Virtuozzo verschlankt die Virtualisierung

21.04.2006
Von Dennis Zimmer
Das seit fünf Jahren von SWsoft offerierte Produkt virtualisiert nicht die Hardware, sondern das Betriebssystem. Das bringt Vorteile mit sich - aber auch einige Nachteile.
Der Aufbau einer virtuellen Umgebung mit Virtuozzo: Virtualisiert wird das Betriebssystem.
Der Aufbau einer virtuellen Umgebung mit Virtuozzo: Virtualisiert wird das Betriebssystem.

Von Dennis Zimmer*

Pro und Kontra

-- Geringer Leistungsschwund;

- große Wirtssystemressourcen (in Version für Linux maximal 32 CPUs, in der Windows-Version 16 CPUs, maximal 64 GB RAM);

- geringer Platzbedarf pro Basis-VM;

- dynamische Anpassung von Haupt- und Festplattenspeicher im laufenden Betrieb möglich;

- Massenprovisionierung sehr einfach;

- alle Funktionen über eine zentrale Management Console steuerbar;

- Softwareverteilung integriert;

- Ressourcenkontrolle;

- gut dokumentierte Programmierschnittstelle zur Anbindung von Zusatzsoftware;

- vorkonfigurierte Betriebssystem-Templates;

- Web-Administrationsoberfläche;

- sehr vielfältige Berechtigungen mit den Verwaltungsoberflächen;

- multilinguale Web-Oberflächen.

- auf Basis von Windows 2003 nur Windows-2003-Gäste, auf Linux-Basis Beschränkung auf bestimmte Derivate im Gast;

- Wirtsbetriebssystem-Einschränkung (nur bestimmte Betriebssysteme);

- hohe Belastung in einem VPS kann das Gesamtsystem beeinträchtigen;

- keine Nutzung von seriellen und parallelen Schnittstellen sowie USB- oder PCI-Geräten innerhalb des Gasts möglich;

- Zugriff auf das Dateisystem der virtuellen Maschinen über das Wirtssystem möglich (Sicherheitsproblematik);

- keine virtuellen Netzwerke möglich.

Ableger OpenVZ

SWsoft hat 2005 ein Open Source Community Projekt namens "OpenVZ" ins Leben gerufen, welches die weitere Entwicklung und Verbreitung der Virtuozzo-Technik beschleunigen soll. Dazu wurden auch Teile des Virtuozzo-Sourcecodes offen gelegt und dem Projekt zur Verfügung gestellt. Hierbei handelt es sich nur um den Linux-Teil von Virtuozzo, und es gibt keines der Verwaltungsprogramme aus der kommerziellen Version. Herstellersupport ist gegen Aufpreis erhältlich. Allerdings fehlen in OpenVZ viele Funktionen, die das proprietäre Stammprodukt bietet, und die Gastsysteme fallen wesentlich größer aus, weil das Virtuozzo-Dateisystem fehlt.

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Mehr zum Thema

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572309: Server in virtuelle Maschinen über- tragen;

571065: Open-Source-Virtualisierungs-Tool Xen;

569334: VMware versus Virtual Server und Xen;

550481: GSX Server versus MS Virtual Server 2005.

Von SWsoft kommt für das x86-Umfeld die Virtua- lisierungssoftware "Vir- tuozzo". Die erste Version wurde 2001 für Linux veröffentlicht, seit 2004 ist das Produkt auch für Windows-Umgebungen erhältlich. Aktuell sind die Versionen 3 für Linux (seit Februar 2006) und 3.5.1. für Windows.

Im Gegensatz zu konkurrierenden Erzeugnissen im x86-Umfeld wie Microsofts Virtual Server, GSX- und ESX-Server von VMware sowie Xen virtualisiert Virtuozzo nicht die Hardware, sondern das Betriebssystem. Der große Vorteil dieser Virtualisierungstechnik ist die geringe Redundanz in den Gastsystemen, weil sie nicht nur die Ressourcen des Wirtssystems auch (in weiten Teilen) dessen Betriebssystem mitbenutzen.

