IT im Handel/Virtueller Markt in der Tankstelle

Vollversorgung auf engstem Raum und rund um die Uhr

11.10.1996

Wohl auch aufgrund antiquierter Ladenschlußzeiten versorgen sich immer mehr Bundesbürger an Tankstellen. Zu haben ist dort so einiges von der nur "angewärmten Backware" über die Pralinen als "Reisebedarf" bis hin zum Hundefutter - und das rund um die Uhr.

Eine natürliche Begrenzung dieses Angebots stellt die verfügbare Verkaufsfläche dar. Mit einem von BP als "Express Shopping" bezeichneten Pilotprojekt wird jetzt auch dieses Hemmnis umgangen - Shopping fast ohne inhaltliche Beschränkung wird zur Realität. Der Mineralölkonzern trägt mit diesem Projekt nach eigenem Bekunden dem neuen Bedürfnis der Verbraucher nach mehr Bequemlichkeit und Verminderung des Einkaufsstresses inklusive Parkplatzsuche durch Vollautomatisierung Rechnung. Das Pilotprojekt läuft seit Dezember 1995 in mehreren deutschen Städten. Es soll eventuell auf andere Städte und europäische Staaten ausgedehnt werden.

Die Vorbereitungszeit betrug zwei Jahre. Bei der Auswahl der Hardwarekomponenten bedienten sich die Verantwortlichen nach umfangreichen Testreihen der Produkte verschiedener Hersteller und vor allem handelsüblicher Technologie. "Durch eine Einarbeitung von bereits bewährten, im normalen Verkauf erhältlichen Produkten soll gewährleistet bleiben, daß im Laufe der Zeit neue Komponenten ohne großen Änderungs- oder Anpassungsaufwand eingefügt werden können", erläutert Markus Schreiber, Leiter der Systementwicklung für dieses Projekt bei BP.

Das System basiert vor Ort mit 100-Megahertz-getakteten Pentium- PCs unter Windows mit MPEG-Videokarte und Soundsystem. Die Rechner sind mit SCSI-2-Festplatte von Micropolis mit 6,5 GB ausgestattet und besitzen 32 MB Hauptspeicher. Die ISDN-Karte stammt von Elsa, die Grafikkarte von Matrox. Der 17-Zoll-Screen hat eine Auflösung von 640 x 480 Pixel. Die vom Otto-Versand stammende CD ist auf 256 Farben ausgelegt, um möglichst breite Kundengruppen anzusprechen. Hier sei einige Optimierungsarbeit notwendig gewesen, um einen guten Mittelweg zwischen High-Color- und 256-Farb-Parts zu erreichen, berichtet Martin Ulrich, geschäftsführender Gesellschafter des Multi-Media-Hauses MMH aus Bremen.

Die Bremer sind für die grafische Gestaltung der Oberfläche und die Bedienung sowie die internen Abläufe bei der Zusammenstellung des Warenkorbs zuständig.

Am farbigen Touchscreen kann der Kunde aus rund 1000 nach Produktgruppen sortierten Supermarktangeboten auswählen - auch Frischware er kann sich seine Party aus einer Vorschlagsliste, die nach Themengebieten geordnet ist, zusammenstellen und direkt beim Otto-Versand oder, sollte es sich um Tonkonserven handeln, bei BMG Ariola ordern.

Die Bezahlung erfolgt über EC-Karte und PIN-Nummer, bei Artikeln des Otto-Versands per Nachnahme oder bei Altkunden per Rechnung. Die fertige Einkaufstüte wird zum gewünschten Termin an die Tankstelle geliefert. Der Otto-Versand liefert ins Haus.

Die Beteiligten zeigten sich vor allem davon überrascht, daß auch hochpreisige Güter wie Stereoanlagen an der Tankstelle geordert werden. Der elektronische Kauf unterliegt im übrigen den gleichen Vorschriften wie der normale Einkauf - wie beim Versandhandel gibt es bei höherwertigen Gütern hier also beispielsweise auch ein 14tägiges Rückgaberecht.

Auf der 6,5-GB-Festplatte sind alle vier Angebotsarten gespeichert. Die Electronic-Shopping-Verkaufsterminals wurden von MMH mit einer bewußt einfachen Benutzeroberfläche ausgestattet, um die Hemmschwelle der Kunden von vornherein niedrig zu halten. Dabei war von Vorteil, daß sich sowohl der Otto-Versand als auch BMG Ariola schon seit zwei Jahren mit dem Vertrieb per CD-ROM befassen, so Markus Schreiber. Der Otto-Versand setzt eine übliche Katalog-CD ein, die für den normalen Touchscreen-Gebrauch umgearbeitet wurde.

