Gartners Hype Cycle gibt Unternehmen Entscheidungshilfen

Welche Technologien wichtig werden

13.08.2004

"Wir befinden uns in einer Phase, wo wir uns wieder für Technologie begeistern können", sagt Alexander Linden, Vice President Emerging Technologies bei Gartner. Gemessen an den damit verbundenen Erwartungen befänden sich viele Entwicklungen derzeit auf einem Höhepunkt (siehe Abbildung "Gartner Hype Cycle 2004"). Dazu gehören etwa die breitbandige Funktechnik Wimax und verschiedene Ausprägungen der drahtlosen Datenübertragungstechnik Ultrawideband (UWB).

Logische Verknüpfung gefragt

Dennoch hat der Gartner-Experte eine gravierende Veränderung ausgemacht: Standen in den letzten vier bis fünf Jahren viele mobile Techniken im Vordergrund, so hat sich das Interesse in jüngster Zeit verlagert - weg von der physikalischen Verbindung und hin zur "logischen Konnektivität" von IT-Systemen. Linden verbindet damit Themen wie Interoperabilität, Middleware, Integration oder das Semantic Web. Letzteres zielt auf die Einordnung von Daten hinsichtlich ihrer Bedeutung. Aber auch Techniken für die Informations-Extraktion oder die Analyse sozialer Netze dienten der logischen Verknüpfung unterschiedlicher Daten und IT-Komponenten.

Mit dem "Emerging Technologies Hype Cycle" versucht Gartner, seinen Kunden alljährlich eine Übersicht über relevante Entwicklungen zu geben. Dabei ordnen die Analysten 37 ausgewählte Technologien in ein Phasenmodell ein, das die Sichtbarkeit einer Technik und deren Reifegrad bewertet.

Phasenmodell

Am Anfang steht das erste öffentliche Erscheinen einer Entwicklung ("Technology Trigger"), gefolgt von steigenden Erwartungen, die schließlich einen Höhepunkt erreichen ("Peak of Inflated Expectations"). Danach geht es bergab, die Phase der Desillusionierung beginnt. Nach dem Tiefpunkt, dem "Tal der Desillusionierung", folgt in der Regel eine Phase der Einsicht, wie Linden erläutert: Unternehmen beginnen damit, in eine Technik zu investieren, um Einsatzmöglichkeiten und Vorteile zu prüfen. In der Phase der Produktivität ("Plateau of Productivity") ist der Nutzen der Technik weithin demonstriert und akzeptiert.

Geprägt ist diese wellenartige Entwicklung in erster Linie durch menschliches Verhalten und menschliche Wahrnehmung, erklärt Linden, weniger durch technische Aspekte. Einer Nutzenwelle gehe stets eine Hypewelle voraus; die meisten Techniken schafften es, nach einer Talfahrt wieder aufzusteigen.

In einem frühen Stadium öffentlicher Wahrnehmung befinden sich etwa Logikbausteine auf Protein-DNA-Basis, die eines Tages sehr hohe Rechenleistungen bei stark verringertem Stromverbrauch ermöglichen könnten. Auch molekulare Transistoren, die die Grenzen der Miniaturisierung von Silizium-Komponenten sprengen, sind gemäß dem Gartner-Modell noch mindestens zehn Jahre von einem praktischen Einsatz entfernt.

Ein durchaus umstrittenes Nutzenpotenzial bieten laut Linden "Truth-Verification"-Techniken. Dabei handelt es sich um eine Art elektronischen Lügendetektor, der Stimmen analysiert und auch über das Telefon funktionieren soll. Erste Einsatztests würden an US-amerikanischen Flughäfen gefahren; denkbar seien zudem Systeme, die etwa Versicherungsbetrüger entlarven können.

In die Kategorie logische Konnektivität ordnet Linden so genannte Wikis ein. Vereinfacht ausgedrückt handelt es sich dabei um Web-Server, deren Inhalte sich von den Nutzern verändern lassen. Ähnlich dem Prinzip in der Open-Source-Welt funktionieren Wikis wie ein riesiges verteiltes Content-Management-System. Ein Beispiel ist die frei zugängliche Online-Enzyklopädie Wikipedia, die zumindest quantitativ andere Enzyklopädien wie Encyclopedia.com und kommerzielle Produkte wie Microsofts Encarta in den Schatten stellt. In einem Zeitraum von zwei bis fünf Jahren könnten Wikis nach Gartner-Schätzungen die Phase der Produktivität erreichen.

