Windows 95 versus OS/2 Warp Connect

Vergleich der 32-Bit Systeme erbringt keinen klaren Sieger

23.02.1996

Die Debatten um das richtige Desktop-Betriebssystem haben angesichts des Internet-Booms und der damit verbundenen Vision eines neuen, netzwerkzentrierten Computings deutlich an Spannung verloren. Auch wenn der leichtgewichtige, pflegeleichte Internet- Client fuer die Unternehmens-DV als PC-Ersatz derzeit noch nicht auf der Tagesordnung steht, so stellt diese Perspektive zumindest die fast als selbstverstaendlich geltenden Update- und Supportbelastungen in Frage. Freilich will kaum jemand mit Windows 3.x auf bessere Desktop-Computer warten.

Fuer die meisten Anwender geht es vorerst darum, die Nachfolge fuer das 16-Bit-Windows zu organisieren: Das neue Betriebssystem soll die Maengel des alten ueberwinden und gleichzeitig mit allen bisherigen Anwendungen vertraeglich sein. Bis zum Erscheinen von Windows 95 konnte IBM auf den technischen Vorsprung von OS/2 verweisen, nun hat das Microsoft-System in vielen Bereichen gleichgezogen oder gar die Nase vorn.

Die Systeme verfuegen ueber gute Hardware-Erkennung

Beide Hersteller investierten einigen Aufwand in die Installationsroutinen, die vorhandene Hardwarekomponenten automatisch erkennen sollten. Windows 95 praesentiert sich dabei fuer den Anwender informativer und beweist beim Entdecken von installierten Bauteilen die bessere Spuernase. Die Hardware- Erkennung von OS/2 Warp ist zuverlaessig, solange gaengige Hardware zum Einsatz kommt. Andererseits scheitert das IBM-System aber bei Compaq-Rechnern am Qvision-Grafikadapter und dem integrierten SCSI-Baustein. Treiber fuer beide Komponenten muessen erst ueber die IBM-Mailbox oder das Internet heruntergeladen werden. Flexibler erweist sich OS/2 bei der Auswahl der Installationspartition: Waehrend Windows 95 fuer die DOS-Systemdateien unbedingt das Laufwerk C: beansprucht, gibt sich Warp auch mit logischen Laufwerken zufrieden.

Auch bei der Ausfuehrungsgeschwindigkeit liegen die beiden Kontrahenten ziemlich gleichauf. Ein- und Ausgabeoperationen sind zwar meist unter Windows 95 schneller, wenn nur eine Anwendung aktiv ist, OS/2 brilliert dafuer aber beim Multitasking. Fuer akzeptable Performance setzen beide Systeme aehnliche Hardware voraus: Im Netzwerkbetrieb sind weniger als 12 MB Arbeitsspeicher nicht zu empfehlen, bei der CPU ist ein schneller 486er das untere Limit. Beim Start der ersten Windows-Anwendungen muss OS/2 den gesamten Windows-Code laden und reagiert dabei mit einer entsprechenden Verzoegerung.

Das IBM-System verfuegt ueber zahlreiche Optionen zur Optimierung von DOS- und Windows-Sitzungen. Allerdings stellt sich die Frage, ob sich Anwender den Lernaufwand fuer solche Tuefteleien antun wollen.

Big Blue stellte schon bei der Version 2.0 von OS/2 auf eine objektorientierte Bedienerfuehrung um. Microsoft hatte seitdem drei Jahre Zeit, diese Funktionen fuer Windows zu uebernehmen. In die grafische Oberflaeche von Windows 95 ging viel Designerarbeit ein, sie wirkt auf den ersten Blick schicker als jene von OS/2.

Die Task-Leiste des Microsoft-Systems erleichtert Neulingen den Umgang mit mehreren gleichzeitig aktiven Programmen, die Klickstartleiste von OS/2 dient hingegen dem schnellen Programmstart. Das Konzept der OS/2-Oberflaeche, der sogenannten Workplace-Shell, erfordert von Neulingen groesseren Lernaufwand. Sie erweist sich aber gerade fuer sogenannte Power-User als weit maechtiger und flexibler als das Windows-Gegenstueck, der sogenannte Explorer. Die Windows-Bedienerfuehrung leidet zudem unter zahlreichen Inkonsistenzen und schleppt den Windows-3- Anachronismus mit, Daten ueber die Dateiendungen mit Programmen zu verknuepfen.

Fuer die Anbindung an Netzwerke bringen Windows 95 und OS/2 Warp Connect die Client-Software fuer mehrere Systeme und die gaengisten Protokolle mit. Beide lassen die gleichzeitige Bindung mehrerer Protokolle an einen Netzwerkadapter zu. Die Ersteinrichtung der Netzsoftware erfolgt bei beiden Betriebssystemen relativ einfach ueber komfortable Installationsprogramme. Nachtraegliche Anpassungen sind unter Windows 95 wesentlich einfacher zu erledigen. Ein besonderer Pferdefuss von Warp ist der Novell-Requester, der nicht auf die Client-Software fuer SMB-Server (LAN Server, Windows NT) und das OS/2-TCP/IP abgestimmt ist. Die nachtraegliche Verwendung des Installationsprogramms fuer die Novell-Software kann die Netzwerkanbindung eines OS/2-Rechners ordentlich in Mitleidenschaft ziehen.

Das IBM-System hat dafuer bessere TCP/IP-Unterstuetzung. Waehrend Windows 95 nur ueber das Protokoll selbst und einen grafischen Telnet-Client verfuegt, beinhaltet Warp von der Grundausstattung fuer das WWW bis hin zum FTP- und Telnet-Daemonen fast alles, was man sich an TCP/ IP-Utilities wuenscht.

Angesicht des hohen Supportaufwands fuer Windows-3-Rechner richtet sich an die 32-Bit-Nachfolgesysteme die Forderung, wartungsfreundlicher und weniger stoeranfaellig zu sein. Beide Systeme bieten Funktionen zur Ferninstallation und Fernwartung. Letztere setzt allerdings voraus, dass sich das entfernte System in einem funktionstuechtigen Zustand befindet und deshalb ueber das Netz erreichbar ist. Andernfalls muss sich der Supportmitarbeiter in Bewegung setzen.

Klare Vorteile hat Windows 95 beim Schutz der Arbeitsplatz- Konfiguration vor Benutzereingriffen: Benutzerprofile lassen sich auf einem Netware- oder Windows-NT-Server ablegen, von wo sie bei jedem Anmelden heruntergeladen werden. So erhaelt jeder Anwender unabhaengig vom Arbeitsplatz jedesmal die gleiche Umgebung eingerichtet. IBM sieht eine derartige Loesung fuer OS/2 nicht vor. Systemverwalter muessen bei Bedarf auf Utilities von Drittanbietern zurueckgreifen, die das sogenannte "Security Enabling System" (SES) von Warp in Anspruch nehmen koennen.