linux attackiert microsoft

Trendy und gut

01.07.1999
Von der Amateurklasse in die erste Liga der Betriebssysteme für professionelleAnwender - innerhalb weniger Monate hat Linux Marktbedeutung erlangt.

von Arno Laxy*

in der Beliebtheitsskala aller UNIX-Betriebssysteme rangiert Linux bereits an vierter Stelle und verweist mit einem Wachstum nach Stückzahlen von 212 Prozent im letzten Jahr die Konkurrenz auf die Plätze. Linux ist in und Microsoft wird unruhig.

"Die großen Jungs werden langsam nervös", freute sich der Vater von Linux, Linus Thorvalds, auf der ersten Linux World in San Jose über den Erfolg der Software. Auf der letzten Comdex in Las Vegas/USA war dem Shooting-Star der IT-Szene sogar erstmals ein ganzer Pavillon gewidmet, der auch prompt zum Publikumsmagneten wurde.

Von dort über die Linux-Allee in Hannover schwappte die Freeware-Begeisterung quasi ohne Unterbrechung auf die diesjährige CeBIT. Die Stände der Firmen, die mit der Open-Source-Software zu tun haben, reihten sich in einer Halle dicht an dicht und waren ebenso umlagert. Linux erwies sich als der Renner schlechthin. Eine der am häufigsten gestellten Fragen an den Ständen der DV-Anbieter lautete denn auch: "Wann bieten Sie eine Linux-Version Ihrer XY-Lösung an?" Immer mehr Unternehmen schwenken ein auf Linux-Kurs.

Wichtiges Signalkam von SAP

Täglich wächst die Zahl der Software- und Hardware-Hersteller, die mit entsprechenden Ankündigungen oder bereits einsatzfertigen Versionen ihrer Applikationen oder Lösungspakete aufwarten.

Das wichtigste Signal für die Unternehmensanwendungen setzten sicherlich die deutschen Vorzeigesoftwerker aus Walldorf: SAP kündigte nicht nur die Portierung von R/3 auf Linux an, sondern zeigte auch gleich eine lauffähige Version. Viele werten dieseHinwendung zum Open-Source-Betriebssystem als dessen Ritterschlag und vergleichen sie mit einer ähnlichen Situation vor wenigen Jahren, als SAP die Unterstützung von Windows NT 4.0 bekanntgab. Für Microsofts von IT-Managern lange belächeltes Betriebssystem war dies die Eintrittskarte in die Welt der Unternehmens-DV.

SAP begründete den Schritt hin zu Linux mit der enormen Nachfrage der Anwender. Die übrigen Anbieter aus dem Umfeld betrieblicher Software (ERP - Enterprise Resource Planning) haben eine gespaltene Meinung. Während Firmen wie J.D. Edwards und Peoplesoft noch zögern oder gänzlich die Portierung ihrer Anwendungen ablehnen, unterstützen die Software AG und Oracle mit ihren ERP-Lösungen das freie Betriebssystem bereits oder haben Versionen angekündigt.

Vor einigen Monaten hat sich noch ein anderer Riese im Bereich Unternehmenssoftware, Computer Associates (CA), zum Open-OS bekannt. Das Unternehmen wird seine System-Management-Software Unicenter für Linux ausliefern. CA’ s direkte Konkurrenz, Tivoli Systems, eine IBM-Tochter, hat die Freeware bereits in den eigenen Labors getestet und scheint ebenfalls kurz vor einer entsprechenden Bekanntmachung zu stehen.

Datenbanken mit OpenSource-Software

Die großen Anbieter von Datenbanken stehen an der Spitze der Unterstützer von Linux. Ausnahme: Microsoft mit dem SQL-Server. Oracle, IBM, Informix und Sybase bieten Linux-Versionen ihrer führenden Datenbanksoftware an. Office-Software für Linux, also die klassischen Frontend-Applikationen, liefern die Hamburger Star Division mit Star Office ebenso wie Corel mit der Textverarbeitung Wordperfect und auch Applix mit der Bürosoftware-Suite Applixware.

Corel geht sogar noch einen Schritt weiter und offeriert gleich vorkonfigurierte Linux-Rechner. Diese "Netwinder"-Computer umfassen nicht nur das heißbegehrte Betriebssystem, sondern auch den Netscape Communicator 4.5, WordPerfect 8 und weitere Software, unter anderem von Sun Microsystems. Der kanadische Anbieter will im Herbst sogar eine eigene Linux-Variante anbieten und diese mit der Büro-Suite Perfect Office bündeln.

