einer funktionierenden M-Business-Lösung, die das Steuern von ERP-Prozessen über Unternehmensgrenzen hinweg ermöglicht", wirbt Godelef Kühl, Godesys-Vorstand und Unternehmensgründer, nicht ohne Stolz. "Durch die Verwendung der Push-Technologie, die es erlaubt, mobile Geräte jederzeit von der Zentrale aus zu verbinden, können Mitarbeiter gesteuert und informiert werden", führt Kühl weiter aus. Derzeit prüfe er, ob sein Unternehmen nicht auch Konnektoren zu weiteren ERP-Anbietern entwickelt.

Logikbrüche vermeiden

"Die meisten ERP-Systeme mögen zwar betriebswirtschaftlich ausgereift sein, haben aber in der technischen Umsetzung mobiler Prozesse unserer Erfahrung nach erhebliche Lücken", analysiert Kühl, "meist gestatten die Lösungen nur Terminalzugriffe im Online-Modus." Schon allein aufgrund der Oberflächen müssten Informationen beispielsweise für Handhelds anders verfügbar gemacht werden als für herkömmliche PC-Anwendungen, gibt Kühl zu bedenken.

Der Vorteil mobiler Lösungen basiert auf dem Ansatz, dass die Logikbrüche der heutigen Informationsverarbeitung vermieden werden. Dazu ist in der Umsetzung jedoch eine genaue Kenntnis der anfallenden Daten und der einzelnen Prozessschritte notwendig. So setzt beispielsweise Star Distribution, ein Unternehmen der Daimler-Chrysler Group, mobile Endgeräte im Kommissionierprozess ein. Aufgrund der örtlichen Gegebenheiten müssen die Geräte sowohl online als auch offline verfügbar sein. Die Windows-CE basierenden Geräte sind mit Barcode-Scannern, GSM und WLAN ausgestattet. Dabei werden für die jeweiligen Lagerbereiche und Aufgabengebiete unterschiedliche Ausbaustufen der einzelnen Geräte eingesetzt.

Auch Star Distribution ist ein Anwender der Godesys-ERP-Lösung. Dabei erweitert das Mbusiness-Gateway die zentralen Buchungsfunktionen des ERP-Systems um eine Kommunikationskomponente zur direkten Anbindung mobiler Mitarbeiter. Unterstützt werden alle Endgeräte, die auf Windows CE oder dem Symbian-Betriebssystem aufsetzen. Über die in der Software enthaltenen Werkzeuge werden Masken, Funktionen und Daten zentral entwickelt, administriert und prozessorientiert zur Verfügung gestellt. Die Anwender werden von der Administration also automatisch und immer dann mit neuen Anwendungen versorgt, wenn sich die Prozessschritte ändern.

Der Prozessgedanken zählt

Die Technik ist zwar ein bestimmendes Element mobiler Anwendungen, wird aber durch den praxisorientierten Prozessgedanken überlagert. "Das sinnvolle Erdenken und das Umsetzen unserer Prozesse auf mobile Endgeräte hat unsere Fehlkommissionierungen in kürzester Zeit um mehr als 25 Prozent gesenkt", weiß Martin Fischer, Manager Logistic IT Solutions bei Star Distribution, zu berichten.

Die Vielfalt der möglichen Endgeräte und der hohe Innovationsgrad sind für Godesys-Chef Kühl Herausforderungen: "Eine gute Mbusiness-Plattform muss ihre Flexibilität und Anpassungsfähigkeit fast täglich neu beweisen - sie muss die Informationen, die auf verschiedenen Endgeräten verfügbar gemacht werden, nach festen Regeln umsetzen." Wenn das nicht funktioniert, so Kühl, kann eine gesamte mobile Anwendung ad absurdum geführt werden. Zudem müssen auf den kleinen Displays von PDAs oder Smartphones Informationen anders dargestellt werden als in der üblichen Büroumgebung. So können grafische Elemente nicht einfach übernommen werden, und Texte müssen möglichst einfach lesbar sein. Ist für das Lesen von Informationen seitliches Scrollen notwendig, leidet ferner die Benutzerergonomie spürbar.

Wahl des Endgerätes

Deshalb muss man die Eigenschaften aller eingesetzten Endgeräte genau kennen und sie vor allem auch administrierbar machen. Dabei wird etwa festgelegt, ob die Darstellung monochrom oder farbig sein soll, ob mit Bildern oder ohne, die Anzahl der Pixel und welche Anwendung auf welchem Endgerät laufen soll. Im Idealfall ist die Bedienung der Applikationen für das jeweilige Endgerät maßgeschneidert. Während der Servicetechniker die Vorteile der Tastatureingabe eines Nokia Communicator bei der Erfassung seiner Einsatzdaten schnell schätzen lernt, ist für den Vertriebsprozess das einfache Quittieren von Positionen über das Touchpad eines Windows-CE Geräts hilfreich. Und trotzdem, die wenigsten Entscheider beziehen die unterschiedlichen Endgeräte konsequent in ihre Auswahl ein, eine undifferenzierte Bestandsaufnahme ist vorprogrammiert. In vielen Mobilprojekten wird laut Kühl versucht, sich im Vorfeld auf ein einziges Endgerät festzulegen, was meist nicht von Erfolg gekrönt sei.

Einen planbaren Horizont, der über die nächsten zwei, drei Jahre hinausgeht, kann in diesem Markt wohl kein Hersteller ehrlich aufzeigen. Gleichwohl sind mobile Anwendungen in vielen Fällen der Schlüssel zu mehr Effizienz und Qualität, und damit stellt sich der Nutzen meist deutlich größer dar, als erwartet. Mobile Prozesse werden eben schneller wettbewerbsrelevant, als sich das manch einer heute vorstellen kann. (hi)