Trotz des laehmenden Effekts auf den Markt Anwender sehen in Vapourware ein Instrument zur IS-Planung

19.05.1995

FRAMINGHAM (IDG) - Die Anbieterpraxis, Software lange vor ihrem Verfuegbarkeitstermin anzukuendigen ("Vapourware"), wird von Marktbeobachtern haeufig kritisiert. Die Kunden sehen das anders. Wie die CW-Schwerpublikation "Computerworld" bei einer Umfrage unter IS-Profis herausfand, stehen vier von fuenf Anwendern fruehzeitigen Ankuendigungen positiv gegenueber.

Der US-Bundesrichter Stanley Sporkin sorgte im vergangenen Febraur fuer Diskussionsstoff. Er weigerte sich, eine Vereinbarung abzusegnen, die das Software-Unternehmen Microsoft und das Justizministerium der Vereinigten Staaten im Jahr zuvor unterzeichnet hatten. Seine Begruendung: Dieses "Consent Decree" lasse die marktbeherrschende Rolle des Unternehmens ausser acht. Unter anderem gehe es nicht auf die von Mitbewerbern erhobene Beschuldigung ein, der Windows-Anbieter nutze seine allzu fruehzeitigen Ankuendigungen, um den Markt einzufrieren, sprich: den Absatz von Konkurrenzprodukten zu stoppen. Vapourware uebe einen negativen Effekt auf den Softwaremarkt aus.

Dieser Ansicht stimmten immerhin 68 Prozent der von "Computerworld" befragten Anwender zu. 59 Prozent davon vertreten zudem die Ansicht, dass die Haeufigkeit, mit der die Software- Unternehmen von dieser Praxis Gebrauch machen, in den vergangenen Jahren zugenommen habe. Und nahezu drei Viertel aller Umfrageteilnehmer identifizierten Microsoft als den Anbieter, der sich in dieser Beziehung am meisten hervortue. In der Vergangenheit war es oft die IBM, die sich ein solches Geschaeftsgebaren vorwerfen lasse musste. Diesmal wurde der blaue Riese jedoch nur von 29 Prozent der Befragten als ein aggressiver Vorankuendiger bezeichnet.

Wie die "Computerworld" herausfand, lassen sich die Anwender bei ihren persoenlichen Einschaetzungen jedoch kaum von marktpolitischen Erwaegungen leiten. Erstaunlicherweise erklaerten vier Fuenftel der Umfrageteilnehmer, dass sie die Vorabinformationen ueber die Produkt-plaene der Anbieter fuer nuetzlich halten. Die fruehzeitigen Ankuendi-gungen wuerden die eigene Konzeption erleichtern. Dazu Eric Singleton, IS-Director bei der Allied Signal Technical Services Corp.in Columbia, Maryland: "Wir verlassen uns zwar nicht hundertprozentig auf Vorankuendigungen, aber sie sind eine der Komponenten, die wir uns fuer Planungszwecke anschauen." Sieben von zehn Befragten nannten uebrigens Microsoft als das Unternehmen, dessen Vorankuendigungen sie besonders dringend benoetigten.

Die Auslieferung der zu erwartenden Softwareprodukte sollte nach Meinung der Anwender jedoch nicht allzu weit in der Zukunft liegen. 91 Prozent der Auskunftgeber ziehen es eigenen Angaben zufolge vor, ueber Features und Funktionen informiert zu werden, die spaetestens ein Jahr nach der Ankuendigung tatsaechlich zu haben sind. Weit mehr als die Haelfte davon sagten sogar, sie legten wenig Wert darauf, ueber die Eigenschaften einer neuen Software laenger als sechs Monate vor deren Freigabe Bescheid zu wissen - auch wenn der eine oder andere es "nett" faende, frueher in Kenntnis gesetzt zu werden. Tatsaechlich gaben nur sieben Prozent an, sie wuerden laenger als ein Jahr im voraus planen.

Einflussnahme der Regierung unerwuenscht

Ueber ein weiteres Ergebnis der "Computerworld"-Umfrage duerfte Richter Sporkin wohl wenig erfreut sein. Volle 77 Prozent der Befragten sprachen sich dagegen aus, dass die US-Regierung die Ankuendigungspraxis der Anbieter reglementiere. "Ich halte das fuer gefaehrlich; schliesslich hat die Bundesregierung mit ihrem Versuch der Regulierung bereits den Information-Superhighway ganz grossartig vermasselt", spottet Duncan Davidson, Vice-President des Beratungsunternehmens Gemini Management Consulting Inc. mit Sitz in San Franzisko. "Meiner Ansicht nach kuemmert sich die Regierung ohnehin schon um viel zu vieles", ergaenzt Rick Joyce, IS-Direktor bei der Professional Golfers' Association of America in Palm Beach Gardens, Florida.

Einige Industriebeobachter haben vorgeschlagen, an Microsoft - wegen seiner Desktop-Dominanz - in puncto Vapourware andere Massstaeben anzulegen als an andere Anbieer. Die Anwender koennen dieser Argumentation jedoch nichts abgewinnen. 73 Prozent der von "Computerworld" interviewten IS-Profis sprachen sich dagegen aus.