Die Kombination von Hard- und Software mit dem frei erhältlichen Betriebssystem ist eine weitere Variante in der kommerziellen Nutzung des Linux-Booms und verschafft der Open-Source-Bewegung zusätzlichen Schub.

Sun Microsystems wendet sich an Unix-Einsteiger und unterstützt Anwender bei der Portierung des Systems auf die eigenen Sparc-Rechner, die eigentlich mit dem proprietären und kommerziellen Unix-Derivat OS Solaris arbeiten. Diese Politik richtet sich, wen wundert es, gegen Microsoft: Die Sun-Manager verkaufen ihre preisgünstigen "Darwin"-Rechner mit dem lizenzkostenfreien Betriebssystem, was die Konkurrenzfähigkeit gegenüber Windows-Maschinen erhöht.

Auch der Direktanbieter Dell, eigentlich spezialisiert auf PCs und PC-Server und ehedem enger Microsoft-Partner, setzt auf Open Source. Mit einem Linux-Einstiegs-Server plant Dell, "den Verkauf im boomenden Markt für Einstiegs-Server anzukurbeln", ist doch "der Freeware-Status von Linux ein schlagkräftiges Argument im Wettbewerb mit Betriebssystemen, für die Lizenzgebühren zu zahlen sind, wie beispielsweise Windows NT", wie Geoff Healey, Dells Abteilungsleiter Server für den asiatisch-pazifischen Raum, bestätigt.

Auch IT-Konzerne wie IBM, Hewlett-Packard (HP), Siemens und der PC-Weltmarktführer Compaq sind auf die Freeware-Welle aufgesprungen. Die PC-Company aus Houston präsentierte auf der CeBIT einige Linux-Rechner auf Basis von Intel- und Alpha-Prozessoren. HP hat eine eigene Open-Source-Division ins Leben gerufen, deren alleinige Aufgabe es ist, verschiedenste HP-Produkte auf Linux zu portieren. Den Anfang werden HP Netserver machen. IBM hingegen wird das freie Unix-Derivat zunächst nur auf Intel-basierten und RS6000-Servern einsetzen, Siemens auf Servern und Desktops.

Am Firmensitz von Microsoft, dem Monopolisten im PC-Bereich, wächst indes die Nervosität. Interne Dokumente, die nach außen drangen, offenbarten erstmals Microsofts Furcht vor Open-Source-Software. Angesichts des Monopolprozesses gegen Microsoft vermuteten einige Beobachter damals noch, sie seien bewußt zur Entlastung lanciert worden. Selbst wenn dies stimmt - heute taktiert niemand mehr beim Noch-Monopolisten in Redmond. Auch Aussagen, denen zufolge Linux lächerlich sei und keinerlei Bedrohung für Microsoft darstelle, zeugen von keinem souveränen Umgang mit der Konkurrenz.

Diese wächst täglich. Zunächst in den Köpfen: Die Überzeugung, daß Microsofts Monopol unangreifbar ist und die Marktstellung des Unternehmens ständig wächst, wankt. Immer mehr Menschen trauen anderen Betriebssystemen, insbesondere Linux, einen Erfolg zu. Sie sehen in der Freeware einen Hebel gegen die Allgegenwart von Microsoft - gegen den scheinbar omnipotenten Marktführer, der zuletzt den Web-Browser-Markt von hinten aufrollte und Netscape in die Arme von AOL trieb. In einer aktuellen Umfrage von Trend Research geben fast 60 Prozent der befragten Unternehmen als Grund für den Einsatz von Linux die Unabhängigkeit gegenüber Microsoft an.

Ganz ähnliche Ergebnisse zeigt eine Studie der Giga Group unter Topmanagern. Demzufolge wären 58 Prozent willens, umzusteigen, wenn entsprechende Alternativen existierten. Die Suche nach Alternativen zu Programmen des Monopolisten ist demnach für zahlreiche Manager ein Topthema. In den Führungszirkeln der Wirtschaft wächst die Abneigung gegen die Bevormundung durch Microsoft - die Stimmung schlägt um.

