Von der Spielwiese in die Produktion

07.03.2003
Von Gerda Radetzky

Unstrittig ist, dass der Markt für VR-Labors, in denen künstliche Menschen erzeugt werden, zurückgeht. Noch vor zwei Jahren erfuhren sie auf Messen in Amsterdam und San Francisco großen Zuspruch. Bis zum Nachrichtensprecher im TV sollte alles und jedes durch virtuelle Objekte ersetzt werden. Vor allem im Marketing versprachen die Auguren den Durchbruch: Es sollten Fahnen flattern, die nicht existierten. Das Militär erkannte die Vorteile, Flugsimulatoren entstanden bereits im Zweiten Weltkrieg. Inzwischen hat VR die produzierende Industrie erobert. 1985 baute Mercedes-Benz einen Simulator, um Entwicklungszeiten zu verkürzen. Heute tauchen Raumfahrer in Schwimmbecken ab, um ihr Verhalten in der Schwerelosigkeit zu trainieren, über den Datenhelm wird der Weltraum "eingespielt".

Entwicklungszeiten verkürzen

Vor allem im Kraftwerksbau werden erhebliche Kosten gespart. Erwin Rusitschka, Leiter des CAE-Teams bei der Frameatome ANP in Erlangen, erklärt, der eigentliche Wert von VR-Techniken liege im Mix mit der "echten" Realität. CAD-Modelle entständen mit viel Aufwand, schlummerten dann aber häufig in irgendeiner Schublade, statt als "Schlüssel zur Information" genutzt zu werden. Das geschieht mittels VR und durch automatisches Überlagern mit realen Szenen. Mit diesem Verfahren prüfe man, ob Planung und Montage übereinstimmen. Design-Reviews, die früher drei bis vier Wochen gedauert hätten, ließen sich jetzt in zwei bis drei Tagen bearbeiten. Hätten an einem Plastikmodell eines Kraftwerks früher noch mehrere Leute jahrelang gearbeitet, so sei das heute in etwa fünf Prozent der Zeit machbar.

Das wesentliche Einsparpotenzial von VR liege bei den Prototypkosten. Inzwischen entstehen Fabriken in VR. Für das neue BMW-Werk in Leipzig, in dem ab 2005 die Autos vom Band rollen sollen, wurden sämtliche Produktionsanlagen und Fertigungsprozesse bis hin zu ergonomischen Arbeitsplätzen mit VR getestet. Siemens zeigte vor einem Jahr der erstaunten Öffentlichkeit, wie künftig ein Münchner Stadtteil, der auch Siemens-Gebäude enthält, aussehen soll. Selbst Architekten kannten die neuen Darstellungsmöglichkeiten noch nicht: Statt auf Klötzchen zu schauen, konnten sie sich in, aber auch zwischen den Häusern bewegen und sich so buchstäblich in die künftigen Bewohner und Arbeitenden hineinversetzen, Raumverhältnisse bei unterschiedlicher Sonneneinstrahlung nicht nur theoretisch messen, sondern praktisch "erleben".

Einzug hatte die Technik 1997 bei Siemens gefunden, als sich eine Abteilung zur 150-Jahr-Feier per VR präsentierte. Jetzt weist Siemens-Forscher Detlef Teichmann auf ein Projekt hin, bei dem 35 Lokführer aus ganz Europa austesten sollen, wie ein Fahrerstand künftig zu konstruieren ist. Bisher kann ein deutscher Lokführer nicht unbedingt eine italienische Lok bedienen, mal ist ein bestimmter Funktionshebel rechts, mal links, mal direkt am Steuer, mal daneben montiert. "Optik und Akustik beherrscht man gut, unzureichend ist bisher das Haptische. Das richtige Gefühl stellt sich bei solchen Simulationen noch nicht ein", erläutert der Wissenschaftler.

Für den Test wird eine Mischung aus realer und fiktiver Welt hergestellt: Die Lokführer sitzen in echten Cockpits, fahren die Strecken virtuell ab und sollen die Lage der Instrumente, die Ausstattung, den Führerstand und vieles mehr verbessern, um schließlich zu einer standardisierbaren Lösung zu gelangen. Bis vor kurzem jedoch scheiterten solche Vorstellungen noch am Geld oder an der Gebrauchsfähigkeit des VR-Equipments. Für Teichmann hat beispielsweise der Datenhelm einen wesentlichen Nachteil: Man kann damit kaum kommunizieren, obwohl eingespielte Daten direkt verwertet werden können.