PC und seine Alternativen/Existierende PC-Infrastruktur wird nicht gleich abgelöst

Thin Clients halten nur langsam Einzug in die Unternehmen

09.07.1999
Von Saskia Eßbauer und Stefanie Schneider* Mit Schlagworten wie Network Computer (NC) oder Thin Clients (TCs) werden Lobgesänge auf eine neue Generation der Informationstechnologie mit plattformübergreifenden Applikationen und Datenformaten angestimmt. Im Kern handelt es sich um das alte Terminal-Server-Konzept. Es verspricht vor allem niedrigere Administrationskosten. Doch die Anwender reagieren wegen ihrer bereits getätigten PC-Investitionen noch verhalten.

Erst Zentralisierung, dann Dezentralisierung, dann wieder Zentralisierung. Vor den ständigen Wellenbewegungen in der Industrie ist auch die IT nicht gefeit, wenngleich die Zyklen hier länger ausfallen als in organisatorischen Bereichen. Hat sich der PC seit den 80er Jahren seinen Stammplatz in den Unternehmen Zug um Zug erkämpft, machen ihm die Netzcomputer diesen heute streitig. Sie gelten als Kombination der Vorteile von dummen Terminals und PCs - die jetzt als Fat Client tituliert werden - sowie als logische Konsequenz des Internet-Computing.

Das sehen auch die Anwender so, wenngleich sie nicht mit fliegenden Fahnen ins andere Lager wechseln. "Für Thin Clients spricht zunächst, daß sie ohne vorherige Installation schnellstmöglich zum Einsatz kommen. Der räumliche Wechsel von Mitarbeitern spielt keine Rolle, sie finden überall ihren gewohnten Arbeitsplatz vor", erläutert Werner Meier, der sich bei der AOK Bayern bereits als Teilprojektleiter mit dem Thema Windows-based Terminal Server und Thin Clients auseinandergesetzt hat. "Zum Desktop werden keine Dokumente und Anwendungen mehr übertragen, sondern nur die Bildschirminformation und die Tastatureingaben."

Im Kern ist das Konzept so neu nicht. Jahrelang funktionierte die DV auf vergleichbare Weise - bis die PCs die Intelligenz auf den Arbeitsplatz verlagerten. Applikationen laden seither die Festplatten voll, der Speicherbedarf steigt mit jedem neuen Betriebssystem-Release, Systemausfälle durch Konfigurationsfehler, Bugs, Viren oder andere Störungen führen zu Auszeiten für die Mitarbeiter und sorgen beim Benutzerservice für Arbeit. Auch die Netzbelastung ist seither gestiegen.

Das liege auch an den Datenbanken, die nicht entsprechend konstruiert seien, meint ein Anwender. Access-Datenbanken mit über 200 MB werden beispielsweise für Änderungen komplett über das Netz geladen. "Die Lösung besteht darin, relevante Informationen via Terminal-Session abzugreifen. Applikation und Datenbank werden auf dem Server belassen. Das erhöht die Performance und die Verfügbarkeit der Systeme", pflichtet Sascha Porbadnik, stellvertretender Unternehmensbereichsleiter der AOK Berlin, seinem Kollegen Meier bei.

In der AOK Straubing wurden die TCs in einer Pilotinstallation einem Alltagstest unterzogen, sowohl im LAN wie auch im WAN. Vor allem ging es darum zu erkennen, ob die erwarteten Einspareffekte im administrativen Bereich greifen. Die Resonanz der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen war positiv. "In erster Linie eignen sich Arbeitsplätze, die vor allem typische Office-Anwendungen nutzen", so Meier. Besonders für die Geschäftsstellen können sich die Geräte als wertvoll erweisen, da sie ohne die störanfälligen Festplatten auskommen. Der Administrator habe zudem die Möglichkeit zur remoten Problembehebung. Ein Reservegerät lasse sich sogar von weniger versierten Mitarbeitern in Betrieb nehmen.

"Für TCs spricht die einfachere Anbindung von Außenstellen", bestätigt auch Ralf Siller, Vertriebsleiter Netzwerksysteme des Systemhauses GTS-Gral GmbH. Problematisch sei die Sicherheit. "Die hohe Abhängigkeit vom Server erfordert eine ausgeklügelte Sicherheitspolitik", merkt AOK-Manager Meier an. Generell eingesetzt werden die Thin Clients bei der Krankenkasse vorerst nicht. Doch bei künftigen DV-Konzepten will man diese Technologie, kombiniert mit Windows-based Terminal Server, einbeziehen.