Eine virtuelle Maschine, unter Virtuozzo VPS (Virtual Private Server) genannt, hat daher beim Erstellen ein Volumen von wenigen MB. Dies ändert sich natürlich mit der Anzahl der in ihr verwendeten Daten und Applikationen, jedoch spart man sich je nach Betriebssystem 500 MB bis 2 GB an Betriebssystem-Dateien. Außerdem soll laut Hersteller der Performance-Schwund durch Virtualisierung ("virtualization overhead") durch diese Technik nur zwischen einem und drei Prozent betragen, was eine hohe Leistung des Gastsystems verspricht.

Größter Nachteil ist die Einschränkung der Gast-Betriebssysteme. Auf einem Windows-2003-Server können auch nur Windows-2003-Gäste verweilen, weder andere Windows-Betriebssysteme noch Linux oder OS/2 lassen sich einrichten. Umgekehrt unterstützt die Linux-Version von Virtuozzo im Gast zwar verschiedene Linux-Distributionen, jedoch keine Windows-Systeme.

Dadurch wird der Systemverwalter zur Homogenität seiner virtuellen Landschaft gezwungen, was jedoch gerade im Hosting-Umfeld kein Problem ist. Selbstverständlich kann man Windows- und Linux-Wirtssysteme in der Gesamtumgebung mischen, dies erfordert aber den Aufbau mehrerer eigenständiger Server-Farmen.

Innerhalb der virtuellen Maschine ändert sich für den Administrator wenig. Sobald er sie erstellt hat, ist ein direkter Zugriff über das Netzwerk und per Terminal-Sitzung möglich. Die Gäste verhalten sich autonom zum Wirts-Betriebssystem, wodurch virtuelle Maschinen individuell gestaltet werden können. Jeder VPS hat auf dem Wirtssystem ein eigenes Verzeichnis, in dem er alle veränderten Daten ablegt.

Zentrale Rolle der Templates

Die für das Gast-Betriebssystem erforderliche Datenmenge ist sehr klein, weil pro VPS nur die vom Wirts-Betriebssystem-Template abweichenden Dateien erstellt werden. Der Systemverantwortliche muss das Betriebssystem nicht herkömmlich im VPS installieren, da dies über mitgelieferte Betriebssystem-Vorlagen geschieht. Weitere Vorlagen können selbst entwickelt oder bei SWsoft beziehungsweise anderen Herstellern zugekauft werden.

Die Installation unter Microsofts Windows 2003 Server SP1 läuft leicht ab, wobei der Administrator Voreinstellungen nutzen oder eigene Vorgaben machen kann. Neben den Angaben über Ablageverzeichnisse und zu installierende Komponenten kann er sämtliche Dienste und Templates (Betriebssystem- und Applikationsvorlagen) konfigurieren. Danach fragt Virtuozzo nach einer Verbindung zum Internet, um Aktualisierungen und Patches nachzuinstallieren. Wie unter VMware bekannt, wird automatisch eine virtuelle Netzwerkkarte (Bridge) im Wirtssystem angelegt und an die entsprechenden physikalischen Netzwerkadapter angebunden. Weitere virtuelle Netzwerke lassen sich derzeit nicht anlegen. Dies soll sich in der kommenden vierten Version ändern.

Vorsicht bei Updates!

Bei Linux wird wie in der Windows-Umgebung ein fertig installiertes Wirtssystem vorausgesetzt. Dieses muss zwingend in der Liste der unterstützten Linux-Derivate und ihrer Versionen zu finden sein, weil sonst keine Virtuozzo-Installation möglich ist. Bei Updates des Wirts-Betriebssystems ist da- her auch peinlichst auf die Verträglichkeit mit Virtuozzo zu achten.

Nach der Installation existieren drei grafische Tools zur Verwaltung des Systems: "Virtuozzo Control Center", "Power Panel" und die "Management Console". Diese Verwaltungssysteme gibt es sowohl unter Windows als auch unter der Linux-Version.