Lange Zeit schien Microsofts Aufstieg unaufhaltsam. Zunächst eroberte Windows Arbeitsplatz- und Heimrechner, verdrängte Alternativen von Atari, Apple und IBM fast vollständig. Danach folgte der Einstieg in die Unternehmens-DV mit Windows NT - auch hier schien die Marketing-Maschine jegliche Konkurrenz plattzumachen. Viele Hardware-Anbieter setzten auf NT, und der Niedergang alternativer Betriebssysteme schien auch hier nur eine Frage der Zeit. Novell mußte vor zwei Jahren mit ansehen, wie Microsofts Windows NT die eigene Netware vom angestammten Platz als Marktführer bei Server-Betriebssystemen verdrängte.

Linux ist anpassungsfähig und leicht zu verwalten

Doch Microsoft stellt jetzt fest, daß auch für den vermeintlich Unangreifbaren die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Durch den Kartellprozeß in den USA bekanntgewordene Geschäftspraktiken, auch gegenüber engen Partnern der Wintel-Allianz, die - lange Zeit geduldete - Fehleranfälligkeit der Gates-Software und eine erstaunliche Arroganz im Umgang mit den Kunden schufen den Nährboden für den sich aktuell kumulierenden Unmut über den Monopolisten.

Angesichts dessen entwickelt sich Linux zu so etwas wie einer Befreiungstechnologie: Die Software ist keinem Diktat eines Monopolisten unterworfen, läuft stabil, ist anpassungsfähiger und leichter zu verwalten als Windows und obendrein quasi kostenlos. Gerade auch die Hersteller von PC-Servern sind bestrebt, ihre Abhängigkeit von Microsoft zu verringern. Rechner mit Linux-Systemen sind laut Gartner ein probates Mittel dafür.

Die Untersuchung der GigaGroup bestätigt dies: "Die Ergebnisse signalisieren ein erstaunlich hohes Maß an Unzufriedenheit und eine sehr hohe Wechselbereitschaft der Unternehmen", so der Analyst Rob Enderle.

Die Erhebungen der International Data Corp. (IDC) zeigen, daß der Trend zu Linux bereits 1998 einsetzte. Die Zahlen bescheinigen Linux im vergangenen Jahr 748 000 Auslieferungen, eine Verdreifachung gegenüber dem Vorjahr. Der Weltmarktanteil sei von 6,8 auf 17,2 Prozent gestiegen. Damit liegt Linux zwar anteilsmäßig noch hinter Microsoft (36 Prozent) und Novell (26,4 Prozent), führt aber unangefochten nach Zuwächsen mit einer Rate von 212 Prozent.

IDC berücksichtigt in der Markterhebung nur Linux-Systeme, die in der Distribution kommerziell vermarktet werden. Dies sind auf CD vorkonfigurierte Systeme, die Firmen wie die Suse GmbH, Fürth, Caldera aus Provo, Utah, und Red Hat Software aus Triangle Park, North Carolina, verkaufen. Die tatsächlichen Installations- zahlen sind unbekannt. Da Linux-Versionen, die aus dem Internet geladen und installiert werden, keine Berücksichtigung finden, dürfte die Gesamtzahl der Linux-Systeme 1998 noch um einiges höher gelegen haben.

Auch der IDC-Analyst Dan Kusnetzky hält in erster Linie die wachsende Anti-Microsoft-Stimmung für die Ursache des rasanten Wachstums von Linux. Wie andere Analysten glaubt auch er, daß Unternehmen die Open-Source-Software nur ergänzend und in keinen geschäftskritischen Anwendungen einsetzen werden. Für die Freeware spräche insbesondere ein exzellentes Preis-Leistungs-Verhältnis und die individuelle Konfigurierbarkeit.

Wesentlich ist sicherlich auch das Open-Source-Konzept selbst. Da der Quellcode im Internet frei verfügbar ist und Programmierer aus aller Welt ständig an der Verbesserung des Betriebssystems arbeiten, ist es sehr stabil und bietet eine gute Performance.

Alles bestens also? Nicht ganz, denn gerade die IT-Analysten äußern weiterhin Skepsis. Hauptkritikpunkt ist der zu geringe Support im Vergleich zu kommerziellen Angeboten. Gegen Linux-Implementierungen in großen Unternehmen spricht auch die zu geringe Zahl an Applikationen. Skepsis wird mitunter auch noch über das Engagement der großen Anbieter für Linux geäußert.

