Herz statt Alphatier-Gehabe

Warum Krisenzeiten empathische CEOs erfordern

13.03.2023
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Julius Bachmann blickt auf eine reichhaltige Vergangenheit als Investor, CFO, Gründer und einst auch Unternehmensberater zurück. Als Executive Coach arbeitete er bereits mit über 150 profilierten Gründern, Angel Investors und VCs in ganz Europa zusammen. Sein Ziel: ein menschlicher Führungsstil - auch wenn es mal nicht gut läuft.

Die Aufgabe von CEOs in Krisenzeiten sollte sein, das Unternehmen auf ein Ziel auszurichten – und dabei möglichst viele Mitarbeiter mitzunehmen, damit sich jeder mit seinem Know-how und seinen Fähigkeiten einbringen kann.
Harte Chefs braucht das Land in schwierigen Zeiten - so ein gängiges Vorurteil.
Harte Chefs braucht das Land in schwierigen Zeiten - so ein gängiges Vorurteil.
Foto: mark gusev - shutterstock.com

Wenn ein Bundesliga-Verein in der Vergangenheit mal wieder im Abstiegskampf feststeckte, dann war er häufig der letzte Strohhalm: Felix Magath. Sein Spitzname "Quälix" kam nicht von ungefähr: Er malträtierte Spieler mit Medizinbällen oder demütigte sie vor versammelter Mannschaft. Magath galt daher als Archetyp des Arschloch-Chefs. Jemand, den zwar niemand leiden konnte, den man aber anheuerte, wenn es mal schlecht lief.

Nicht nur im Fußball, auch in der Geschäftswelt hält sich der Glaube, Chefs müssten besonders hart und rücksichtslos agieren, um erfolgreich zu sein. Vor allem in Krisenzeiten wird eine "starke Führung" gefordert - so auch jetzt, wo Zinsen steigen und die Energiekrise hohe Kosten verursacht. Doch in Wirklichkeit ist der "Alphatier-CEO" ein Auslaufmodell.

Was heißt "starke" Führung?

Ist von einer "starken Führung" die Rede, wird oft auf den amerikanischen Unternehmer und Investor Ben Horowitz Bezug genommen. Er hat das Konzept "War Time-CEO/Peace Time-CEO" entwickelt. Zusammengefasst sagt es aus: In "War Times", also in Zeiten schwächelnder Märkte, müsse ein CEO entschlossen und aggressiv agieren - ein starker Chef sein.

In "Peace Times" dagegen gehe es eher darum, den Blick auf eine nachhaltige Zukunft zu lenken. Aktuell befinden wir uns in einer "War Time". Und Entschlossenheit ist in diesen Zeiten tatsächlich wichtig. Es müssen schnelle Entscheidungen getroffen und mutige Maßnahmen ergriffen werden, um das Überleben von Unternehmen sicherzustellen. Wer aber glaubt, dass Horowitz einen empathielosen und diktatorischen Stil für notwendig hält, hat ihn völlig missverstanden. Das genaue Gegenteil ist der Fall.

Tatsächlich spricht Horowitz an keiner Stelle von "Härte". Eine solche Kultur wäre auch völlig kontraproduktiv: Denn vor allem in Krisenzeiten ist es wichtig, die eigenen Ressourcen möglichst effizient einzusetzen. Ein Führungsstil, der darauf beruht, ohne Rücksprache von oben herab zu bestimmen, ist nicht ressourceneffizient. Denn er lässt das Wissen und die Eigenmotivation der Mitarbeitenden völlig ungenutzt.

Um es konkreter zu machen: Ein Unternehmen ist dann am erfolgreichsten, wenn jeder Einzelne im Team bereit ist, Verantwortung zu übernehmen. In Krisenzeiten machen sich bei Mitarbeitenden aber Ängste breit: Werde ich meinen Job verlieren? Welche Folgen hätte das für meine Familie? Tritt eine Führungskraft zu dominant auf, verstärkt das die allgemeine Verunsicherung.

Statt gestalten zu wollen, dominiert die Sorge, etwas falsch zu machen. Denn ein Fehler könnte eine Entlassung zur Folge haben. Gute Chefs besitzen eine Sensibilität für solche Dynamiken, geben der Belegschaft das Gefühl, "für sie da zu sein". Und sie sind bereit, eigene Fehler zuzugeben, um eine konstruktive Fehlerkultur zu etablieren - sie schaffen also ein Umfeld, in dem jeder Einzelne bereit ist, zu seinen Fehlern zu stehen, um daraus zu lernen. Der CEO des Online-Marktplatzes Etsy, Chad Dickerson, hat diese Philosophie auf folgende Formel gebracht: Gute Chefs zeichnet ein "starker Rücken" aus, aber auch ein "offenes Herz". Sie sind in ihrer Klarheit radikal, aber in ihrer Haltung offen und warm.

So richten Sie Ihr Team auf langfristige Ziele aus

Wie aber gelingt es, alle Kräfte des Unternehmens auf ein gemeinsames Ziel hin auszurichten? Um den Fokus zu schärfen, müssen fehlerhafte Prozesse im System häufig korrigiert oder gar ganz gestoppt werden. Um Tätigkeiten zu identifizieren, die eher kontraproduktiv sind, nutze ich bei meiner Arbeit mit Kunden die sogenannte Werttreiberanalyse: In einem Baumdiagramm steht das langfristige Ziel ganz oben - darunter sogenannte Treiber, die positiv und entscheidend auf das Ziel einzahlen.

Die Treiber wiederum werden jeweils einem Verantwortlichen zugeordnet und ein Zeitraum für dessen Umsetzung festgelegt. Das klingt zum Beispiel so: "Wenn wir als Shared-Mobility-Anbieter unsere Verfügbarkeit an den wichtigen Knotenpunkten in der Stadt erhöhen können, erhalten wir eine bessere Auslastung und einen höheren Umsatz. Verantwortlich dafür ist unser Head of Operations." Anschließend fragen sich alle Mitarbeitenden: Passt die eigene Arbeit mit diesem Ziel überein? Was könnte ich stattdessen tun? Und: Was sind die zwei oder drei wichtigsten Dinge, an denen das Unternehmen in diesem Quartal arbeiten kann? Alles Überflüssige kommt auf eine No-Go-Liste.

Das Großartige an dieser Herangehensweise: Jeder Mitarbeitende wird abgeholt und in die Ausarbeitung des Gesamtkonzepts integriert. So entsteht maximale Transparenz und damit maximales Vertrauen. Gerade Vertrauen ist in Zeiten von Krisen sehr wichtig, nicht nur gegenüber der Belegschaft, sondern auch gegenüber den Märkten und Stakeholdern.

Wenn CEOs dagegen einfach Mitarbeiter austauschen, statt sie als Team zusammenwachsen zu lassen, gefährden sie die Resilienz des Unternehmens. Sie sorgen dafür, dass sich Mitarbeiter abwenden. Denn was einst als zu weich für die "harte" Unternehmenswelt angesehen wurde, ist das, was heute Mitarbeiter dazu bringt, sich einem Chef anzuschließen und zu bleiben. Felix Magath ist übrigens mittlerweile Fußball-Rentner. Die Zeiten ändern sich. Auch im Fußball.