Mit dem Virtuozzo Control Center (gegen Aufpreis erhältlich) lässt sich der komplette Virtuozzo-Server samt virtuellen Maschinen über einen Browser verwalten. Hingegen ist Power Panel eine Web-Administrationsoberfläche ausschließlich für virtuelle Maschinen, mit der sich die VPS bedienen und anpassen lassen. Aus ihr ist die Fernsteuerung, der Direktzugriff auf laufende Dienste, das Einsehen der Protokolldateien und natürlich das Starten oder Stoppen der virtuellen Maschine möglich.

Management Console

Die Virtuozzo Management Console (VZMC) ist ein kommerzielles Add-on von SWsoft, welches mehrere Virtuozzo-Server inklusive deren VPS zentral verwaltet. Mit dieser Verwaltungsoberfläche lassen sich die einzelnen Server administrieren und anpassen. Das Überprüfen beziehungsweise Einsehen der Protokolldateien und die Überwachung der Leistungsdaten sind ebenso möglich wie das Auslösen von Alarmmeldungen, wenn bestimmte Schwellwerte erreicht sind. Um virtuelle Server einzurichten, greift der Administrator auf die mitgelieferten Betriebssystem-Templates zurück oder kann dies mittels Kopieren (cloning) vorhandener virtueller Maschinen tun. Generell erleichtert es die Management Console, auf den einzelnen Servern virtuelle Maschinen zu erstellen, zu löschen oder diese anzupassen.

Es ist problemlos möglich, eine große Anzahl neuer virtueller Maschinen anzulegen und diesen vollautomatisch Netzwerkeinstellungen mitzugeben, beispielweise eindeutige IP-Adresse und Systemname. Die Flexibilität, schnelle Massenprovisionierung oder auch Löschungen vorzunehmen, ist vor allem im Provider- und Hosting-Umfeld sehr nützlich.

Kein Shared Storage nötig

Die Management Console ermöglicht darüber hinaus Ressourcenkontrolle, Migration Physical-to-Virtual (P2V), Backup/Restore der VPS und die von VMware ("VMotion") bekannte Online-Migration der virtuellen Maschinen zwischen zwei Wirtssystemen. Seit Version 3 unter Linux ist die "zero downtime migration", also die Online-Migration ohne Ausfall des Gastes, möglich. Bei der Windows-Variante soll dies ab der noch für dieses Jahr erwarteten Version 4 der Fall sein. Ein großer Vorteil gegenüber der Migration bei VMware oder Xen besteht darin, dass kein Shared Storage benötigt wird, sondern lediglich eine Netzwerkverbindung, auf die beide betroffene Wirtssysteme Zugriff haben.

Einbindung der Vorlagen

Weil ein Schwerpunkt von Virtuozzo auf der Nutzung von Templates zur Erstellung (Betriebssystem) oder Installation von Zusatzsoftware (Applikationen) liegt, bringt das Produkt eine eigene Möglichkeit zum Aufbau von Applikations-Templates mit. Jeder Administrator, der sich schon mit Softwareverteilung beschäftigt hat, müsste den Begriff Snapshot-Verfahren kennen. Damit wird ein Vorher-Nachher-Vergleich der Dateien und gegebenenfalls der Registry-Einträge auf einem möglichst ungenutzten System vollzogen.

Das heißt, das System wird vor der Installation mittels Programm analysiert, danach erfolgt die eigentliche Softwareinstallation, um daraufhin abermals eine Analyse zu betreiben. Alle Änderungen zwischen beiden Analysen werden der Programminstallation zugeordnet. Daher ist es wichtig, während der Programminstallation möglichst wenig am System zu verändern. Virtuozzo nutzt hierbei geschickt die eigene Technik, erstellt zur Paketierung eine neue virtuelle Maschine und generiert ein Änderungsprotokoll, anhand dessen das eigentliche Applikationspaket erzeugt wird. Dieses muss der Administrator nach Fertigstellung registrieren. Es kann direkt in virtuelle Maschinen installiert werden.