Immerhin bringt der Umstieg auf NCs oder andere Thin Clients Neuinvestitionen mit sich. Deshalb reagieren viele Anwender verhalten. Auch die Ravensburger Spieleverlag GmbH konnte sich noch nicht mit dem Einsatz der TC-Technologie anfreunden. "Derzeit haben wir vollwertig ausgerüstete PC-Arbeitsplätze", erklärt Johann Sehn, Leiter individuelle Informationsverarbeitung. "Wir arbeiten NT-basiert auf verschiedenen Plattformen." Bei der Motoren- und Turbinenunion (MTU) ist man ebenfalls zurückhaltend. "Momentan wird das Thin-Client-Konzept noch nicht umgesetzt. Wir arbeiten auf Workstations unter NT", berichtet Michael Albrecht, Systemplaner IV-Infrastruktur bei der MTU. Dennoch seien TCs binnen der nächsten zwei Jahre eingeplant. "Wir wollen die alten Terminals in der Fertigung durch Thin Clients ersetzen."

So scheint sich das Ende der PC-Ära langsam zu nähern. Laut den Aussagen der International Data Corp. (IDC) sollen NC- Clients bis ins Jahr 2001 etwa sieben bis zehn Prozent der heutigen Desktop-Arbeitsplätze ablösen. "Der PC als persönlicher Computer ist tot", bilanziert auch Holger Bär in einer Präsentation des Forschungszentrums Informatik Karlsruhe. Das Netz liefere den Thin Clients beliebige Ressourcen, so Bär.

Allein in diesem Jahr soll die Zahl der Thin-Client-Rechner weltweit um 87 Prozent auf 1,2 Millionen Geräte wachsen, so das Online-Forum www.thinner.de, Deutsches Forum für schlanke Computer. Bis zum Jahr 2003 erwartet die IDC sogar ein Wachstum auf sechs Millionen Geräte jährlich. Dabei seien die guten Prognosen in erster Linie Microsoft zu verdanken, so Eileen OBrien, Leiterin des Thin-Client-Programms bei IDC. Durch die Preissenkung beim Windows-based Terminal Server, mit dem Unternehmen Windows-Anwendungen zentral verwalten und bereitstellen können, habe der Markt neuen Auftrieb erhalten. Eine Studie von Zona Research stützt diese Einschätzung. Danach liegen die Verkaufszahlen von schlanken Rechnern im Jahr 2001 bereits bei 2,25 Millionen Stück weltweit. Größter Markt für Thin Clients sind momentan noch die Vereinigten Staaten. 81 Prozent aller 1999 verkauften Geräte werden laut der IDC-Studie dort veräußert.

Aber auch in Deutschland gibt es die Early Adopters, wie die Unternehmen genannt werden, die bei neuen Technologien frühzeitig auf den Zug aufspringen. Zu diesen Unternehmen gehört zum Beispiel die HMR, eine Division des bundesdeutschen Chemieriesen Hoechst. Dort sind momentan 200 NCs im Einsatz. "Bei HMR ist man auf Thin Clients angewiesen", weiß Siller. "Alle Technologien, die Kosten sparen und den Wettbewerbsvorteil erhöhen, sind ein Thema. Thin Clients können einem Unternehmen helfen, dem Anwender schneller und flexibler Programme zur Verfügung zu stellen."

Hinzu kommt die Entlastung der Netze. Eine Untersuchung der zur Gartner Group gehörenden Beratungsfirma Datapro stellt Firmennetzwerken, die auf dem TC-Konzept basieren, gute Noten aus. Die "New York Times" vom 1. Juni 1999 bilanziert mit Bezug auf die Datapro-Untersuchung, daß Unternehmen, deren Firmennetze sich auf die Thin-Client-Technologie stützen, dazu tendieren, dieses Konzept auch auf andere Firmenbereiche auszuweiten.

Als Hauptargument gelten die niedrigeren Wartungskosten. Sie lägen bis zu 80 Prozent unter den Ausgaben, die im Rahmen konventioneller PC-Lösungen zu veranschlagen seien. Bei einem herkömmlichen PC seien knapp 4500 Dollar Wartungsausgaben zu kalkulieren, während sie sich für jeden Thin Client auf etwa 550 Dollar beliefen.

