Geheimnis um Crusoe-Chip gelüftet

Transmeta-CPU soll Intel das Fürchten lehren

28.01.2000
von CW-Mitarbeiter Wolfgang Miedl MÜNCHEN (CW) - Transmeta hat das bestgehütete Geheimnis der Branche gelüftet. Mit dem neuartigen Prozessor "Crusoe" sagen die Kalifornier dem Marktführer Intel den Kampf an. Vor allem wegen des niedrigen Stomverbrauchs soll sich die CPU in Handheld-PCs und Mini-Notebooks schon bald fest etablieren.

"Die Prozessorindustrie hat ein Problem - wir haben die Lösung." Ganz unbescheiden stellte David Ditzel, CEO von Transmeta, letzte Woche bei der Präsentation der neuen Crusoe-Prozessoren die Mission seines Unternehmens dar. Seit seiner Gründung 1995 galt Transmeta als das bestgehütete Geheimnis des Silicon Valley. Das Stillschweigen war auch Teil einer PR-Strategie - die Presse heizte mit Mutmaßungen und Spekulationen die Neugier auf das unbekannte Unternehmen gehörig an.

Als der Vorhang sich endlich hob, wurden der Öffentlichkeit zwei neue Prozessortypen vorgestellt, die die IT-Landschaft verändern sollen: Der "Crusoe TM3120" ist für Web-Pads und Kleinrechner unter Linux vorgesehen, der "Crusoe TM5400" soll in Mini-Notebooks unter Windows gegen Intels Pentium III antreten. Hergestellt werden beide Chips von IBM.

Das herausragende Merkmal von Crusoe ist sein im Vergleich zum allgegenwärtigen Pentium enorm niedriger Stromverbrauch bei nahezu gleicher Leistung. Während der neue Pentium III selbst im Stromsparmodus acht Watt in Abwärme umwandelt, soll die Verlustleistung beim Crusoe lediglich ein bis drei Watt betragen. In der Praxis würden Notebooks damit mehr als doppelt so lang laufen wie mit einem Intel-Prozessor.

Möglich sind solche Verbesserungen durch ein neuartiges Prozessordesign. Wichtige Teile des Chips arbeiten intern mit Software. Die Entwickler konnten dadurch auf große Mengen von energiezehrenden Transistoren verzichten. "Code Morphing" nennt Transmeta diese Technologie. Dabei werden die Befehlssätze von existierenden Prozessordesigns - wie etwa dem des sehr verbreiteten Intel x86 - intern zuerst per Software übersetzt, bevor sie von der CPU abgearbeitet werden. In einem überdurchschnittlich großen Cache können die übersetzten und optimierten "Fremdbefehle" dann vorgehalten werden, bis sie von der schlanken VLIW-Engine (Very Large Instruction Word) des Crusoe abgearbeitet werden.

Möglicherweise überbewertet Transmeta aber die Bedeutung des Prozessors in Mobile-Computing-Geräten. Intel weist darauf hin, dass der Anteil der CPU am Gesamt-Stromverbrauch eines Notebooks lediglich 30 bis 35 Prozent betrage. Zumindest im Notebook-Segment kämen dann die Vorteile von Crusoe nicht sehr stark zur Geltung.

Neben dem Energiesparen bringt das Crusoe-Prinzip noch einen weiteren Vorteil: Der Prozessor kann nicht nur die x86-Umgebung für Windows simulieren, sondern auch die Befehlssätze von verschiedenen anderen Prozessoren übersetzen. Bisher galt: Das Betriebssystem hat sich einer Prozessorarchitektur anzupassen - beim Crusoe ist es genau umgekehrt. Vorstellbar sind so auch Mobilgeräte mit einem Java-Betriebssystem.

Neben den von Transmeta gepriesenen Vorteilen gibt es noch andere handfeste Gründe für eine solche Lösung. So besteht etwa bei neuen x86-Hardwaredesigns stets die Gefahr, Intel-Patente zu verletzen. Mit einer Software im Prozessor wird dies elegant umgangen.

Transmeta wäre nicht das erste Unternehmen, das mit neuen Konzepten versucht, gegen die marktbeherrrschende Verbindung aus Intel-kompatibler Hardware und Microsoft-dominierter Softwareumgebung anzurennen. Dass die x86-Architektur schon aus Kompatibilitätsgründen viele Altlasten mit sich schleppt, ist hinlänglich bekannt. Doch die meisten Revolten gegen das Wintel-Establishment sind gescheitert. Allein die breit installierte Windows-Basis zwingt die Hardwarehersteller dazu, weiterhin Kompatibilität ohne Einschränkungen zu garantieren.

