Warum sich Vertrauen letztlich auszahlt

03.12.2002
Von Bettina Wirth
Vertrauen führt - die neueste These vom Chefkritiker des deutschen Managements kommt zur Unzeit: In Unternehmen wird gespart, gekämpft und entlassen, aber nicht vertraut. Wohl deshalb saugen die Manager Reinhard Sprengers Lehre dankbar auf.

Ein Kugelschreiber fliegt auf die Tischplatte. Unmutsäußerungen schwirren durch den Raum „Mailand“ des Hotels Le Meridien in Frankfurt. In jedem Management-Seminar sitzt so einer - der Nerver, dessen Beiträge nur seinen eigenen Standpunkt manifestieren. Die anderen Teilnehmer seufzen, sobald er das Wort erhebt. Reinhard Sprenger, heutiger Referent und unumstrittener Chef im Ring, seufzt nicht, aber sein Körper spricht Bände: Lässig sitzt der sportliche Endvierziger auf der Tischkante und betrachtet seine Fingernägel so eingehend, als sähe er sie zum ersten Mal. Äußert sich aber ein Mitdenker, runzelt Sprenger die Stirn, schließt die Augen, lauscht und grübelt.

Der Essener, der seine Thesen übergangslos in Ruhrpott- dann wieder in reiner Hochschuldiktion vorträgt, tritt heute in der „Guru-Reihe“ des Management-Seminar-Veranstalters IIR (Institute for International Research) auf und festigt seinen Ruf als Coaching-Star und Augenöffner der Wirtschaftsnation Deutschland: Er überschüttet seine Seminarteilnehmer mit Zitaten aus dem alten Testament, bemüht Seneca, Heidegger und Adorno. Gestandene Manager geben in der Kaffeepause zu, dass es „wahnsinnig schwer“ sei, seiner Argumentation zu folgen. „Sind Sie bei mir?“ lautet Sprengers wiederkehrende Frage, wenn er einen neuen Aspekt bringt.

Coaching-Star Reinhard Sprenger: Der Sprung ins Vertrauen lohnt sich.
Coaching-Star Reinhard Sprenger: Der Sprung ins Vertrauen lohnt sich.

Sein Thema: Vertrauen als Führungsinstrument. Sprenger appelliert an seine Zuhörer, ihr Misstrauen und die damit verbundenen Kontrollmechanismen aufzugeben, sich und seiner Umgebung mehr Freiheiten zuzugestehen. Weil Vertrauen Wissenstransfer, Kreativität und Innovation ermöglicht. „Das betriebliche Vorschlagswesen ist 19. Jahrhundert pur.“ Ein Kreativitätskiller. Echtes Vertrauen erkenne man vielmehr daran, dass Mitarbeiter ungefragt Kritik äußern. Nacheinander landen auch Arbeitszeugnisse („mehr Heiz- als Erkenntniswert“), und Unternehmensberater („Wer braucht das Know-how von anderen? Vertrauen Sie Ihrem eigenen Werturteil!“) auf dem Müllhaufen gängiger Management-Praktiken.

Pommesbude oder Kernkraftwerk?

Ein vertrauensvolles Firmenklima könnten die Manager selbst erzeugen, indem sie den „Sprung ins Vertrauen“ wagen: „Machen Sie sich verwundbar“, fordert Sprenger. Weniger Kontrolle verbessere die Bedingungen für Selbstverantwortung und unternehmerisches Handeln. Sprenger erteilt Kontrollmechanismen keine generelle Absage, sondern fordert die Verhältnismäßigkeit von Kontrolle und Freiraum: „Man muss eine Pommesbude nicht führen wie ein Kernkraftwerk.“

Den Punkt nutzt Sprenger für einen Ausflug ins „große Ganze“ und mahnt, dass wir alle empfindsamer gegen die genommene Freiheit werden sollten, sei es bei Sicherheits-Checks in Flughäfen oder beim Zaun um das eigene Grundstück: „Mauern, die andere ausgrenzen, schließen Sie ein.“ Sprenger argumentiert, dass Vertrauen früher auf Langfristigkeit und Gemeinschaft beruhte. Heute, konstatiert er, komme der Mechanismus von gegenseitigem Vertrauen nicht in Gang, weil keine Vertrautheit mehr existiere.

Niemand arbeite mehr in einem bekannten Umfeld; Geschäfts- oder auch persönliche Beziehungen bauten sich in der schnelllebigen Zeit nicht mehr über Jahre auf. Daher sei Vertrauen heute eine aktive Entscheidung. Eine Entscheidung, die durchaus wirtschaftlichen Nutzen mit sich bringt. Denn Vertrauen beschleunigt Prozesse in großen Organisationen, macht flexibler. Es taugt als Führungsinstrument, so Sprengers These, weil es wie Kontrolle funktioniert, ja sogar eine Form der Manipulation ist. Wem vertraut wird, der kann sich dem Verpflichtungssog kaum entziehen. Er wird alles tun, um zu bestätigen, dass ihm zu Recht vertraut wird.

Sprengers These basiert dabei auf der Überzeugung, dass niemand absichtlich Fehler begeht, sondern jeder sein Bestes gibt. Eine Annahme, mit der sich mancher Manager, der überall Böswillen und Unfähigkeit wittert, erst anfreunden muss.

Misstrauen hat System

Der Referent betont, dass er in seinen Vorträgen nur einen Weg anbieten kann, Entscheidungen stärker auf Vertrauen zu stützen, weiß aber, dass in vielen Unternehmen eine andere Kultur herrscht. Ein Teilnehmer schildert die klassische Sandwich-Situation: Er muss nach oben berichten, die Erkundigungen bei seinen Mitarbeitern werden ihm von diesen als Misstrauensvotum ausgelegt. Wer sich in einem solchen System von gegenseitigem Misstrauen aufreibt, dem rät Sprenger, sich daraus zu befreien. In die Stille des Konferenzraums flüstert er: „Warten Sie nicht zu lang.“