NCs brauchen weniger Wartungspersonal

Am gewichtigsten dürfte der geringere Personalaufwand zu Buche schlagen. PCs erfordern fünfmal mehr personelle Ressourcen zur Wartung und Fehlerbehebung als konfigurierte Terminals. Dazu GTS-Vertriebsleiter Siller: "Alle arbeiten mit einheitlichen Versionsnummern. Bildschirmspiegelungen sind möglich. Man braucht keine Floppys oder CD-ROMs mehr, bestehende PCs lassen sich integrieren und Windows-based Terminals zentral verwalten."

Microsoft kam in seiner bereits im Februar 1998 veröffentlichten Untersuchung "Reducing Total Cost of Ownership" zu ähnlichen Ergebnissen. Der Bericht bezieht sich auf eine Untersuchung der Gartner Group, nach der der Anteil der Anschaffungskosten an den Gesamtkosten beim PC-Einsatz nur 21 Prozent ausmacht. Der Großteil entfalle auf die Administration (13 Prozent), den Support (21 Prozent) und Anwendertätigkeiten (46 Prozent). TC-Spezialist Siller fügt hinzu: "Gespart wird im laufenden Betrieb." AOK-Mann Meier ist derselben Meinung: "Im Einkauf sind die Geräte meines Erachtens noch teurer als PCs. Man darf aber die Einsparungen im administrativen Bereich nicht außer acht lassen."

Als Hauptgrund dafür, warum sich die TC-Technologien in den Unternehmen nicht schneller durchsetzen, nennt die "New York Times" mit Hinweis auf die Untersuchung der Gartner Group vor allem psychologische Motive der Anwender. Die End-User sähen sich bei NCs mit "unvollständigen" Rechnern konfrontiert. Das erklärt - nach all den bereits aufgezählten Vorteilen - die verhaltenen Prognosen der Analysten, nach denen nur bei etwa fünf bis zehn Prozent aller Arbeitsplätze in den kommenden Jahren tatsächlich ein Umstieg auf die Thin Clients erfolgen werde. Und das, obgleich die Methode für etwa 80 Prozent aller Arbeitsplätze zweckmäßig erscheint.

Als nachteilig bei der Verwendung von Thin Clients empfindet Siller außerdem die mangelnde Überwachbarkeit des "aufwendigeren Konzepts". Die Verantwortung für die Server-Installation wird größer. "Applikationen müssen über Scripts angepaßt werden. Es sind zwar weniger Client-Betriebssysteme, dafür aber mehr Server nötig." Da alle Anwendungen auf dem Server ablaufen, müssen die eingesetzten Host-Rechner entsprechend leistungsfähig und problemlos aufrüstbar sein. Microsoft spricht je nach Anwendertyp und Prozessorart für den Windows-based Terminal Server von bis zu 45 Anwendern pro Pentium-Prozessor beziehungsweise von bis zu 12 MB RAM pro Benutzer.

Grundsätzlich sehen die Branchenkenner im Windows-based Terminal Server ein wichtiges Produkt zur Marktentwicklung von Thin Clients. Bestehende Windows-Anwendungen lassen sich weiterverwenden, die Anwender bemerken keinen Unterschied zum PC-Arbeitsplatz.

Für die Java-basierten NCs, die eigentlich die Diskussion um die schlanken Endgeräte erst ins Rollen brachten, gebe es derzeit zu wenige Applikationen, um die gesamte Bürokommunikation abzudecken. Darüber hinaus verschlinge Java enorm viel Speicher- und CPU-Leistung. Ein unein- geschränktes Lob erteilt Siller aber auch dem Windows-based Terminal Server nicht: "Diese relativ junge Technologie in der Microsoft-Welt muß sich noch bewähren..

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Obwohl allenthalben ein Loblied auf die Thin Clients angestimmt wird - unter dem Stichwort der einfacheren Verwaltbarkeit -, zögern die Anwender mit der Implementierung der neuen Clients. Nur dort, wo alte "dumme" Terminals abzulösen sind, halten die schlanken Desktops problemlos Einzug. Dennoch: Zumindest testen viele Unternehmen das neue Konzept - der Siegeszug des PCs scheint zu Ende zu gehen.

*Sasika Eßbauer und Stefanie Schneider arbeiten als DV-Journalistinnen in der Message Medienagentur, Ismanning.