So glaubt der Münchner Meta- Group-Analyst Rüdiger Spieß, daß große Unternehmen nur taktisch auf Linux setzten. Sie hätten auf Anwenderdruck reagiert und ohne viel Aufwand ihre auf diversen Unix-Derivaten laufenden Programme auch auf Linux gebracht. Angesichts der auf der CeBIT von mehreren Herstellern detailliert beschriebenen Linux-Pläne, beispielsweise von SAP, dürfte dieser Einwand jedoch nach und nach an Schlagkraft verlieren.

Die Ungewißheit bei den Herstellern angesichts der noch nicht vorhersehbaren Marktentwicklung illustriert IBMs Schaukelpolitik beim Vertrieb der Datenbank DB2. Zunächst als freie Version für Linux geplant, überrollte der Erfolg mit über 20 000 via Internet abgerufenen Lizenzen die Strategen bei Big Blue. Möglicherweise liefert IBM jetzt eine kommerzielle Version inklusive Support.

Das Supportproblem ist Schnee von gestern

Service und Support sind für Spieß auch eine essentielle Voraussetzung dafür, daß zumindest die von ihm geschätzten zehn bis 15 Prozent der Unternehmenskunden in den nächsten drei Jahren Linux einsetzen. Realistisch sei dies nur mit umfangreichem Support, den ein großer Betriebssystemanbieter garantiere, sowie einem Applikationsangebot der Softwarehäuser.

Das Supportproblem dürfte indes bald Schnee von gestern sein. Erstens verbinden die großen IT-Unternehmen den Vertrieb ihrer für Linux lauffähigen Lösungen grundsätzlich mit umfassendem Support. Zweitens beteiligt sich eine "Sechserbande" renommierter IT-Firmen - IBM, Intel, Netscape und jetzt auch Compaq, Novell und Oracle - an Red Hat, dem größten Linux-Distributor. Erklärte Absicht ist, professionellen Support für Linux zu signalisieren. Drittens sind bekannte Linux-Anbieter verstärkt darum bemüht, Service und Support signifikant zu verbessern. Viertens hat beispielsweise Corel bekanntgegeben, daß Wang mit 1500 IT-Spezialisten den weltweiten Support und technischen Service für die NetWinder Linux-Computer übernehmen wird.

Zahl der Applikationennimmt täglich zu

Ein aktuelles Anwenderbeispiel zeigt, daß Open-Source-Software ihr Image als supportfreie Zone verliert. Vor kurzem entschied sich die australische Tochter des zur Fiat-Gruppe gehörenden Lastwagenproduzenten Iveco zur Migration der Unternehmens-IT auf Linux. Letztlich entscheidend war ein Supportvertrag. Dennoch betont die Gartner Group in einem Forschungsbericht weiterhin die Risiken beim Linux-Support. Zudem weist sie darauf hin, daß die Kosten schnell mit denen kommerzieller Unix-Systeme gleichziehen könnten. Die Kostenvorteile durch die günstigere Anschaffung würden schrumpfen. Angesichts der im Vergleich zu Windows NT höheren Ausfallsicherheit dürften aber auch hier die Kosten für Microsofts Software bei weitem höher liegen.

Die im Vergleich zu Windows NT noch geringe Zahl verfügbarer Linux-Applikationen nimmt täglich zu. Für alle Bereiche des professionellen Einsatzes existieren mittlerweile Applikationen, die unter Linux arbeiten, beispielsweise auch für den CAD-Anwender MicroStation von Bentley.

Der Trend zu Open Source hält auch in anderen Bereichen ungebrochen an: Apple will Bestandteile seines Mac OS X Server-Betriebsystems als Open Source veröffentlichen, ebenso Sun Teile von Solaris und Novell einzelne Elemente von Netware. Auf der zweiten Linux-Entwicklerkonferenz in San Francisco zeigte sich der Gründer und Präsident des Verlagshauses O’Reilly & Associates überzeugt, daß "in Zukunft komplexe Internet-Applikationen entwickelt werden, die frei verfügbar sind". Sie werden Online-Dienstleistungen ermöglichen, wie sie heute schon der Internet-Buchhändler Amazon.com bietet.

*Arno Laxy ist freier Journalist in München.