Templates von der Stange

Mittels der Management Console können neue oder schon vorher verfügbare Betriebssystem- und Applikationsvorlagen (Templates) verwaltet und auf die Gäste verteilt werden. Verschiedene Systemhäuser und Hersteller bieten vorgefertigte Applikations-Templates an, welche mit Virtuozzo nutzbar sind. SWsoft selbst offeriert zur Linux-Version verschiedene Betriebssystem-Templates kostenfrei, aber teilweise auch kostenpflichtig. Die Installation der Templates lässt sich ebenso wie viele andere Aktionen, beispielsweise eine Sicherung, komplett über die Management Console automatisieren.

Im Windows-Umfeld bietet Virtuozzo den großen Vorteil, dass nur eine Windows-Lizenz pro physikalischem Server notwendig ist. Auf einem System können Anwender beliebig viele virtuelle Maschinen einrichten. Da die Wirtssysteme meist über mehrere Prozessoren und einen großen Hauptspeicher verfügen, bedarf es aber gegebenenfalls einer Lizenz für Windows 2003 Enterprise Server, welche den Preis der Standardversion um ein Vielfaches übersteigt.

Auch in Bezug auf Windows-Betriebssystem-Patches gibt es eine Besonderheit: Sobald das Wirtssystem gepatcht ist, sind automatisch alle darauf laufenden VPS-Systeme ebenfalls aktualisiert. Umgekehrt ist es jedoch möglich, einzelne VPS Systeme zu patchen, ohne das Wirts-Betriebssystem anfassen zu müssen.

Auf einen Rutsch patchen?

Es lässt sich darüber streiten, ob das Patchen des Gesamtsystems und die damit einhergehende Aktualisierung aller Gäste ein Vor- oder ein Nachteil ist. Einerseits reduziert sich der Zeitaufwand für die Aktualisierung aller Gastsysteme. Andererseits kann es durchaus passieren, dass eine Applikation, die auf zehn von 50 Gästen läuft, nicht mit dem Windows-Patch kompatibel ist. Außerdem erfordern viele Windows-Aktualisierungen einen Neustart, durch den alle Gäste vorübergehend ausfallen.

Abgesehen von wenigen Ausnahmen wie Patch-Management und externe Geräte am Wirt verhält sich die virtuelle Maschine unter Virtuozzo wie ein eigenständiger Rechner. Weil sie wesentlich weniger Ressourcen benötigt (auch im Vergleich zu den Produkten der Hardwarevirtualisierer VMware, Xen und Microsoft), ist es möglich, auf einem relativ knapp ausgestatteten Wirtssystem sehr viele virtuelle Maschinen zu betreiben. In einem System mit Zwei-Wege- Xeon-Prozessoren und 1 bis 2 GB RAM können durchaus über hundert virtuelle Server laufen. Natürlich variiert dieser Wert je nach Ressourcenbedarf der Anwendungen innerhalb der virtuellen Gäste.

Fazit

Virtuozzo hat derzeit einen klaren Fokus auf Unternehmen, die Applikationen oder komplette Server für viele Nutzer bereitstellen. Das ist beispielsweise bei Internet Service Providern oder Application Service Providern der Fall. Dies ist vor allem in der Notwendigkeit homogener Server-Betriebssysteme begründet, weil keine Mischung von Linux- und Windows-Systemen möglich ist. Gerade der von Virtuozzo ausgehende Zwang, auf Windows 2003 zu setzen, wird für viele Unternehmen schlichtweg nicht akzeptabel sein, weil Windows-2000- und -NT-Anwendungen in vielen IT-Umgebungen weit verbreitet sind. Unternehmen, denen diese Einschränkungen keine Probleme bereiten, sollten Virtuozzo in die Virtualisierungsauswahl einbeziehen.

Seit Version 3 für Linux ist außerdem eine Live-Migration ähnlich wie bei VMwares "VMotion" ohne Ausfall möglich. Die Ver- sion 4 für Windows soll dies ebenfalls können. Dies wird die Verfügbarkeit weiter erhöhen und Virtuozzo für Produktivumgebungen noch interessanter machen. (ls)