Das weiß auch Ditzel, schließlich war er lange Jahre als Chipdesigner mit der Entwicklung der Risc-Technologie beschäftigt, zunächst in den AT&T Bell Labs, später bei Sun Microsystems. Aus den Fehlern der Vergangenheit habe er gelernt, so Ditzel bei der Eröffnungsrede, Transmeta habe nun die universelle Lösung parat: "Wir verwenden kein Silikon, sondern Software."

Die tatsächliche Leistungsfähigkeit müssen die Newcomer allerdings erst noch in der Praxis unter Beweis stellen. Einige Analysten reagierten wenig begeistert auf die vorgeführten Benchmark-Ergebnisse. Statt standardisierte und branchenweit anerkannte Messverfahren zu verwenden, erklärte Transmeta diese Tests für realitätsfremd und stellte eigene Benchmarks für mobile Computer vor. Ein Dell-Notebook mit einem "Mobile-Pentium" 500 schnitt dabei in einem Vergleich mit einem Crusoe-basierten Notebook relativ schlecht ab. Bei diesen Benchmarks spielt allerdings die Prozessorleistung eine untergeordnetet Rolle.

Wenig überzeugend war auch die Tatsache, dass man bei der Vorstellung des Crusoe noch keinen OEM-Fertiger vorweisen konnte. Etliche Hersteller würden die Chips derzeit allerdings testen. Immerhin kündigte tags darauf Chiphersteller S3 an, dass sein Tochterunternehmen Diamond Multimedia ein Web-Pad auf Basis des TM3120 unter Linux herausbringen werde. Nach Aussage von Andrew Wolfe, Chief Technology Officer bei S3, wird das Gerät zwischen 500 und 1000 Dollar kosten. Details wollte S3 allerdings nicht nennen.

Dennoch bleiben einige große Fragezeichen zum Geschäftsmodell von Transmeta bestehen. Für den Dataquest-Analysten Van Baker ist unklar, wie sich das Unternehmen auf dem Markt positionieren will: "Wir sind nach wie vor skeptisch, was seinen Business-Plan für Internet-Geräte betrifft. Die Preise für diese Produkte dürften relativ hoch liegen."

Andere Analysten sind hingegen der Ansicht, dass Transmeta das richtige Produkt zum rechten Zeitpunkt gebracht hat. Allgemein wird erwartet, dass der Markt für mobile Internet-Geräte, angefangen bei WAP-Handys über persönliche digitale Assistenten (PDAs) bis hin zu Notebooks, in den nächsten Jahren explodieren wird. Auch hier gibt es jedoch bereits ein breites Angebot an Prozessoren und Betriebssystemen.

So war denn die Präsentation der Marktperspektiven durch Marketing-Chef Jim Chapman von Zweckoptimismus gekennzeichnet. Seine Logik: "Crusoe wird durch seine überlegene Leistung in Kürze die schweren (Intel-basierten) Notebooks vom Markt fegen. Gleichzeitig wird die neue (Crusoe-basierte) Mobilgeneration so attraktiv sein, dass sie dann einen höheren Anteil am Gesamt-PC-Markt einnehmen wird."

Transmeta - das Unternehmen

Bis zum 19. Januar war über Transmeta so gut wie nichts bekannt - weder die Zahl der Mitarbeiter noch die Kapitalausstattung. Derzeit beschäftigt die neue Chipschmiede mit Sitz in Santa Clara, Kalifornien, etwa 200 Angestellte weltweit. Der berühmteste dürfte Linux-Erfinder Linus Torvalds sein. Er ist mit der Entwicklung eines "Mobile Linux" für Crusoe-basierte Kleingeräte beschäftigt. Auch andere in der DV-Szene bekannte Persönlichkeiten kann Transmeta vorweisen. So konnte man etwa Jim Chapman, früher bei Cyrix, und Robert Collins, ehemals Texas Instruments, für sich gewinnen, ebenso Murray Goldman (vormals Motorola) und Hugh Barnes (vormals Compaq). Zu den Investoren gehören unter anderem Institutional Venture Partners, Walden Funds, Microsoft-Mitbegründer Paul Allen, Blue-Chip-Investor George Soros und die Deutsche Bank. Offiziell waren nur 20 Millionen Dollar Venture Capital registriert, in Wirklichkeit dürften in den letzten fünf Jahren mehrere hundert Millionen zusammengekommen sein. Personell und finanziell ist Transmeta also schlagkräftig genug, um einen großen Wurf zu landen. Und mit IBM als Chiphersteller hat man einen starken Partner, der in der Lage sein dürfte, die Prozessoren in der geforderten Stückzahl zu produzieren.