Dies entspricht im Prinzip einer Mausemulation, erklärt MHH-Mann Ulrich. Arbeitsintensiv sei die Umgestaltung der Oberfläche, da bei einer Mausbedienung eine viel feinere Struktur notwendig sei. Die Anwendung wurde unter Windows 3.11 mit Visual Basic programmiert.

Updates des Warenangebots werden von der MMH geprüft. In einem zweiten Schritt gehen sie an die Apcon Professional Concepts GmbH aus Hamburg, die für die Kommunikation, die technische Umsetzung des Abrechnungsverfahrens und die Einspeisung der Updates verantwortlich zeichnet. Reine Datenveränderungen bis 10 MB gehen nachts online an die Terminals, bei größeren Aktionen, beispielsweise einem saisonalen Katalogwechsel des Otto-Versands, wird eine neue CD vor Ort eingespielt.

Nähert sich der potentielle Kunde dem Gerät, so reagiert die Kamera mit einem Näherungssensor und spielt das Video einer freundlichen jungen Dame ein, die ihm den Gebrauch des Terminals erklärt. Auf dem System sind verschiedene Videos hinterlegt. Sie werden in einer bestimmten Reihenfolge abgespielt.

Während des Auswahl- und Bestellvorgangs arbeitet das Terminal offline. Nach Abschluß der Bestellung wird der Warenkorb mit den entsprechenden Daten an die Kommunikations-Schnittstelle übergeben. "Hier wird eine Summe gebildet", berichtet Wilhelm Karg, Geschäftsführer von Apcon. Über ein Terminal von Giesecke und Devrient (G & D) holt sich das System anhand der eingegebenen EC-Daten und der PIN-Nummer eine Zahlungsgarantie über die Summe des Warenkorbs. Mit einer positiven Antwort versehen, werden die Artikel mit dem Vermerk "Ware bezahlt" elektronisch durch die Check-out-line geschoben. Der Kunde bekommt einen Beleg die Bestelldaten als solche werden über zwei ISDN-B-Kanäle direkt an die Lieferanten weitergegeben.

Hier kommen verschiedene Sicherheitsaspekte ins Spiel. So storniert der Automat eigenständig, wenn keine Zahlungsgarantie gegeben ist oder beispielsweise der Drucker streikt. Insbesondere die Abwicklung des Zahlungsvorgangs unterliegt verschiedenen Bestimmungen des Zentralen Kreditausschusses ZKA. So muß der Kunde den Vorgang an bestimmten Stellen abbrechen können und auch einen schriftlichen Beleg über den Vorgang selbst erhalten.

Beim Lieferanten werden die Bestelldaten dann in die normale Ablauforganisation ähnlich einer telefonischen Bestellung eingespeist. Dabei ist der Otto-Versand der einzige teilnehmende Lieferant, bei dem keine direkte Abrechnung erfolgt.

Das Lastschriftverfahren läuft im Prinzip genau wie bei einem Tankvorgang, bei dem im Namen von BP die Belastung des Kundenkontos erfolgt.

Über die Umsatzzahlen kann BP noch keine Aussagen machen. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß bereits zuvor durchgeführte Marktanalysen ergaben, daß BP-Kunden insgesamt ein sehr gutes Verhältnis zum Computer haben und überhaupt neuen Technologien gegenüber sehr aufgeschlossen sind. Gab es zu Urgroßvaters Zeiten das Benzin noch in der Apotheke, hat sich die Versorgung inzwischen umgekehrt: Energiespender in Form von Nudeln, Tacos oder Vitamintabletten sind nun gleich neben dem Super bleifrei einzukaufen.

ANGEKLICKT

Einen Pilotversuch hat die BP Deutschland gestartet. Ziel: Die BP- Tankstelle soll nicht nur Benzin und Dienstleistungen rund ums Auto verkaufen, sondern darüber hinaus häufig frequentierter Anfahrpunkt zeit- und komfortbewußter Konsumenten werden, die ihre Einkaufsgewohnheiten zu verändern beziehungsweise zeitlich zu optimieren bereit sind. Vom Partyservice über die Stereoanlage bis zum Bier ist ein umfassendes Sortiment kurzfristig elektronisch bestell- und bezahlbar. Geliefert wird an die Tankstelle oder auch an die heimische Adresse. Beteiligt an dem Versuch sind der Otto- Versand und die BMG Ariola. Eine abschließende Beurteilung liegt noch nicht vor.

*Horst-Joachim Hoffmann ist freier Fachjournalist in München.