Chancenlos?

Verdi erneuert Kampfansage im Tarifkonflikt mit Amazon.de

12.05.2014
Vor einem Jahr begannen die Ganztagesstreiks bei Amazon in Deutschland. Der Versandhändler zeigt sich bis heute unbeeindruckt. Die Gewerkschaft will beharrlich weitermachen. Handelsexperten sehen für Verdi geringe bis gar keine Chancen auf Erfolg im Tarifstreit.

In diesem Jahr ist es ruhig geworden um die Streiks beim Online-Versandhändler Amazon. Doch die Gewerkschaft Verdi will im Tarifstreit mit dem Branchenriesen nicht klein beigeben. Knapp ein Jahr nach den ersten, ganztägigen Streiks in Bad Hersfeld und Leipzig am 14. Mai 2013 erneuert Verdi seine Kampfansage. "Wir haben uns von Anfang an darauf eingestellt, dass Amazon ein harter Brocken ist und der Konflikt einen langen Atem braucht. Das ist keine Sache von Wochen oder Monaten. Aber wir werden stärker - und wir lassen nicht nach", sagte der Sprecher des Verdi-Bundesvorstands, Christoph Schmitz, der Nachrichtenagentur dpa.

Schmitz betonte: "Sicher ist: Es wird auch in Zukunft Streiks und öffentliche Aktionen geben." Und zwar so lange, wie Amazon Gespräche verweigere. Verdi will für die Mitarbeiter eine Bezahlung nach den besseren Konditionen des Einzelhandelstarifs. Amazon sieht sich als Logistiker, der mit seinen Löhnen am oberen Ende des Branchenüblichen liege. Das Unternehmen lehnt deshalb Tarifverhandlungen ab.

Amazon begründet: Mitarbeiter verdienen bei Amazon im ersten Jahr mindestens 9,55 Euro brutto pro Stunde und ab dem zweiten Jahr über zehn Euro. Die Löhne seien fair, die Arbeitsbedingungen gut.

Viel Aufmerksamkeit erzeugten die Streikenden mit ihrem Ausstand im so wichtigen Weihnachtsgeschäft. Amazon versicherte aber, dass die Streiks das Geschäft nicht sonderlich behindert hätten. Nach 23 Streiktagen im Jahr 2013 wurde in diesem Jahr nur an zwei Tagen die Arbeit niedergelegt. Um den Druck zu erhöhen, will Verdi mehr Mitstreiter unter den mehr als 9000 Beschäftigten in Deutschland gewinnen: "Ziel ist, Zug um Zug weitere Amazon-Standorte streikfähig zu machen." Und die Streikkasse von Verdi sei "so gut gefüllt, dass Amazon nicht damit rechnen darf, dass uns die Puste ausgehen könnte".

Handelsexperten sehen geringe bis gar keine Chancen für Verdi in dem Kräftemessen um Geld und Arbeitnehmerrechte. Handelsfachmann Gerrit Heinemann, Professor an der Hochschule Niederrhein, sagt: "Verdi hat keine Chance, sich durchzusetzen. Verdi wirkt mittlerweile wie ein zahnloser Tiger. Das war's wohl mit der Offensive." Die Gewerkschaft habe sich den falschen Gegner ausgesucht, um ein Exempel zu statuieren. "Amazon stoppt niemand. Das Unternehmen überrollt den Markt wie eine Feuerwalze."

Mit den Streiks habe Verdi Amazon nicht schaden können. "Trotz der Streiks ist Amazon in Deutschland stärker gewachsen als im Vorjahr. 2013 hat Amazon hier ein Plus von 21 Prozent vermeldet", sagte Heinemann, der weiteres Bedrohungspotenzial für die Belegschaft sieht: "Amazon hat angekündigt, Anfänge einer Roboter-Technik in den Versandlagern in drei Jahren in Deutschland einsatzbereit zu machen zu können und testet dieses bereits in den USA."

Onlinehandelsexperte Patrick Palombo glaubt: "Die Chance für Verdi ist sehr gering, noch etwas zu erreichen." Die Gewerkschaft solle sich besser einen neuen Gegner suchen. Palombo ist Unternehmensberater und steht mehreren E-Commerce-Firmen in strategischen Fragen zur Seite. Palombo rechnet damit, dass Verdi noch punktuell in die Offensive gehen werde, um Nadelstiche zu setzen.

Handelsfachmann Thomas Roeb, Professor an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, erklärt: "Der Gewerkschaft fehlt der Hebel, um eine Wirkung zu erzielen. Die Chancen von Verdi sind zwar deutlich gesunken. Die Sache ist aber noch nicht erledigt. Sonst macht sich Verdi auch unglaubwürdig."

Der hessische Verdi-Verhandlungsführer Bernhard Schiederig verriet, die Gewerkschaft arbeite daran, weitere der insgesamt acht Versandlager-Standorte bundesweit einzubinden. Auch Beschäftigte des Lagers im bayerischen Graben hatten sich bereits am Streik beteiligt.

Nur mit dem größten deutschen Amazon-Lagerstandort im hessischen Bad Hersfeld und Leipzig kommt Verdi offensichtlich nicht weiter. Deswegen fordert auch der Leipziger Verdi-Bereichsleiter Jörg Lauenroth-Mago: "Wir müssen die Streiks auf weitere Standorte ausdehnen." Man habe schließlich gesehen, dass auch die einwöchigen Streiks vor Weihnachten Amazon nicht zum Einlenken gebracht haben. Die Branchen-Riese vermeldete danach ein Rekord-Weihnachtsgeschäft. Unterdessen entwickelte sich in der Belegschaft auch eine Gegenbewegung "pro Amazon", die sich für den Arbeitgeber einsetzt. (dpa/tc)