Bereits auf dem Höhepunkt inflationärer Erwartungen befinden sich Fertigungsmethoden, die auf der Technik herkömmlicher Tintenstrahldrucker basieren ("Inkjet Processes"). Statt Tinte verwenden die Forscher beispielsweise flüssiges Plastik, um auf diese Weise kleine Plastikteile herzustellen. Ebenfalls mit hohen Erwartungen verknüpft sind externe Supercomputer-Grids, sprich weit verteilte Netze aus massiv-parallelen Rechnerknoten, die über Unternehmensgrenzen hinweg hohe Verarbeitungskapazitäten zur Verfügung stellen. "Auf dem Sprung in die Profitabilität" sieht Linden dagegen firmeninterne Grids, die beispielsweise in der Finanz-, Pharma- oder Automobilbranche genutzt werden.

Zurückhaltend beurteilt der Gartner-Experte das Potenzial von Linux auf dem Desktop für Unternehmensanwender. Zwar handele es sich um ein "Angstthema für Microsoft". Die in der Hype-Cycle-Grafik dargestellte Prognose, wonach solche Systeme innerhalb von zwei bis fünf Jahren die Produktivitätsphase erreichen könnten, hält er jedoch für "sehr optimistisch". Um den für diese Phase definierten Marktanteil von 25 Prozent in der Zielgruppe zu erreichen, wäre ein durchschnittliches jährliches Wachstum von 80 bis 100 Prozent nötig. Auf dem Höhepunkt überzogener Erwartungen befindet sich gemäß der Gartner-Diktion auch das Thema Unified Communications, also die Zusammenfassung mehrerer Kommunikationsmittel wie E-Mail, Fax oder Voice-Mail.

RFID kommt

Eine differenzierte Sicht liefern die Marktforscher für das Hype-Thema RFID: Sie unterscheiden zwischen Funketiketten auf jedem einzelnen Artikel eines Unternehmens und der Auszeichnung ganzer Kartons oder Warenpaletten. Erstere Variante ist demzufolge erst in mehr als zehn Jahren praxisrelevant. Demgegenüber erwartet Linden von RFID-Chips auf Paletten oder Kartons eine "massive Transformation" in den Unternehmen, die innerhalb von fünf bis zehn Jahren produktivitätsfördernd wirken könne.

Wifi- und Hotspot-Techniken sieht Gartner im Tal der Desillusionierung. Sie würden bislang nur von einer Nischengruppe akzeptiert, die Anbieter verdienten kaum Geld damit. Dass es um die Extensible Business Reporting Language (XBRL) derzeit etwas ruhig geworden ist, hält Linden dagegen für eine natürliche Entwicklung.

Im Aufwärtstrend befinden sich Location "Aware" Services (mobile ortsgebundene Dienste) und Voice-over-IP-Systeme. Allerdings haben sich Letztere noch nicht zu einer Technik für die Masse entwickelt, schränkt der Analyst ein. Nur wenige Unternehmen planten derzeit eine Einführung oder arbeiteten an konkreten Projekten.

Web-Services etabliert

In die Produktivitätsphase geschafft haben es interne Web-Services. Linden will darunter einfache, meist Soap-basierende Dienste verstanden wissen (Soap = Simple Object Access Protocol), mit deren Hilfe sich etwa Daten plattformübergreifend bewegen lassen. Er unterscheidet davon Web Services Enabled Business Models, die dazu dienen, ganze Prozesse oder Geschäftstransaktionen automatisiert ablaufen zu lassen. Bis diese Art von Diensten produktiv genutzt werde, dürften aus heutiger Sicht noch fünf bis zehn Jahre vergehen.

Highlights

- Mobile und drahtlose Techniken stellen weiterhin einen Großteil der Innovationen.

- Logische Konnektivität (zum Beispiel Integration, Middleware, Semantic Web) gewinnt an Bedeutung gegenüber der physikalischen Verbindung von IT-Komponenten.

- Auf dem Höhepunkt inflationärer Erwartungen: Wimax, Unified Communications, Ultrawideband, Linux auf dem Desktop.

- Im Tal der Desillusionierung: Wifi/Hotspots, Tablet PCs, Extensible Business Reporting Language (XBRL).

- Auf dem Sprung in die Profitabilität: interne Supercomputer-Grids

- In der Produktivitätsphase: interne Web-Services, Spracherkennung für Telefonie und Call-Center, Instant Messaging.

Abb: Gartner Hype Cycle 2004

Im Hype Cycle 2004 hat Gartner Technologien identifiziert, die innerhalb der nächsten fünf bis zehn Jahre das größte Veränderungspotenzial für Wirtschaft und Gesellschaft bergen. Hinzu kommen Entwicklungen, die entweder aufgrund überzogener Erwartungen oder aktueller Marktreife erwähnenswert sind. Quelle: Gartner